Gestern Mittag musste ich dem Gottesdienste in der
grossen Jemma beiwohnen. Derselbe wird wie in den Städten
abgehalten. Um 1 Uhr begeben sich die Männer in die
Jemma, — eine Frau betritt nie eine solche — verrichten
ein kurzes Gebet vou zwei Rikats und setzen oder kauern
sich dann nieder auf die Teppiche oder Matten, die Ankunft
des Faki oder Doktors, der die Predigt abliest, erwartend.
Dieser erscheint bald darauf, und nachdem vom Dacbe oder
Minaret der Müden*) drei Mal hinter einander das Glaubens-
bekenntniss abgerufen, das jeder Gläubige mehr oder weniger
laut im Barte nachmurmelt, besteigt der Faki mit einem
langen Stabe in seiner rechten Hand eine Art Treppe**), die
neben der Kiblahöhlung ***) sich befindet und die als Kanzel
dient, und liest die Predigt, die immer aus denselben Koran-
Versen zusammengesetzt ist, ab; dann spricht er ein kurzes
Gebet, in welchem er unter Anderem den Segen für den
jedesmaligen Herrscher erfleht. Nach Beendigung desselben
folgt noch ein gemeinschaftliches Gebet von zwei Rikats, bei
dem der Faki vorbetet, und Jeder geht dann seines Weges.
Das Ganze dauert eine gute halbe Stunde.
Der Krankenzulauf nimmt immer noch zu, ich habe
keinen Augenblick Ruhe, selbst auf der Strasse verfolgt man
mich. — Die Ait-Atta sind vom l’Ued Draa hierher gekommen,
während ursprünglich das Land von Schürfa bewohnt
war. Sie erkennen einen Scheich an, der in Elgara residirt
und derzeit el Hadj Besso-Bu-Issan heisst. Ich' hatte einen
Empfehlungsbrief an ihn, da er sich aber augenblicklich in
Tafilet befindet, bin ich gar nicht da gewesen, da ich
aus Erfahrung weiss, wie ungastlich die herrenlosen Häuser
sind.
*) Müden oder Mude heisst der Mann, welcher zum Gebete ruft.
**) Memmber genannt.
***) Eine gehöhlte Nische, die sich in jeder Moschee befindet, nach
der Ostseite zu, um die Richtung, wohin man beten soll, anzudeuten.
Die Oase Ertib zählt über 20 Ksors, die beiderseits
am PUed Sis liegen. Wenn man den Fluss entlang geht,
sollte man meinen, rechts und links von Bergen umgeben zu
sein, es ist dies aber nicht der Fall, sondern der Fluss hat
sich nur tief eiugeschnitten in diese letzte Hochebene, aus
der er bei Duera heraustritt. Man ist daher bei Aly-Bu-
Saidan, dem nördlichsten Dorfe Ertib’s , fast in gleichem
Niveau mit Duera. Die Ksors von Ertib von Norden nach
Süden sind folgende: Aly-Bu-Saidan, Sauia-Sidi-el-Abbes,
El-Kins, Scheramena, Sno'ia, Ait-Ahia, Uled Aissa, Uled
Schicher, Ksor-djedide*), Elgara, Uled-Araira, Ofust, Tachiemt,
Sregat, Uled Argho, Sidi-Aly-ben-Gummi, Marka, Marka-
sse rira , Blarghma, Sauia-kedima, Sauia-djedida, Lbthatha.
Der bedeutendste dieser Ksors ist Sregat, er stellt über
1200 bewaffnete Männer und drei Mal wöchentlich wird ein
ansehnlicher Markt dort abgehalten. Sregat liegt am rechten
Ufer des Sis. Ausser mehr als 200 Juden-Familien besteht
die Bevölkerung Ertibs, wie schon gesagt, aus den Ait-Atta,
die vor etwa 100 Jahren vom l’Ued Draa hereinbrachen und
sich dieser Oase bemächtigten. Durch die zahlreichen eingeführten
Negerinnen ist das Blut sehr gemischt worden, so
dass die Bevölkerung jetzt aus eben so vielen rothen wie
weissen Menschen besteht. Ihre Sitten sind hier die der
Araber, wie auch ihre Tracht. Die Weiber kleiden sich
vorzugsweise in einen dunkelblauen Haik, aus grobem Kattun
bestehend, der von England aus über Fes eingeführt wird.
Ihr Haar durchflechten sie mit vielen Silber- oder Kupferketten,
am Arme haben sie wie an den Füssen grosse silberne
oder kupferne Ringe. Im Gesicht oder auch auf den übrigen
Theilen des Körpers lieben sie es, sich zu tätowiren. Alle
Weiber, auch die der Vornehmen, gehen unverschleiert. Die
Männer lieben auch hier die bunten Trachten, im rechten
*) Bekannt und berühmt wegen der guten Gewehre, welche die
Bewohner jenes Ksors fabriciren.
Rohlfs, Reise. ^