Beni-Mtir wie alle Berber beobachten sehr wenig die mohammedanische
Religion, sie beten nicht, sie waschen sich nicht*),
pilgern selten nach Mekka und ihr einziger Kultus besteht
in der Verehrung der Heiligen Uesan’s, dessen jedesmaligen
Scherif sie ihren Scheich oder Ältesten nennen. Sonderbar
ist dieser Menschenkultus; so sagte ich ihnen, um meine
Sachen und meine Pferde vor Diebstahl zu sichern, dass dies
Alles Eigenthum des Scherif von Uesan sei, sie verfehlten
nicht, sie zu respektiren, küssten sie und befühlten sie, um
gewissermassen einen Segen daraus zu ziehen. Namentlich
war eine rothseidene Schnur, die der Scherif lange Zeit ,selbst
getragen und die er mir beim Abschied für meinen Revolver
gegeben hatte, ein beständiger Gegenstand ihrer Verehrung,
da sie dieselbe als ihm gehörend gesehen hatten. Sie brachten
Kranke und baten um Gottes und des Propheten willen, ihnen
zu erlauben, die Schnur zu berühren, um den Segen des
Scherif daraus zu ziehen. Ihre Weiber gehen sämmtlich un-
verschleiert, wie auch die der Araber, die nicht die Städte
bewohnen, sind jedoch im höchsten Grade schmutzig. Wie
die Männer lieben sie sehr die bunten Kleider, die jedoch
bald vom Schmutze Eine graue Farbe annehmen. Die Beni-
Mtir, die früher den .Südabhang des Atlas bewohnten, verdrängten
vor etwa 40 Jahren die Beni-Hassen, indem sie
selbst von den Beni-Mgill aus ihrem Sitze verjagt wurden.
Jetzt bewohnen sie die Siss-Ebene und das Gebirge nördlich
davon. Die südlichere Hälfte ist dem Sultan unterworfen,
die nördlichen sind vollkommen unabhängig. Ihre Nahrung
besteht aus Kuskussu, aus Gerste oder Türkischen Weizen,
Milch und Buttermilch; die Butter und Wolle verkaufen sie
an die Städter, Fleisch wird selten von ihnen genossen. Obgleich
die Berber sonst im Allgemeinen sehr ungastfreundlich
sind, wie ich das früher schon in Abda, Haha und Sus zu
*) Der Mohammedaner muss sich' bekanntlich vor jedem Gebet
vorschriftsmässig waschen, was sie el udhu nennen.
beobachten Gelegenheit hatte, bewirtheten uns die Beni-Mtir
sehr gastfrei. Der Duar, in welchem wir übernachteten, heisst
Ait-Omogol*). . .
Seit gestern waren wir sanft so gestiegen, ohne aut ein
eigentliches Gebirge zu stossen, dass mein Barometer nicht
mehr ausreichte; um deshalb genaue Zahlen angebeu zu
können, musste ich es auf den Meeresstandpunkt zurückdrehen.
Wie gewöhnlich brachen wir am folgenden Morgen
(11. Mai) um 5 Uhr in SSO.-Richtung auf und das Land
Gurr hinter uns lassend betraten wir das Land Siss, ebenfalls
Gebiet der Beni-Mtir. Um 8 Uhr hatten wir eine erste
Gebirgtkette vor uns. Sie verlief von West nach Ost, war
steinicht und unbewaclisen und ihre relative Höhe mochte
800 Fuss betragen. Es begegneten uns hier zwei Leute, die
gerade einen Augenblick vor uns von den Beni-Mtir angehalten,
ausgeplündert und iiberdiess, namentlich der Eine
ziemlich schwer am Arme, verwundet worden waren, zum
Beweis, dass wir uns jetzt in der Gegend der Gewaltthätig-
keit und des Faustrechts befanden. Obgleich unter dem
Schutze der Pilger stehend und mit Empfehlungsbriefen des
Scherif versehen, der auch hier überall fast wie der Prophet
selbst verehrt wird, liess ich dennoch meine Waffen scharf
laden, um auf alle Fälle vorbereitet zu sein. Wir stiegen
fortwährend und schon die dicht über unseren Köpfen hinziehenden
Wolken zeugten davon, dass wir uns auf einer bedeutenden
Höhe befanden, wenn anders die Kälte uns nicht
daran erinnert hätte. Ich konnte selbst Mittags meinen
Winterbunius vertragen, ohne übermässig warm zu werden.
Um 5 Uhr erreichten wir einen Duar der Beni-Mtir, wo wir
übernachteten.
Ich habe vergessen anzuführen, dass der Pass, der uns
in das eigentliche Gebirge führte, bab-el-forjath heisst; von
*) Ait, Berberische Bezeichnung für das, was die Araber uled
oder Beni, d. k. Söhne oder Abkömmlinge, Stamm, nennen.