
Da eine Übertragung des Samens von einer Kolonie auf die andere ausgeschlossen erscheint
so ist eine Kreuzbefruchtung in diesem Sinne unmöglich. Selbst wenn die von Cori beschriebene
Excretionsöffnung*) wirklich vorhanden und für den Austritt der Spermatozoen geeignet wäre, wenn
die letzteren ferner ohne Schaden eine Zeit lang im Wasser zu leben vermöchten (was nicht der Fall
ist), so würde doch immer eine Öffnung fehlen, durch die sie in eine andere Kolonie eintreten
könnten. Die Befruchtung wird also stets 'eine Selbstbefruchtung in Bezug auf die Kolonie als
Ganzes sein. Eine Kreuzbefruchtung könnte man nur in Bezug auf die einzelnen Individuen der
Kolonie zugeben, insofern die Spermatozoen aus dem einen Cystid leicht in das andere gelangen und
dort die Befruchtung ausführen können. Immerhin wird das befruchtungsfähige Ei nach Massgabe
der räumlichen Verhältnisse mehr Aussicht haben, von den Spermatozoen des benachbarten als von-
denen eines entfernt gelegenen Hodens befruchtet zu werden, falls nicht etwa ein höherer Grad von
Wahlverwandtschaft gerade die Vereinigung von Geschlechtsproducten verschiedener Abkunft unterstützt*
Der Behauptung von Cori (’91, S. 14), „dass die Bildung des Samens früher als die der Eier
erfolgt, kann ich nicht beipflichten. Träfe sie für den Stock als Ganzes zu, so würde das nur die
Sterilität desselben begünstigen. Aber auch bei der einzelnen Knospe Mit die männliche Reife mit
der weiblichen zusammen; neben- dem reifen, unbefruchteten oder selbst kürzlich befruchteten Ovarium
habe ich den zugehörigen Hoden immer in functionsfähigem Zustande gefunden.
Die Befruchtung selbst habe ich nicht beobachtet, auch habe ich weder Richtungsspindeln
noch Richtungskörper mit Sicherheit constatiren können. Allerdings war es zuweilen möglich, gewisse
im Umkreise des gefurchten Eies auftretende Körper als Richtungszellen zu deuten, aber ich vermag
dieser Deutung nicht einmal den Werth einer Wahrscheinlichkeit beizulegen. Dagegen glaube ich
mit Bestimmtheit, dass an den im Ovarium befindlichen Eiern eine Befruchtung überhaupt nicht vollzogen
wird; Spuren derselben hätten mir sonst nicht entgehen können. Unter keinen Umständen
*) Anlässlich der neuesten Publicationen über diesen Punkt will ich bemerken, dass ich meine früheren
Angaben über den anatomischen Bau des vermeintlichen „Nephridiums“ (’90, S. 51 ff.) v o l lk o m m e n a u f r e c h t
h a l t e . Ich habe die betreffenden Schnittserien, die ganz ohne Tadel sind, wiederum durchgesehen und bin dadurch
in meiner alten Auffassung nur bestärkt worden. Auch die Existenz einer äusseren Öffnung bleibt mir nach wie
vor fraglich.
Was den letzteren Pu n k t betrifft, so weise ich nochmals darauf hin, dass die Bestätigung, welche Verworn
(’87), der sogenannte „Entdecker“ der Öffnung, durch Cori (’91, ’93) erfahren hat, keine Bestätigung ist, da Cori die
Öffnung bei demselben Object (Cristatella) an einer ganz anderen Stelle gesehen haben will. Hat Cori die Öffnung gesehen,
so is t er und nicht Verworn der Entdecker derselben. Indessen hat Cori in keinem von seinen Schnitten die
Öffnung zu zeigen vermocht, einen einzigen ausgenommen (’91, Fig. 3 = ’93, Fig. 14; die halb schematische Figur
’91, Fig. 1 ^ ’93, Fig. 12 kommt hier nicht in Betracht), bei dem ich mich nicht des Verdachtes erwehren kann,
dass gerade an der entscheidenden Stelle eine Verletzung des Präparates stattgefunden h a t; denn wäre die Öffnung
wirklich eine so klaffende, so könnte sie, selbst bei starker Verengerung, in keinem gut gelungenen Medianschnitte
verborgen bleiben.
In letzter Zeit h a t sich auch Oka (’95, ’95»), der die Hohlräume der Lophophorregion sonst ebenso auffasst
wie ich, hinsichtlich der Öffnung zu Cori’s Ansicht bekannt. Auch er bringt jedoch keine entscheidenden Bilder;
wirklich sehen th u t man bei ihm die Öffnung nur in schematischen und halb schematischen Zeichnungen, denen keine
Beweiskraft zukommt. Oka’s Untersuchungen sind an Pectinatella gemacht worden, die eine Mittelstellung zwischen
Cristatella und Plumatella einnimmt. Daraufhin habe ich nochmals Präparate von Plumatella fungosa angefertigt,
aber nicht mehr an denselben erkennen können als früher.
Schwerer wiegt für mich die Angabe Cori’s (’93, S. 636), dass er die Entleerung des Organs am lebenden
Thiere beobachtet habe. Dies wäre schlagend, wenn man nicht gerade in solchen Fällen, sofern sie vereinzelt bleiben,
mit der Möglichkeit einer Täuschung zu rechnen hätte.
vermag sich das Ei im Ovarium zum Embryo zu entwickeln: nur im Uterus, dem sogenannten
Oöcium, geht seine Entwickelung von. statten; hier dürfte auch der Ort sein, wo es normalerweise
befruchtet wird. Ob die Ovarialeier, welche Kraepelin, ’92, Fig. 58—61, abgebildet und als
„Furchungsstadien“ gedeutet hat, correct wiedergegeben sind, mag dahingestellt bleiben; Furchungsstadien
sind es gewiss nicht.
Die Vermuthung, dass erst beim Übergange des Eies in das Oöcium die Befruchtung zu
Stande kommt, wird dadurch bestärkt, dass man im Ovarium sehr häufig die Spuren einer v ersuchten
aber n ich t v o llz o g en en Befruchtung entdecken kann.
An der Peripherie der Eier finden sich oft eigenthümliche Körper, welche einzeln oder in
Mehrzahl dem Ei dicht anliegen (Taf. H, Fig. 54, sp) und von Karmin stark gefärbt werden. Sie
bestehen aus zwei deutlich geschiedenen Th eilen. Der weitaus grössere (Fig. 74, h) ist rundlich und
mehr oder weniger abgeplattet, etwa 0,008 mm hoch und 0,005 oder 6 mm breit; übrigens
wechselt die Form bedeutend; zuweilen ist dieser Theil kappenärtig gewölbt, zuweilen mit einer
mittleren Vertiefung versehen, zuweilen erscheint er rosettenförmig. Er ist dem Ei mittels eines
scheibenförmigen, dünnen Basalstückes (Fig. 74, b) wie mit einer Kittmasse angeheftet, und dazwischen
erkennt man einen kleinen, stark lichtbrechenden Punkt, genau im Centrum der Trennungsfläche
gelegen (Fig. 74; Fig. 82, k).
So ungefähr ist der Körper auch von Kraepelin (’92, S. 20) beschrieben worden. Kraepelin
sieht darin das Umwandlungsproduct eines Samenfadens während oder nach der Befruchtung, ohne
jedoch seine Auffassung zu begründen oder auf die Deutung der einzelnen Theile sich einzulassen*).
Indessen wäre schon aus den Angaben seiner Vorgänger zu entnehmen gewesen, dass es sich hier in
der That um ein Spermatozoon handelt, und zwar um ein solches, das die Befruchtung n ich t ausgeführt
hat.
Reinhard, in seiner russischen Arbeit (’82, S. 87 f.), theilt mit, dass er öfters die Samenfäden
am Ovarium sich anheften gesehen habe und dass dieselben dabei ihre Gestalt sehr stark
veränderten. Seine Abbildungen (’82, Taf. VI, Fig. 8) machen es wahrscheinlich, dass wir in den
oben beschriebenen Körpern solche veränderten Samenzellen vor uns haben, zumal er hinzufügt, dass
er den Übergang derselben in das Innere des Eies nie habe beobachten können.
Einen Schritt weiter führen uns die Angaben Korotneff1 s (’87, S. 338 f.)* Korotneff sah, wie
Kopf und Hals des Samenkörpers den Follikel durchdrangen und sich an der Aussenfläche des Eies
anlegten, wobei der Hals „ein klumpenartiges Aussehen“ gewann, während der Schwanz abgeworfen
wurde. Die Figur, welche zur Illustration dieses Verhältnisses dient, ist auf unserer Tafel I, Fig. 50,
reproducirt worden. Sie legt den Schluss nahe, dass das Hauptstück der an der Eiperipherie auftretenden
Körper den Hals des Spermatozoons, der darunter befindliche Punkt den Kopf repräsentirt.
Den letzteren hat Korotneff ebenso wenig wie Reinhard in das Ei übergehen gesehen, ein Umstand,
der ihn zu der Vermuthung veranlasst, dass lediglich der Nucleolus, den er sich im Innern des Kopfes
gesondert vorstellt, in das Ei Aufnahme finden möge.
Die Zweifel, denen unsere Deutung vielleicht noch begegnen könnte, werden vollends beseitigt
durch die Wirkung, welche das Auerbach’sche Gemisch (s. oben S. 7) auf die fraglichen Körper
*) In einer während des Druckes erschienenen Mittheilung (’96) h a t er diese Ansicht sogar w i d e r r u f e n .
Er ist zu der Überzeugung gekommen, dass die fraglichen Körper P h a g o c y t e n sind, welche in die Ovarialeier
einwandern [Verwechselung mit den Körnchen der äusseren Zone] und dieselben verzehren.