ihm aus übersieht man die ganze Siss- Ebene und die drei
Städte Miclteniss, Muley-driss-Serone und Fes.
Am 12. Mai brachen wir um 4 Uhr Morgens in SSO.-
Richtung auf, statt der steinichten Berge der Beni-Mtir hatten
wir jetzt die schön bewaldeten Berge der Beni-Mgill vor uns
und um 8 Uhr Morgens erreichten wir ihr Gebiet; um 9 Uhr
Hessen wir Asro, die Hauptstadt oder vielmehr den Hauptort
der Beni-Mgill am l’Ued Bet, eine Stunde von uns rechts
(westlich) liegen. Die Beni-Mgill bewohnen vorzugsweise auch
das Zelt, haben jedoch ausserdem einige Tschars, von denen
Asro der hauptsächlichste, er hat über 200 Häuser. Es
fehlt mir die Gabe, die Grossartigkeit der Natur in dieser
Gegend zu schildern. Der vorwaltende Baum war die Lärche,
jedoch von solchen Dimensionen,' wie ich sie nie gesehen;
Stämme von 3 bis 4 Meter in Umfang - ich habe sie selbst
gemessen — waren gar nicht selten, überall Urwald, dann
Steineiche und unser Distelbaum, der ebenfalls eine ungewöhnliche
Höhe erreicht. Mächtige Stämme abgestorbener Bäume,
die unbenutzt liegen bleiben, versperrten uns manchmal den
Weg. Es blühten unser Alpenröschen, Maiglöckchen, die
Butterblume, kurz man hätte sich eher in der Schweiz oder
Deutschland geglaubt als anf einem der höchsten Atlas-
Punkte.
Im ununterbrochenen Walde arbeiteten wir uns bis
Mittag so fort und stiessen dann auf eine zahlreiche Karawane
von umziehenden Berbern, die einen anderen Weideplatz
bezogen. Sie gaben uns Nachricht von kriegerischen Streitigkeiten,
die unter den Beni-Mgill wegen der Weideplätze ausgebrochen.
Da der Duar des Anführers unserer Pilger darin
verwickelt war, so Hess er uns unter dem Schütze der
umwandernden Beni-Mgill und brach mit dem Versprechen,
uns am folgenden Tag abholen zu wollen, nach seinem Duar
auf. Wir lagerten uns demnach mit dem befreundeten Stamme
auf einem freien Platze mitten im Walde, den Ort bezeich-
neten sie mit dem Namen Sansda. Die Beni-Mgill wie die
Beni-Mtir und Ait-Yussi, welch’ letzterer Stamm östlich von
beiden ersteren sein Gebiet ha t, sind äusserst kriegerisch,
räuberisch und diebisch. Während der eigentliche Karawanenweg
über Sofru und durch die Ait-Yussi und Luxabi nach
Tafilet jetzt vollkommen versperrt ist, eben durch die Ait-
Yussi, lassen die Beni-Mtir und Beni-Mgill die Karawanen
zwar durchziehen, aber gegen ungeheuer hohes Zollgeld, so
dass augenblicklich fast aller Verkehr zwischen Tafilet und
Fes stockt, wenn man nicht über Marokko ziehen will. Ich
hatte natürlich weder den Beni-Mtir noch den Beni-Mgill
irgend Etwas zu zahlen, im Gegentheil, ausser dass sie
manchmal argwöhnisch meinten, ich sei doch wohl ein verkappter
Christ, behandelten sie mich sehr gastfrei. Indess
hatte ich mich sehr in Acht zu nehmen, an Schreiben war
nicht zu denken und nur heimlicher Weise konnte ich einige
Notizen aufzeichnen. Die Beni-Mtir, obgleich zahlreicher als
die Mgill, denn sie haben nach ihren Aussagen 2000 berittene
und mit Flinten bewaffnete Männer, mussten doch vor den
letzteren, die nach ihrer Angabe nicht mehr als 1500 Streiter
haben, weichen und das schönste, fruchtbarste Gebiet des
Atlas ist jetzt in den Händen der Beni-Mgill. Ihre Lebensart
und Gebräuche sind die der übrigen Berber, die Sitten sind
reiner als die der Araber, obgleich sie wenig Schamgefühl
besitzen. So beobachtete ich Abends Spiele der Jugend,
wobei sie nackt wettliefen und die Weiber zusahen, ohne
Anstoss daran zu nehmen. Indess kommen Unzucht, Ehebruch
u. s. w. selten bei ihnen vor, es ist dies vielmehr ein
wilder Naturzustand. Meine Sachen erregten wie überall das
grösste Aufsehen, namentlich meine Waffen, und mein Zelt
war immer den ganzen Tag mit Neugierigen angefüllt, die
den Revolver sehen wollten.
Als am 13. Mai die Nachricht eintraf, dass die streitenden
Parteien Frieden gemacht, beschloss ich aufzubrechen,
da mein Wirth mir a n b o t, mich zum Duar Si-Abd-Allah’s
zu begleiten. Wir gingen also um 8 Uhr in SSO. - Rieh