diese, als die einfachste Erzählung, sey die
älteste gewesen; und Timanthes in seinem
berühmten Gemälde, da er den Schmerzen
des Vaters durch Verhüllen erhöhte, habe
eine gleiche Behandlung von wirklichem
Opfer befolget. Wer geneigt ist, durch einen
aufsteigenden vorschimmernden Gedanken
sich so fort blenden zu lassen, könnte sogar
ausrufen, dafs diefs Relief nach Timanthes
Gemälde entworfen seyn müsse. Dafs der
Eine von ihnen, und zwar derjenige, der dem
Anschauenden zur rechten Hand stehet, Achilles
sey, ist wahrscheinlich; seine erhobene
Hand scheint Nachdenken auszudrücken;
dafs der Gegenüberstehende Diomed sey,
läfst sich muthmafsen; allein einen beson-
dern Antheil hat er an der Handlung nicht
gehabt. Neben Achill rechter Hand stehet
ein nicht so jugendlicher Held, welcher
auch keine weitere Auszeichnung hat, nach
der man bestimmen könnte, wer er ist;
man hält ihn für Ulyfs; von dessen Charakter
er nichts hat; eher könnte es Me-
nelaus seyn; neben ihm stünde dann Agamemnon,
der aber keine Heldenbekleidung
hat, und also hier als trauernd vorgestellt
seyn müfste; sonst müfste man auf den
Wahrsager Calchas rathen; in diesem Falle
fiel aber die Hauptperson der ganzen Handlung
weg. Die gegenüber linker Hand stehenden
Figuren sind andere Achiven, welche
weiter keine Forschung im Einzelnen
erfordern.
Hier haben wir also ein Werk vor uns,
aus der Classe derer, bey denen der Deuter
sich blofs mit der allgemeinen Angabe begnügen
mufs, indem ihm sicherer Grund, das
Einzelne zu bestimmen, fehlt. Gehet er weiter,
so fällt er in kahle Muthmafsungen, die
jeder Andere leicht über den Haufen wirft,
wenn er gleich selbst nichts Besseres beyzu-
bringen weifs. Weifsheit des Deuters ist es,
sich innerhalb der Grenzen des Erwiesenen,
Erweislichen und Wahrscheinlichen, zu halten;
bis der Zufall irgends etwas aus einer unbekannten
Nachricht in einem alten Schriftsteller
oder auf einem alten Kunstwerke an
den Tag bringt, was Licht in den Sinn des
Kunstwerks hineinträOgt.
W as dem gegenwärtigen Relief *), das auf
einer Vase aus Marmor, in den Mediceischen
Gärten, ausgeführt ist, einen Werth giebt,
sind die einzelnen Figuren, ihre Zeichnung
und Ausführung im Einzelnen. Nimmt man.
an: die bereits als Opfer entseelte Iphigenia
liege am Fufse der Bildsäule der Göttin, und
um ihr stehen die Griechen voll Erstaunen und
Mitleiden, im Nachdenken vertieft: so läfst
sich ein Gegenstand des Werkes denken, welcher
nicht ohne Interesse seyn kann.
*) D ie Vase und das Relief stellen schon die Admiranda Romae von Santes Bartoli tab.18.19.
vor, als Iphigeniens Opferung. Eine weitere Erklärung ist nicht bekannt.