Im ersten Teil meines Werkes zeigte ich ausführlich wie ih r
ganzes Leben von dieser Geisterfurcht beeinflusst ist und welche
Rolle die Priester dabei spielen.
Bedenkt man das alles, so wird uns au f’s Neue deutlich,
wie kompliziert das Leben dieser wenig entwickelten, scheinbar
so einfachen Eingeborenen eigentlich ist und wie sie es sich
selbst erschweren. Tröstlich ist, dass die Art die bösen Geister
zufrieden zu stellen manchmal ziemlich einfach und bequem
ist. Befolgen sie treulich alle priesterlichen Vorschriften, so
ist es fü r sie doch noch möglich unbekümmert und sorglos
d u rch ’s Leben zu gehen, u nd sollten sie durch ein Versäumnis
die Geister beleidigt h ab e n , und ihren Zorn fürchten
müssen, n u n auch dann sind die Priester w ieder bereit und
nach dem Glauben der Niasser auch dazu im Stande, sie wieder
zu versöhnen. Und kommt es vor, dass dies nicht gelingt, dann
weiss ein richtig gearteter Niasser sich damit abzufinden und
sein Schicksal zu tragen.
Grosse Unannehmlichkeiten bereiten die Habsucht und Begehrlichkeit
der Niasser dem Reisenden, der Sammlungen
anlegen will. F ü r Gebrauchsgegenstände in ihrem Besitz, die
ich gerne sammeln wollte, forderten sie häufig so übertriebene
Preise oder Belohnungen, die durchaus in keinem Verhältnis
zum wirklichen Wert der Sachen standen, dass ich wieder-
holentlich davon absehen musste. Wenn ich in einen Kampong
k am , liess ich gleich bekannt m achen, dass ich Gebrauchsgegenstände
u nd auch allerlei Tiere zu kaufen wünschte und
liess die Leute bitten mir allerlei was sie hergeben wollten,
zu bringen. So erinnere ich m ich , dass in L&löwua in Ost-
Nias einmal ein kleiner Junge mit einem F ro sch , den er gefangen
h a tte , zu m ir k am , un d au f meine Frage, was er dafür
haben w o llte , seelenruhig 2 \ Gulden forderte. Es ist begreiflich,
dass man in dieser Weise schwerlich eine zoologische Sammlung
zusammen bringen kann. Die Niasser geben oder tun
nichts umsonst, sie müssen stets eine Belohnung erhalten.
Schenkt man einem etwas, so wollen alle, die es sehen, dasselbe
haben. Das machte sich auch bei der Behandlung d er Kranken
b em erk b ar; gab ich einem Patienten irgend ein Medikam
en t, so mussten alle ände rn dasselbe Mittel haben.
Die Neugier der Niasser ist die Triebfeder ih re r Lernbegierde.
Es ist mehrmals vorgekommen, dass junge Niasser mich baten,
bei mir bleiben und mich ferner auf meiner Reise durch die
Insel begleiten zu dürfen, selbst nach Europa wollten sie mitgehn.
Der Wunsch viel zu lernen und etwas von der W elt zu
sehen war stets die Veranlassung ih re r Bitte.
Im allgemeinen steht d er Südniasser auf einer höheren E n twicklungsstufe
als der Mittel- und Nordniasser, auch der Kunstsinn
ist bei den erstei en grösser. Ich sah im Süden sehr schönes
Schnitzwerk und besonders kunstvoll gearbeitete Schmuckgegenstände
und Waffen. Die Preise je d o c h , die d afür gefordert
wu rd en , waren in der Regel nicht zu erschwingen, denn
derartige Gegenstände befinden sich n u r im Besitz von angesehenen
Eingeborenen, die an diesen Familienstücken hängen
und meistens natürlich keinen Grund haben sie zu verkaufen,
es sei denn, dass ihnen ein aussergewöhnlich h oher Preis geboten
wird.
Es wurde bereits d a rau f hingewiesen * dass die Niasser gegen
ihre Kinder viel zu nachsichtig sin d , die Frauen dagegen
häufig rau h und hochfahrend behandeln. (Die Heilkunde der
Niasser).
Die vornehmen Niasser pflegen den ärmeren gegenüber
meistens Stolz und Hochmut zur Schau zu tragen und kein
Unrecht darin zu sehen einem Armen auch noch das wenige
was er besitzt zu entreissen.
Auf der ziemlich rohen Kulturstufe, Welche die Zustände in
Nias uns vor Augen fü h re n , hat das niassische Sprichwort
„Wer k ra tz t, der kratzt nach sich h i n ”, das unserm „ jed e r
ist sich selbst der Nä chste” entspricht, seine Geltung noch
nicht verloren.