Mauern dieses kleinen Städtchens sind eben so im Verfall
wie die aller anderen Orte" im Marokkanischen Reiche; aus
der ganzen Anlage dieser Mauern, den stellenweise noch erhaltenen
Fenstern in den Thürmen, den geraden Strassen
ersieht man, dass dies Oertchen von Europäern erbaut ist.
Speise war kaum zu haben, zu hohem Preise erlangte ich
endlich spät ein Huhn und mein aus Arseila gebürtiger Führer
liess mir durch seine Frau ein Brod backen.
Ich habe anzuführen vergessen, dass ich gestern im Hafen
von Tanger eine alte Bekanntschaft traf, den Kadi (Richter)
von Tarudant in Sus, der sich als Pilger nach Mekka begiebt.
Niemand war mehr erstaunt als er, mich in Tanger zu finden;
ich war glücklich, ihm einen Beweis meiner Dankbarkeit für
die freundliche Aufnahme, die er mir hatte zu Theil werden
lassen, geben zu können; ich machte ihm nämlich einen
silbernen Bleistift zum Geschenk, worüber er sich sehr freute.
Der Mann sah jetzt auf dieser seiner Reise zum ersten Mal
Christen, die er sich früher immer als die verworfensten und
schlechtesten Menschen vorgestellt hatte, und war ganz entzückt,
nur liebenswürdige Leute zu finden, die ihn weder belogen
noch betrogen, wie er es von seinen Glaubensgenossen gewohnt
war. Auch auf dem Wege begegneten uns noch zahlreiche
Karawanen, die ebenfalls in Tanger sich embarquiren wollten,
um eine ihnen vorgeschriebene Pflicht zu erfüllen , nämlich
den schwarzen Stein in Mekka zu küssen. Ich bemerke hier
beiläufig, dass man bei uns in Deutschland gewöhnlich glaubt,
die Mohammedaner unternähmen die Pilgerfahrt, um zum
Grabe Mohammed’s zu gehen. Das ist irrig. Die Pilgerfahrt,
durch die der Mohammedaner den Titel el Hadj (Pilger)
erlangt, wurde schon zu Lebzeiten Mohammed’s gemacht, der
diesen abergläubischen R itu s , d. h. die Kaaba oder den
schwarzen Stein, auf dem Abraham geopfert haben soll, zu
küssen, nicht abzuschaffen wagte, weil damit ein Haupteinkommen
der Mekka-Bewohner, mit denen er sich vor allen
Dingen zu versöhnen suchte, verbunden war. Mohammed
gebot also als eine der Pflichten des Muselman ; die Pilgerfahrt
nach Mekka nach wie vor zu unternehmen; später
verknüpfte sich damit noch der Besuch Medina’s #), wo
Mohammed zwischen seinen beiden ersten Kalifen begraben
liegt.- j , Ofi! ‘O-S.-/:; "'■* ^ . g
Um 7 »/a Uhr brachen wir gestern Morgen auf, durchritten
rasch die Gärten, die Arseila umgürten, und wendeten
uns dann nach dem Meere, um am Strande des Oceans unseren
Weg fortzusetzen. Um 10 Uhr frühstückten wir bei Sidi-
Bu-Smreit, einem kleinen Dörfchen mit einer weissen Grabeskuppel
des Heiligen, der dem Orte seinen Namen gegeben.
Der Weg führt dann fast ohne Unterbrechung am Strande
hin. Um 2 Uhr Nachmittags waren wir an der Mündung des
l’Ued (Fluss) Kuss und hatten vor uns die freundliche Stadt
Laraisch oder Larache, wie die Spanier und Franzosen schreiben.
Meine Pferde stellte ich ins Funduk und stieg selbst
bei einem Spanier ab, der so freundlich war, mir sein Dach
anzubieten. Sein Logis behagte mir so gut, dass ich auch
heute am 16. noch hier weile. Heute Morgen liess mich der
Französische Konsul rufen, er hatte geglaubt, ich sei Franzose,
da er mich Tags vorher hatte sprechen hören. Dies
verschaffte mir die neuesten Zeitungen und einen Empfehlungsbrief
für Lxor, obgleich ich denselben nicht einmal nöthig
gehabt hätte, denn ich habe dort ausserdem Bekannte. Heute
Nachmittag führte mich ein Abkömmling Sidi-Hamed-ben-
Nasser’s ; dessen Stamm-Sauia in Tammagrut am l’Ued Draa
liegt, in seinen Gärten spazieren. Die Nassen haben eine
grosse Anzahl Filial-Sauia, so auch hier eine solche und geben
sich dann im Auslande gewöhnlich für Schiirfa (Plural von
Scherif, Abkömmling Mohammed’s) aus, obgleich sie bloss
Marabutin (Plural von Marabut, Abkömmling eines Jüngers
des Propheten oder sonst eines heiligen Mannes) sind. So
*) Medina hiess früher Jatreb und nahm nach der Flucht Mohammed’s
den Namen Medina, was „Stadt“ schlechtweg bedeutet, an.
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