diesen rohen Völkern mit verschiedenartiger Schädelbildung ein jeder Stamm stolz auf seinen Bildungstypus
sei und ihn seiden Kindern im höchstmöglichen Grade‘sichern wolle. — Es ist bereits angeführt
worden, dass die entstelltesten Schädel in Gräbern gefunden worden sind, welche von dem hohen Range
des in ihnen begrabenen Individuums zeugen, wie auch, dass diese künstliche Missgestaltnng bei den
Oregon-Indianern eine Bedingung für das Ansehen und die Erhebung des Individuums, eine Bedingung
für seine Freiheit und seinen Adel ausmacht, dass sie den Unfreien nicht gestattet ist, und dass selbst
ein Freigeborner seine Freiheit verliert, wenn die Verunstaltung bei ihm nicht, hat ausgeführt werden
■könn'en. Es ist hiernach wahrscheinlich, dass die Vornehmsten der Stämme eine vor der der Uebrigen
ausgezeichnete Schädelbildung gezeigt, und dass die Letzteren die Ersteren nachzuahmen gesucht
haben. Vermuthlich ist die Erfindung, diese Form durch Kunst zu erzwingen, von den Weisen der
Clane ausgegangen, welche mehrentheils zugleich ihre Priester und ihre Aerzte waren, und allmählich
zu einer allgemeinen Mode unter den vornehmen, adligen und freien Mitgliedern der Stämme geworden.
Was indessen für uns von grösstem Interesse bei dieser Sache find höchst beschwerend für die
Phrenologie ist, ist die eonstatirte Erfahrung, welche man gewonnen hat, dass dieses Herabdrücken
der Stirn und des Scheitels die Seeleneigenschaften nicht verschlechtert.
Auch in dieser Hinsicht liefert Morton wichtige Erläuterungen, welche ich hier mittheilen zu
müssen glaube. So führt er nach Lewis und Clark an, ’’dass diese Flatheads die Fragen der Reisenden
mit vieler Ueberlegnng beantworteten, dass sie von’ Gemüthsart mildl®hnd arglos, im Handel
fein, scharfsinnig und klug seien. . . . Gebrigens seien sie vorwitzig und gesprächig und legen ein
gutes Gedächtniss und einen Verstand, dem es nicht an Schärfe‘mangele, zu Tage.” Er fuhrt ferner
eine Aeussefung von T ownsend l) an: ”Das Ansehen, welches durch jene unnatürliche Operation
zuwege gebracht wird, ist fast schaudervoll, und man sollte wohl vermütfien, dass die-Verstandeskräfte
von derselben materiell angegriffen würden. Dies scheint dennoch nicht der Fall zu sein; denn iüS
sah niemals eine schlauere und intelligentere Volksrace (nur mit Ausnahme der Kayousen) ; * " 1
Morton hatte selbst in demselben Jahre, in welchem er das Werk verfasste8), aus welchem
diese Citate entlehnt worden sind, Besuch von einem jungen Vollblut-Chenouken von zwanzig Jahren,
welcher drei Jahre lang Unterricht von christlichen Missionären genossen hatte. Dieser junge Mann
hatte während dieser Zeit grosse Fortschritte in der englischen Sprache gemacht, die er in Conversa-
tionen im Allgemeinen mit grammatikalischer Genauigkeit und guter Betonung sprach; Von diesem
Indianer, dessen Schädel einer der entstelltesten und abgeplattetsten war, äussert Morton: ’’Dieser
Mensch schien mir mehr Scharfsinn zu besitzen, als irgend ein anderer Indianer, den ich gesehen
hatte; er war daneben mittheilend, freundlich und civilisirf.” *
Da jener Gebrauch, durch Kunst die Gestalt des Kopfes zu verändern, hei den meisten Indianerstämmen.
durch den Einfluss der Civilisation schon lange aufgehört hat, so sind, diese Thatsachen
aus der gegenwärtigen Zeit von um so grösserem Werthe, als vermuthlich jene Sitte der Vorzeit
innerhalb weniger Jahrzehende ganz verschwunden sein wird. Ich benutze desshalb auch hier diese
Gelegenheit, um unsere grosse Verpflichtung gegen den um die Ethnographie so hoch verdienten
amerikanischen Naturforscher Dr. George Samuel Morton auszusprechen, welcher für eine lange
Folgezeit auf eine so reelle Weise den Wissenschaften so wichtige Thatsachen aufbewahrt hat. *2
*) Journey to the Columbia River.
2) Crania americana, p. 203 ff.
Ich bin etwas weitläufig in diesem Theile meines Vortrages gewesen, aber, wie ich hoffe, nicht
ohne Grund, wenn man den Werth der: oben erwähnten, von amerikanischen'Naturforschern ange-
stellten Beobachtungen mit der geringen Aufmerksamkeit vergleicht, die man im Allgemeinen von
Seiten der Wissenschaft ihnen gewidmet hat.
Auch die Phrenologen haben, so viel ich weiss, diesen Gegenstand wenig berührt. Ich weiss
wohl, wie man das Verliältniss dieser Formveränderungen zum Gehirn und seiner Thätigkeit erklären
will. Man sagt nämlich: Durch die in Rede stehende Deformation wird das Volumen des Gehirns
nicht vermindert und eben so wenig irgend ein Theil des Organs; die Theile desselben entwickeln
sich ungeachtet der Deformität vollständig, aber nach anderen Richtungen, in anderer Lage. Dies
dürfte wohl richtig sein; nehmen wir aber einmal diesen Satz an, so kann er auch in den meisten
Fällen angewandt werden, da die Phrenologen nach den Eigenheiten der Schädelform die Seelenfunktionen
beurtheilen. Die Phrenologie befindet sich hiebei in derselben: * Lage, als wenn sie ohne
Schwierigkeit es erklärt, wie eä möglich ist, dass es grosse Geister mit ungewöhnlich kleinem Kopfe
und somit auch kleinem Gehirne gegeben hat und giebt. Sie sagen nämlich, die Vollkommenheit
beruhe in solchem Falle nicht so sehr auf dem Volumen, als auf dem harmonischen Verhältnisse
zwischen den Theilen. Dies ist auch eine sehr annehmbare Erklärungsweise; aber sie hebt den
Widerspruch der Beispiele gegen einen der Cardinalgrundsätze der Phrenologie nicht auf.
Ich habe hier die Bedenklichkeiten vorgetragen, welche sich während der Bearbeitung der Anatomie
gegen die Phrenologie erhoben haben; mehre andere sind von Leuret, Carpenter und besonders
von F lourens in seiner Schrift über die Phrenologie angeführt worden. Der Letztere zeigt in
dieser die ganze Grundlosigkeit der meisten phrenologischen Grundsätze, als die Theilung der
Vernunft in viele kleine Vernunfte, entsprechend Organen im Gehirne, die es nicht giebt, die grosse
Mangelhaftigkeit in der Analogie zwischen den Sinnesorganen und den Gehirnorganen, wobei man
missgegriffen hat hinsichtlich der Begriffe Eindruck (auf das Sinnesorgan) und Auffassung (vom
Gehirnorgane) u. s. w.
Nachdem ich solchergestalt so viele Einwürfe und Bedenklichkeiten gegen die Phrenologie dargelegt
habe, möchte man wohl glauben können, dass ich sie auch nach allen ihren Theilen für
ungereimt halten dürfte. Dies ist aber bei weitem nicht meine Meinung. Was ich gegen Gall und
seine Nachfolger in der Phrenologie, so wie gegen ihre Lehre habe, ist die Tendenz, sie zu einer
Wissenschaft machen zu wollen, dass die Phrenologen ihre Lehre auf philosophischem Grunde
errichten wollen, während sie, die Einheit der Vernunft leugnend, damit anfangen, die Philosophie
über den Haufen zu werfen, und dass sie auf eine Anatomie des Gehirns bauen wollen, die nicht
existirt.
Die übrigen Wissenschaften sind hervorgegangen aus sicheren Grundlagen durch die Gewissenhaftigkeit
und. Wahrheitsliebe der Forscher unter einem ununterbrochenen Streben, Missgriffe und
irrige Begriffe zu widerlegen und zu entfernen. Die Phrenologen haben, so viel ich habe finden
können, niemals mit wahrer Kritik ihre Lehre zu behandeln gesucht; sie haben im Gegentheile eine
solche nicht gern geduldet; ihre Sätze bezweifeln ist, fast möchte, ich sagen, wie das Vergehen gegen
eine Glaubenslehre betrachtet worden. Kurz, sie haben alles gethan, um ihrer Lehre die äussere
Form und den Schein einer Wissenschaft zu ertheilen, während sie versäumt haben, die erste Bedingung
für einen wahren wissenschaftlichen Bau zu erfüllen, diesem eine richtige und sichere Grundlage
zu geben. Ich muss auch in dieser Hinsicht meines werthen Collegen E schricht Aeusserung