Ein ,4jähriger — von mir operirter —. Knabe batte eine
doppelte Hasenscharte, das kurze Lippenmittelstück war
der Haut des Septum narium gerade gegenüber, die
Ossa intermaxillaria standen zwar nicht in der Pürzel-
form separat, ragten indessen stark hinter dem mittleren
Lippenpürzel hervor, während die Kiefer zurückstanden
, so dass diese Richtung des Intermaxillarund
Maxillarapparalcs die Trennung der Lippe begründen
konnte. Etwas Aehnliches findet man bei
solchen Menschen, wo der mittlere — vordere —
Theil des Oberkiefers stark hervorragt $ die Lippe ist
nämlich als Folge davon auch zu kurz geblieben —
von oben nach unten — und bedeckt diesen Kie-
fertlieil nicht gehörig. Bei^m Sprechen stehen nicht
allein die oberen Schneidezähne, sondern auch der Oberkiefer
ganz blos. Gespalten ist die Lippe desswegen
nicht, weil der Intermaxillarapparat mit dem des Oberkiefers
an beiden Seiten verschmolzen ist. Höchst interessant
war*s bei dem Knaben noch, auf der äusseren
Fläche an jeder Seite durch das Involucrum maxil-
lae einen zwischen dem Dens incisivus lateralis und ca-
ninus befindlichen schmalen, ganz die Richtung . der
Sutura intermaxillaris facialis bei’m Affen nehmenden,
zu fühlenden und so deutlich zu sehenden Sulcus, dass
er abgebildet werden konnte, wahrzunehmen1). Diese
Längenfurchen waren offenbar Vestigia der Suturae
intermaxillares faciales, welche indessen wegen der
starken Prominenz der Zwischenkieferknochen nur bis
1) Die Zeichnung habe ich dem Herrn Dr. C a s p e r zum Stich überlassen.
Sie findet sich in seiner Dissertat. auf Tab. III. Fig. 2 mit
den beschriebenen Sulcis abgebildet.
zum 4ten Jahre geblieben waren. Da die Spalte zwischen
den sonst isolirten Zwischenkieferknochen und
Maxillen hier fehlte, so befanden sich in den Intermaxillarbogen
auch 4 Incisores. Ganz eigen war’s noch,
dass an jeder Seile 2 Canini sassen $ der 2te war eben
so ein Cuspidatus, als der erste, und ihm folgte der
erste Ricuspidatus.
Was endlich die Zahl der Zähne bei der Pürzel-
form betrifft, so sollte man glauben, es müssten nur
die Incisores medii vorhanden seyn, und die laterales
der beiden Spaltungen wegen fehlen 5 ich habe indessen
in den weggenommenen Zwischenkieferknochen oft 5
Incisores gefunden, der eine Incisivus lateralis kam
mit dem einen Incisivus medius aus e ine r Alveole,
war aber viel kleiner, als der mittlere. Auch habe ich
vor dem Zahnausbruch in jeder Alveole die Kroneu
zweier Incisores auf einander liegen gefunden.
In der Geschichte haben die Zwischenkieferknochen
Epoche gemacht, sie sind schon seit Ga l e n ’s Zeiten
der Zankapfel zwischen den berühmtesten Männern gewesen
, ob sie nämlich auch dem Menschen so eigen-
thümlich wären, wie den Säugethieren. Der Streit
ward indessen bis auf G o e th e ’s l) Zeiten über eine
jeder der streitenden Partheien Res occulta geführt,
indem Keiner in den ersten Fötalmonaten gesehen hat,
sondern Alle nur aus den Vestigiis auf jene schlossen.
— Divinus Galenus war Aller Adminicu-
1) Dem Menschen wie den Thieren ist ein Zwisclienknochen der obern
Kinnlade zuzuschreiben. Jena. 1786 in Goethe’s Zur Naturwissenschaft
überhaupt, besouders zur Morphologie. B. 1, H. 2. Pag.
201. 1820.