Un s t r e i t i g fafst unser innere Sinn
gleich beym ersten Anblick am Polyphem
alles das Häfsliche und Abscheuliche eines
brutalen Menschen, und am Ulyfs das Verständige,
Besonnene und Anschlägliche eines
gebildeten Mannes, auf. Selbst in jedem Vers
der Erzählung Homers drängt sich die Wahrnehmung
hinzu, ohne dafs man sagen darb
der Dichter habe die 1 ErzählunOg darauf angelegt,
ein solches Unthier und sein Gegenstück
zu schildern, und in uns Abneigung
gegen viehisches Laster und Zuneigung
gegen sittliche Güte zu erwecken. Nein, wenn
er den Polyphem schilderte, so konnte er ihn
nicht anders darstellen; und aus den Handlungen
des ändern gieng das Bild des Ulysses
hervor. Jener ohne alles das, was die Menschheit
bezeichnet und über die thierische Natur
erhebt; ohne Gefühl gegen Fremde, Hül-
feflehende, Nothleidende, das Gastrecht Fo-
dernde, ohne Ehrfurcht gegen die Götter
selbst; er hört den Nahmen eines berühmten
Mannes; er wird von ihm bey dem Nahmen
der Götter beschworen; mit brutaler
Dummheit antwortet er: “ Fremder, du
bist ein T h o r , oder mufst von weit her
gekommen seyn, dafs du mir sagst, ich
soll mich für die Götter fürchten, oder sie
scheuen. Die Cyclopen bekümmern sich
weder um Jupiter noch um Götter; wir sind
ihnen gar sehr überlegen. Also werde ich
aus Scheu gegen die Götter weder deiner
noch deiner Gefährten schonen, wenn mich
nicht mein eigner Sinn dazu treibt.” Da ihm
hierauf Ulyfs sein Unglück klagt, er habe
SchifFbruch gelitten, und habe sich nebst
seinen hier stehenden Gefährten mit Noth
gerettet, so hört das Unthier fühllos zu, und
die ganze Antwort ist: er fafst zwey der Gefährten,
zerschmettert sie, und frifst sie. Und
das andre mal, da er den gereichten Becher
dre y. mal geleeret hat, fragt der tückische
Mensch nach seinem Nahmen, und antwortet
ihm mit bofshaftem Spotte: “ du heifst
Niemand? gut, den Niemand verzehr ich
zuletzt!”
E ben dieser rohe brutale Mensch erscheint
weiter hin mit der gröfsten Dummheit.
Dafs ihm der berauschende Trank mit
Absicht gereicht, und dafs er mit einer Gefahr
bedrohet werde, ahndet er gar nicht;
den ändern Morgen, da er geblendet ist, die
Heerden austreibt, sich in den Ausgang der
Höhle setzt, die Hände ausbreitet, und erwartet,
dafs ihm die Fliehenden in die Arme
laufen sollen; denkt er eben so wenig so weit,
dafs die Fremden unter ihm, auf der Erde
kriechend, oder auf andre Weise sich retten
können. Natürlicher Weise springt aus diesem
allem die Wahrnehmung hervor, wie
weit der blofsen Körperstärke Vernunft und
Klugheit überlegen ist, und wie viel Vor