Ehe ich difse Uebersicht über den Einfluss* welken ■ das Studium der Schädeifornju tei^dqn
verschiedenen Volksstämmen auf die Entwickelung def .Ethnologie ausgeübt hat* schliesse-,.fdürfte es
nicht unpassend Sein, hier auch die Frage über die künstliche Umformung des Schädels zu berühren.
Diese ehedem von mehren orientalischen, griechischen und römischen Autoren besprochene oder
beschriebene heidnische Sitte war lange in der civilisirten Welt gänzlich vergessen, bis man vernahm,
dass dieselbe wie eine Verwunderung erweckende Eigenheit bei mehren amerikanischen Indianer-
Stimmen Statt finde. B lumenbach, welcher bei der Beschreibung eines Caraibe*sch'ädels von St.
Vincent zur Wiederaufnahme dieser Frage veranlasst wurde, erinnert daran, dass S abatiek, Camper
und A r tha u d die Möglichkeit einer solchen künstlichen Bildung des Schädels längnen, widerlegt aber
selbst diese Ansicht iaemlich vollständig '). In seiner Beschreibung des Schädels eines T-ürkenJ,führt
er ein Citat aus Vesa l iu s 8) an, welches wohl werfh ist, auch hier wieder in Erinnerung gebracht zu
werden: ’’plerasque nationes peculiare quid in capitis forma sibi vindicare eonstat Genuensjuin
namque, et magis adhuc Graecorum et Turcarum capita glohi fere imaginem exprimunt, ad hanc
quoque (quam illorum non pauci elegantem et capitis quibus varie utuntur tegumentis accoÄdhtum
censent) obstetricibus nonnumquam magna matrum solicitudine ferentibus.” f | Lange Zeit nächte*
weckte diese Sache wenig Aufmerksamkeit, big J en t la n d - die 'merkwürdigen Schädel aus Peru heimbrachte,
welche von T iedemann *) beschrieben,; und in Gips abgegossen in so viele öffentliche uiid
private Sammlungen zerstreut wurden. VieTt^andere künstlich geformte Sdhädel von. mehren verschiedenen
Formen kamen darauf aus demselben Welttheil an, bis wir in Mobton’s ’’Crania ameifcina”
eine ganze Geschichte dieser Sitte und der Weise, in welcher die Formung bei mehren Indianer-
Stämmen geschah, zu sehen bekamen.' Die mannigfachen'und gründlichen Nachrichten, welche wir
so aus Amerika erhielten, machten, dass diese ungereimte und heidnische Sitte, den Schädel künstlich
umzuformen, fast allgemein als ur7amerikanisch angesehen wurde. Udber die künstliche Formung
blieben jedoch die Meinungen lange getheilt. So wurde wiederum Selbst von dem ausgezeichneten
Anatomen T iedemann 6) erklärt, dass die sonderbare Form nicht künstlich, sondern eine natürlich®-
Bildung sei. Derselben Meinung war der schweizerische Naturforscher und Reisende T schu d l
” lm J. 1844 beschrieb ich einen Avarenschädel, vqn dem mir durch Prof. J. H yktl’s Güte ein
Gipsabdruck mitgetheilt war.6) Dieser Avarenschädel war künstlich geformt, mit einer nach.jUnten
gerichteten, sehr verlängerten .Scheitelregion, zeigte aber im I r r ig e n alle Merkmale, dass er einem
turanischen, d. h. brachycephalischen, Individuum angehört hatte. Dieses bestätigte die bereits geweckte
Vermuthung, dass er einem Avaren angehört habe, da die Avaren ein Zweig d£s uralisch-türkischen
Stammes sind. T schu d i .hatte bekanntlich erklärt, dass dieser Schädel einem Peruaner ang&ört
hatte.''— Im vorhergehenden Jahre erschien ein' merkwürdiger Aufsatz von R a thke woraus man
ersah, dass ganz ähnliche Schädel bei Kfttsch in der Krim ausgegraben waren. R a thr e verwies
auf H ippokp.ates’ Buch: "De aere, aquis etlocis” L. IV., und auf S trabo, welche von der Sitte
der makrocephalischen Scythen, den Schädel durch Binden und Druck künstlich zn bilden, berich*)
A. a. O., Dec. I, p. 27.
2) A. a. 0 . p. 16.
3) De corporis humani fabrica p. 23 ed. 1555".
*) Zeitschrift ^ir Physiologie Bd. 5. H. 1. p. 107.
5) A. a. 0 ,
e) S. o. Àbhandl. II.
7) J. Müllers Archiv 1843 p. 143.
teten. Mehre ähnliche Schädel aus der Gegend- von Kertsch sind später beschrieben w n Dr.
C arl Mey er . *)
I. J. 1851 lieferte Dr. F itzinger in Wien eine besonders reichhaltige, und gelehrte Abhandlung:
’’lieber die Schädel der Avaren” etc.\worin er zeigt, dass die Umformung des Schädels in den Schriften
älterer Autoren von mehren Landstrichen des ehemaligen oströmischen Kaiserreiches besprochen wird,
und zugleich einen später in Niederösterreich gefundenen gepressten antiken Schädel beschreibt.
I. J. 1852 erhielt ich von Herrn TROYO^ .in der Schweiz Zeichnungen und Beschreibung zweier
ähnlichen, gepressten, antiken Schädel aus^der Schweiz und Savoyen, nach denen ich eine Darstellung
gah^;|)r Durch wichtige Aufschlüsse des''.gelehrten französischen Akademikers A medee I hierry )
hatte ich gefunden, dass die Sitte, den Schädel|kiinst]ich zu formen, in der Vorzeit von den Mongolen
ausgegangen sei, und die Hunnen dieselbe von ihnen gelernt haben; auch dass diese Operation
ausgeführt wurde, um den Individuen eine aristokratische Auszeichnung zu geben, wie H ip po-
kra tes von den makrocephalischen Scvthen , angedeutet hat, und wie es noch bei den Oregon-
Indianern der Fall ist. Aber zugleich hatte ich Gelegenheit zu zeigen, dass diese Sitte noch
jetzt in Frankreich bestehend gefunden wird, vermuthlich übrig geblieben aus den entlegenen Zeiten,
wo die Hunnen Herren des Landes waren. Diese in gewissen Strichen von 1 rankreich hoch bestehende
Sitte findet sich nämlich besprochen und beschrieben in Dr. F ovilles Arbeit über die Anatomie
des Gehirns5), ohne dass jedoch der Verfasser irgend eine Ahnung von dem historischen Grund und
der"s Bedeutung der Sitte gehabt zu haben scheint. Die Sache wird nämlich nur als eine Unsitte
erwähnt, welche zur Störung der Seelenfunctionen beiträgt. — Nicht lange darauf erhielt ich von
Professor G e f froy in Bordeaux die Bestätigung, dass diese Sitte noch im südlichen Frankreich,
unweit Marseille besteht. |S ie soll sich auch noch an mehren Stellen in der liirkei finden, wie
oben aus V esa l u. A. angeführt ist.
Da es also vollständig nachgewiesen ist, dass der in Rede stehende Gebrauch, den Schädel
künstlich umzuformen, von der entferntesten Vorzeit her einem Theile der östlichen Völker angehört
hat und dass derselbe nach T hierry als eigentlich von den Mongolen herrührend erklärt worden
ist, so warf ich auch in derselben Schrift die Frage auf, ob nicht auch diese Sache für ehemalige
Verbindungen zwischen der alten und neuen Welt spräche? Diese Sache scheint mir nunmehr ausser
Zweifel gesetzt zu sein durch die zahlreichen Argumente, welche nach und nach, ausgegangen von so
vielen und so gründlichen Forschern, hervorgetreten sind. • Vermuthlich ist die Sitte mit den Mongolen
nafih Amerika hinübCrgekommen und hat sich von ihnen auch über das nicht mongolische ¥olk auf dem
amerikanischen Continent verbreitet. Es scheint klar, jlass die Pressung bei der grössten Anzahl
der Stämme auf das Hinterhaupt geschah, um diesefi Theil flach und kurz zu machen. Diese
Pressungsweise ist die allgemeinste bei den amerikanischen Mongolen oder den brachycephalischen
Indianern gewesen. Die Pressung von oben (unter den Flatheads) kommt vielleicht von
1) Müllers Archiv 1850.
2) Denkschriften der Kais. Akademie der Wiss. Band. V, Wien 1853.
3) 8. o. Àbhandl. XXI.
4) Attila, Schilder, aus der. Gesch. des fünften Jahrh. deutsch von Dr. E. Burckhardt. Leipzig 1852. ~
s) Traité complet de l ’anatomie, de la physiologie et de la pathologie du système nerveux cérébrospmaE?^ Paris 1844, p.
Atlas. PI. 23. Fig. 1, 2. 21