drückt; allein der Künstler ist in seiner Auswahl
sehr eingeschränkt; nur wenige solche
Handlungen sind für die Kunst anschaulich
und ¿chön; er kann sie nicht, wie der Dichter,
durch Reden und Vergleichungen und
Beywörter für die Phantasie beleben. Noch
schwerer wird für ihn die Aufgabe, wenn
er seinen Charakter blos in einem Kopf darstellen
soll; mag er die Hauptzüge noch so
glücklich gesammelt und ausgedrückt haben,
so mufs er den Fähigkeiten, der Imagination
und der Verähnlichungsgabe, des Anschauenden
vieles noch überlassen.
Es kann also ein sehr irriges, aber auch
ein sehr richtiges Urtheil seyn, was man oft
über einen Kopf in der Kunst hört: man
müsse sich diefs oder jenes, man müsse sich
vieles, erst hinzu denken. Allerdings bringt
es Natur und Grenze der Kunst mit sich, dafs
man sich vieles hinzu denken mufs; noch
mehr aber bey einem Werke, wohey der Künstler
selbst vieles gedacht hat; wo man seine
Gedanken lesen, den Sinn erreichen und sich
erklären mufs. Alles Sittliche, aller Seelenausdruck,
erfordert, dafs man mit dem Künstler
denke, ihm nachdenke, mit ihm gleich
denke. Leichter ist das Lesen und Verstehen
des von ihm Gedachten, wenn die Natur selbst
durch die Form spricht; besonders wenn die
Leidenschaft spricht; hier sind die Zeichen
deutlich und verständlich; oft auffallend. Anders
verhält es sich mit dem Sittlichen, mit
dem, was mit Denkkraft näher vereiniget ist,
was der Seele wesentlich eigen geworden ist;
für alles dieses bleibt es ein in Natur und
Kunst bestimmtes Gesetz: man kann es nicht
verstehen, ohne sich erst Mehreres hinzu zu
denken. Was der Künstler ausgedruckt hat
und ausdrücken konnte, sind von Einzelnen
abgezogne Begriffe, in sinnliches Bild verwandelt;
um diefs recht zu fassen, mufs ich
oft jene einzelne Fälle mir wieder lebhaft vorstellen,
wo Lage und Umstände den Charakterzug
kenntlich und deutlich machten. Frey-
lich ist die Grenzlinie zwischen dem Imaginären
und Chimärischen, was hinzu gedacht
zu werden pflegt, oft sehr fein; Künstler und
Beschauender können beyde über die Linie
hinausgehen, eben so gut als sie diesseits der
Linie stehen bleiben; diefs zu viel und zu
wenig zu beurtheilen, bleibt immer Werk
des feinem Gefühls, das sich aber vom Individuellen
nie völlig trennen läfst, und also
immer etwas von ändern Verschiedenes und
Eigenes bey Jedem haben kann.
D i e Anwendung von dem Gesagten wird
sich nicht weniger an unserm Diomedeskopf
bestätigen. Er ist nach einer Marmorbüste im
Museo Pio Clementino gezeichnet, und befand
sich schon im ersten Hefte unter den
sieben Heldenköpfen, aber mehr im Profil,
und nicht in der Gröfse, wie hier ')■