Uesan auf; fortwährend im Trabe reitend erreichten wir
bald den kleinen l’Ued Tinn, der vom Gebirge Nuss-moda
kommend, sich nach Aussage der Leute in den l’Ued Ardat
ergiesst. Die Wege waren entsetzlich, namentlich als wir das
Gebirge erreicht hatten, um 2 Uhr jedoch langten wir schon
in Uesan an, freilich kam das Gepäck erst Abends um 8 Uhr
nach. Ich hatte die Freude, hier Briefe von unserem Konsul
in Gibraltar und vom Englischen Gesandten in Tanger nebst
Zeitungen vorzufinden. Auch schickte mir unser Konsul ein
Englisches Gewehr mit Zubehör, da dasselbe aber unglücklicher
Weise durch die Hände Sidi’s ging, verlangte er es
von mir zum Geschenk. Ich musste also zufrieden sein, dass
er sich bereit erklärte, mir die andere Doppelflinte wieder
herauszugeben, was er denn auch gethan hat. Man sieht
daraus, wie man der Willkür preisgegeben ist, denn hätte
ich sie ihm verweigert, würde er mir keine Geleitsbriefe für
meine weitere Reise gegeben haben. In einigen Tagen, nachdem
ich mich etwas erholt, denke ich südwärts aufzubrechen.
Ein Glück für mich, dass endlich aus der offenen Wunde
meines Armes ein fast zollgrosser Knochensplitter, hoffentlich
der letzte, herausgekommen ist. Ich zog ihn selbst mit meiner-
Pincette heraus und die Wunde, die seit zwei Wochen stark
eiterte, ist jetzt schon zugeheilt. Morgen werde ich nun ab-
reisen und mit einer Karawane der Beni-Mgill, die ihren Sitz
am Nordabhange des Grossen Atlas haben und hierher gekommen
sind, um sich den Segen Sidi’s zu holen. Dieser hat
mich ihnen aufs Dringendste empfohlen und ihnen bei Verlust
seines Segens geboten, mich sicher nach Tafilet oder wenigstens
an Muley-Abd-er-Rharaan-ben-Sliman zu liefern. Ausser-
dem habe ich zwanzig Empfehlungsbriefe von Sidi für Tafilet,
Tuat, Timmi, Tidikelt und Timbuktu an die einflussreichsten
Persönlichkeiten. Die Beni-Mgill sind Berber und sprechen
Schellah oder Berberisch, die meisten verstehen jedoch auch
Arabisch. Dieser Tage kam von Buschar, wo ich voriges Jahr
verwundet durchpassirte, ein Mann hierher gepilgert, der mich
sehr menschenfreundlich bei sich aufgenommen hatte und mich
dann sicher nach Figig begleitete. Ich konnte ihm jetzt seine
Wohlthaten erwiedern; ausserdem dass er bei mir logirt und
ich ihn von Kopf zu Fuss neu gekleidet habe, verschaffte ich
ihm mehrere Empfehlungsbriefe vom Scherif und seinen besonderen
Segen.
Bis jetzt fand sich noch nicht wieder Gelegenheit, ohne
die Aufmerksamkeit der Eingebornen zu erwecken, meine Erlebnisse
und Beobachtungen einzutragen. Jetzt jedoch, wo ich
in Ksor Beranin, Mdaghra, an einem sicheren Orte angelangt
bin, will ich Alles nachholen.
In Begleitung der Beni-Mgill brachen wir also von
Uesan am 7. Mai um 8 Uhr Morgens auf, nachdem wir
vorher an der Grabstätte des Sidi-el-Hadj el-Arbi*) den Segen
des Höchsten für unsere gefahrvolle Wanderfahrt durch den
Atlas erfleht hatten. Unser Weg führte uns in südlicher Richtung
durch das Uesan umgebende Gebirge, in dem zahlreiche
von Wein und Ölbäumen umkränzte Dörfer versteckt liegen.
Die Pilger der Beni-Mgill, alle zu Fuss und zwei weisse
I Fahnen als Zeichen ihrer Pilgerfahrt mit sich führend, hörten
nicht auf, ihr Lah ilaha il Allah zu singen, namentlich zeichneten
sich die beiden sie begleitenden Weiber darin aus. Sie
waren, wie gesagt, sämmtlich zu Fuss und, obgleich manche
in ihrer Heimath begütert sind, aufs Ärmlichste gekleidet,
um vor Raub und Plünderung sicher zu sein. Wir allein,
mein Bursche und ich, waren beritten. Das zog uns die Unannehmlichkeit
zu, dass wir uns nach und nach mit sämmt-
lichem Gepäck unserer Karawane befassen mussten, was ich
nicht abschlagen konnte, da wir ihnen so zu sagen anheim
gegeben waren. Durch die schön angebaute Gegend dahin
ziehend erreichten wir um 12 Uhr den kleinen l’Ued Rofran,
der von Norden kommend sich in den l’Ued Ardat ergiesst.
*) Der Vater Sidi-el-Hadj-Absalom’s, sehr verehrt und jetzt einer
der grössten Heiligen.