ZWEITES KAPITEL.
E h e ich dazu übergehe, die Resultate meiner eignen an th ro pologischen
Untersuchungen au f Nias mitzuteilen, möchte ich
in chronologischer Reihenfolge die Meinungen an d e rer Schriftsteller
ü b er die Abstammung u n d physischen Eigenschaften
d er Niasser vorausschicken. Bei Marsden *) liest m an : „The
inhabitants of Pulo Nias are very numerous and of a race
distinct not only from those on the main (for such we must
relatively consider Sumatra) but also from the people of all
the islands to the southward with the exception of the last-
mentioned. (Pulo Batu). Their complexions, especially the
women are lighter th an those of the Malays; they are smaller
in th eir persons and sh o rter in stature.”
Nach Ho rn e r 2) unterscheiden sich die Niasser in Bezug
au f ih re Körperverhältnisse auffallend von den malaischen
Stämmen, zu denen seiner Meinung nach, im weiteren Sinne
auch die Buginesen u nd Javanen gerechnet werden müssen.
Die Niasser dagegen sollen nicht n u r ih re r körperlichen
Eigenschaften wegen, sondern auch in Bezug au f S itten ,
Kleidung, Waffen u. s. w. mit den ungebildeteren b rau n en u nd
langhaarigen Yolkstämmen übereinstimmen, die im Inne ren
d er östlicheren Inseln des indischen Archipels wohnen u n d
ausserdem ü b er die ganze Inselwelt des Stillen Ocans verbreitet
sind. Unter diesen versteht Ho rn e r die Dajak von Borneo, die
Alfuren von Celebes, die ursprünglich b raunen nicht m alaisch
sprechenden Bewohner der Molukken, die Bewohner von
1) Marsden, W., History of Sumatra. Third edition. London, 1811.
2) Horner, L., Bijdrage tot de kennis der Batoeeilanden. Tijdschr.
voor Ned. Indie. 3e Jaarg. lste Band. 1840.
Timor u n d die Südseeinsulaner, die keine schwärzliche Haut
u n d kein krauses Ha ar besitzen, kurz alle, die Lesson 1) dem
zweiten Zweig seiner hindu-kaukasischen Rasse einordnet
u n d die er Oceanier nennt. H o rn e r selbst wa r die Übereinstimmung
im Körperbau bei den Niassern u n d Dajak besonders
aufgefallen. E r glaubt jedoch, dass n ich t n u r die Niasser,
sondern auch die Bewohner der übrigen Inseln von West-
Sumatra, von Engano, den Pagehinseln, den Adamanen und
Nikobaren u nd teilweise auch die des weit abgelegenen Madagaskars
ebenfalls d er oceanischen Rasse angehören.
Jung h u h n 2) fand die körperliche Übereinstimmung zwischen
Niassern u nd Batak so gross, dass er die beiden Völker für
stammverwandt hielt, u nd glaubte die Niasser als batakische
Kolonisten betrachten zu dü rfen ; er giebt jedoch zu, dass man
erst nach ein'er genauen Untersuchung d er Bewohner im In n e rn
von Nias dazu berechtigt sein wird. Die Niasser sollen nach
Ju n ghuhn zu einer d er drei Urrassen des indischen Archipels
gehören, die durch generatio originaria da, wo sie leben, entstanden
sind. E r unterscheidet erstens die Negritenrasse, zweitens
die Rasse der Batak, Dajak, Alfuren, Passumah, Timoresen,
Balinesen un d Buginesen, zu denen auch die Niasser gehören
sollen u nd als dritte Urrasse die malaische, zu der er die
Minang-Kabau-Malaien, die Malakka-Malaien, die A tjeh e ru n d
Javanen rechnet. Als Punkte, in denen die Niasser u n d Batak
übereinstimmen, n en n t Ju n g h u h n :
1. Beider Schädel besitzt nicht die cylindrische F o rm d er
Mongolen u nd der Hinterkopf ist nicht viereckig abgeplattet
wie bei den Malaien, sondern ru n d e r wie bei den Europäern.
2. Ih re Gesichtszüge sind regelmässiger, die Stirn ist h ö h e r
u nd die Jochbeine sind weniger hervorstehend, die Lippen
d ü n n e r als bei den Malaien.
3. Das Haar ist feiner, bei den Batak häufig braun.
1) Lesson, A. et Martinet, Les Polynésiens, leur origine, leurs
migrations. Paris, 1881.
2) Junghuhn, Fr., Die Battalânder auf Sumatra. 1847.