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die Slnffe der Entwickelung wirken, zu der die
bildende Kraft ihre Erzeugnisse iörtzuführen vermag.
Daher lafsl uns die Beobachtung dieser untern
Bildungen der INatur nicht selten das noch im
Werden sinnlich verfolgen, was wir in den höhern
Ordnungen nur der Idee nach in den gewordenen
Formen aufznfassen vermögen. Die nähere Bekanntschaft
mit ihnen reicht uns folglich den Schlüssel
zur Deutung mancher für sich unerklärlichen
Erscheinungen im Lehen der volikommnern Organismen.
Fast keine der untern Ordnungen im Reiche
der Gewächse, so hat es mir geschienen, bietet in
dieser Beziehung mehr Gelegenheit dar, Blicke in
die Pilanzennatur zu thuu, als die auf einer tiefen
Stuffe organischer Bildung stehenden W'esen, die
Avlr mit dem Namen der Flechten odör Lichenen
belegen. Ihr zugängliches Element, ihre allgemeine
A^erbreituug in unsern nächsten Umgebungen gestalten
der Beobachtung den steten Zutritt, welches
den wichtigen Vortheil mit sich führt, dais wir
die Bildung vom ersten Entstehen an, durch alle
Grade der Entwickelung, unbehindert verfolgen können.
Ein Vorlhell, den die mit den Flechten verwandten,
etwa auf einer gleichen SluiFe der Orga-
nisation stehenden, Familien der Pilze und Algen
der Forschung nicht darbieten.
Dies sowohl, als die ungemeine Wandelbarkeit
der Formen, welche sich der elndringenden
Erkennlnifs entgegenslellt, der Beschäftigung mit
ihnen aber eben defsbalb einen dojipelten Reiz verleibet,
wurde Ursache, dafs ich dem Stndium der
Flechten stets mit einiger Vorliebe zngethau war.
Als ich angefangen hatte, mich mit ihnen zu
beschäftigen, llefs ich es meine erste Sorge seyu,
die damals bereits erschienenen erstern beiden
Werke des Herrn Acharius*)? der als monographischer
Bearbeiter dieser Familie aufgetreien war,
zu sludlren, späterhin aber seine Li cheno g r a -
phla ui i lversal is durchzuarbeiten.
Der Inhalt dieser Werke verrieth so häufig Mangel
an eigener Naturbeobachtung und stimmte so wenig
mit den Beobachtungen überein, die ich ln unsern
Gegenden über das Verhalten der Lichenen machte,
dafs ich mich genölhlgt sah, ihren Gebrauch sehr zu
beschränken. Als die Synop s i s l ichenum erschien,
nahm ich diese mit Erwartung zur Hand, da
ich nicht zweifelte, dafs Herr Acharius sich durch
stets erneuerte Versuche der Erkenutnifs seines Gegenstandes
genähert haben würde. Ich überzeugte
mich aber bald, dafs seine schriftstellerische Gewandtheit
zwar zugenommen und besonders seine
Kunstfertigkeit in der Abfassung der Diagnosen bemerkbare
Fortschritte gemacht habe, dafs er dagegen
in der Erkennlnifs der Arten und Festsetzung
der Gattungen stets weiter von der Natur und dem
Wege abgewichen sey, der zu ihrer Erkeiintnifs
führen konnte. Ich benutzte diese Werke daher
nur, um mich möglichst genau davon zu unterrichten,
welche Flechtenformen Herr Achar ius mit
seinen Benennungen bezeichnet habe, hielt es übrigens
aber am gerathenslen, die Verfolgung dieser
Gewächse ln der Natur ganz unabhängig von den
Ansichten fortzusetzen, die Herr Acharius über
ihre Verschiedenartigkeit oder Verwandtschaft auf-
slellt; — Ansichten, denen schon das in der Wissenschaft
vielleicht einzige Beysplel endloser Widersprüche
und Widerrufungen, mit denen diese Werke
gefüllt sind, das Unheil sprechen mufs.
*) L i i c h e n o g r a ph i a e s u e c i c a e p r od r omu s .
Lincopiae 1798 8. und Me t h o d u s l i c h e n e s ad
g e n e r a etc. r e d i g e n d i . Stockhoimiae 1803. 8.
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