vor allen Dingen lieb ist, so drückte ich ihm beim Empfang
20 Francs in die Hand, die er denn auch mit Wohlgefallen
entgegennahm. Als ich aber eben aus dem Hause kam, um
mich hierher an das Flussufer zu begeben, rief er mich und
bat mich, ihm noch 20 Francs zu leihen. Obgleich ich nun,
als ich bei meiner ersten Reise bei ihm logirte, schon ein
Mal sein Bauquier war, so erlaubten mir Zeit und Mittel dies
Mal nicht, seinen Wunsch zu erfüllen, da ich wahrscheinlich
schon übermorgen von hier werde aufbrechen müssen. Während
die Berber-Bevölkerung bis zur Mdaghra inclusive dem
Ait-Sdig-Stamme angehört, beginnt hier das Gebiet der Ait-
Atta oder Attaui. Dieser Stamm, einer der ausgedehntesten
der Berber, herrscht auch am l’Ued Draa vor und soll sich
mit anderen untermischt bis zum Niger erstrecken.
Der Fall des Flusses ist gering, wie ich auch aus dem
Luftdruck auf mein Barometer schliesse, indem der Unterschied
zwischen hier und Mdaghra bloss einen halben Grad
beträgt. Die Wärme im Zimmer ist, seitdem ich in Mdaghra
bin, fast immer durchschnittlich 30° C. gewesen, sowohl
Nachts als Tags, indem die äussere Temperatur wenig Einfluss
auf das Innere der fast hermetisch verschlossenen Zimmer
hat. Draussen habe ich noch nicht gewagt, ein Thermometer
aufzuhängen, da meine Sachen ohnedies schon Aufsehen
genug erregen.
Gestern hatte ich Gelegenheit, ein Thermometer hinauszuhängen.
In der Sonne erreichte es um 1 Uhr Nachmittags
52°, im Schatten 32°, im Zimmer 33°, im Wasser des l’Ued
Ertib 26°. Dabei war es windig und das Wetter etwas abgekühlt
durch ein am Abend vorhergegangenes Gewitter.
Muley-el-Kebir hat mir noch mehrere Empfehlungsbriefe
für l’Ued Saura geschrieben, im Falle die von Tafilet nach
Tuat gehende Karawane jenen Wag nehmen sollte. Er hat
mich in Aly-Bu-Saidan mit gewohnter Gastlichkeit bewirthet,
wofür ich ihm noch so wie für die Briefe, die er mir schrieb,
mein Opernglas schenkte, da ich mich desselben doch nicht
bedienen kann und er sehr kurzsichtig ist. Heute Morgen
nahm ich denn von ihm Abschied und es war nun Komödie
vor den versammelten Leuten, denn er selbst muss doch wohl
nach allen Gesprächen zwischen uns überzeugt sein, dass ich
bloss äusserlich, um zu reisen, Muselmann bin, — er ergriff
meine Hand und bat mich, drei Mal auf die Phrase: Lah
illaha il Allah, die er aussprach, ihm zu erwidern: Mohamet
ressul ul-Lah (wörtlich: Mohamet ist der Gesandte Gottes),
was ich denn auch th a t, ein Mal, da ich ja äusserlich den
mohammedanischen Glauben angenommen habe, andererseits
ja selbst ein Christ gegen diese Phrase Nichts einwenden
kann. Um 7 Uhr heute Morgen brach ich dann auf und
fortwährend längs des Flusses reitend, der, abgesehen von
vielen Krümmungen,, eine SSO.-Richtung ha t, erreichten wir
um 10 Uhr den grosseu, am rechten Ufer liegenden Ksor
Uled A'issa, wo der Scheich des Dorfes meine Hülfe wegen
eines Augenübels nachgesucht hatte.
Uled A'issa ist einer der grössten Ksors und hat über
600 bewaffnete Männer. Hier wie überall unter den Marokkanischen
Stämmen zählen die Leute nach ihren Waffen, denn
jeder rüstige Mann hat ein Gewehr; rechnet man nun auf
einen robusten Mann einen Alten, eine Frau und ein Kind, so
bekommt man ziemlich annähernd die Zahl der Bevölkerung.
Man wundert sich vielleicht, dass ich auf einen robusten
Mann bloss drei andere Individuen rechne, wer aber die hiesigen
Verhältnisse, die Unzulänglichkeit der Nahrung, die
schrecklichen Krankheiten, die Polygamie in Anschlag bringt,
wird finden, dass die angegebene Zahl ziemlich richtig ist;
denn auch die Polygamie, weit entfernt, das Wachsthum der
Bevölkerung zu fördern, ist, wie wir in allen mohammedanischen
Staaten sehen, ein Mittel der Entvölkerung und die
meisten Familienväter, die mehrere Frauen nehmen, erzeugen
mit ihnen nicht so viele Kinder als andere mit Einer, und
meist sind die hervorgebrachten schwächlich und zeugungsunfähig.