England sind mehrere; aber der schönste ist
dieser, den der König von Neapel besitzt, und
der unter dem Nahmen des F a rn e s is ch en
bekannt ist, da er ehemals in dem Hause Farnese
stand. Er ist schön ausgeführt, deutlich
gezeichnet; wo die Haut dicht anliegt glaubt
man den Knochen durch zu sehen; und die
weichen Theile der Backen scheinen wirklich
Fleisch zu seyn; die Haare und der Bart sind
besonders weich und locker gearbeitet, und
scheinen eher mit dem Pinsel als mit dem
Meisel im Marmor gearbeitet zu se yn 2). Das
Diadem bezeichnet ihn überall als den Göttlichen,
oder Vergötterten. Die Blindheit
gründet sich auf eine alte Sage, welche vielleicht
blos aus einer Bedeutung seines Nah-
mens abgeleitet ist; denn aus Ermangelung
aller sichern Nachrichten von ihm, hat man
schon in den frühsten Zeiten Mehreres von
ihm und über ihn erdichtet, so gar ohne auf
den Geist, die Sitten und Verhältnisse der Zeiten
zu achten, in welchen er gelebet haben
soll.
L össt man nun unsre Vorstellung vom
Homer und von dem Persönlichen desselben
auf, so sind Folgendes die Bestandteile:
Man hatte alte Gedichte, man hatte einen Nahmen,
man vereinigte Beides, und es entstand
ein Homer, als Verfasser derselben; von diesem
machte man sich einen Begriff nach den
Gedichten, und entwarf ein Bild von ihm nach
dem Begriffe. Beydes, Begriff und Bild, ward
zum Ideal erhoben; diefs Ideal ist auf uns
fortgepflanzt, prägt sich unsrer Seele ein,
schwebt uns vor den Augen, wenn wir uns
den Homer denken, und begeistert den der
Begeisterung Fähigen. Wie viel ist nun hierin
vom eigentlich Persönlichen Homers enthalten!
So sehr verschwindet unser Selbst,
auch bey des Nahmens Unsterblichkeit; es
bleiben unsre Werke, oder ihre Folgen, nebst
einem Bilde, das sich die Nachwelt aus denselben
entwirft, und ein Nähme dazu; das
ist alles; cadit persona, manet res.
l ) D ie s s wird der im PioClementinobefindliche,mit dem Kopf des Archilochus seyn,
Tom. VI, t. 20. Herr T is c h b e in wird von diesem Doppelkopfe künftig hin auch eine
Zeichnung geben, so wie noch von einem ändern herrlichen Homerskopfe im Capitol, der
unter dem Nahmen des Smyrnäischen bekannt ist, auch noch von einigen ändern Kunstwerken,
welche sieh auf den Homer selbst zu beziehen scheinen. Alle diese Köpfe sind
nach einem grofsen Meisterweike verfertiget, nur mit mehr oder weniger Geiste, wenn
sie gleich alle die äufserliche Form darstellen. So verhalte es sich auch mit der sonst
gerühmten Capitolinischen Büste, welche im Museo Capitolino Tom. I , 54 in Kupfer noch
schlechter vorgestellt ist.
s ) D i e griechischen Künstler verstanden sich auf eine besonders glückliche Behandlung
der Haare im Marmor; in der Nähe sieht man blos eingebohrte Löcher, aber in
der Entfernung stellen sich die Locken dem Auge weich und locker dar.