XIII.
Ueber die runde, brachycephalische Schädelform der
Griechen.1
E s ist söhon an einer andern Stelle bemerkt worden, dass die ethnographische Kraniologie bisher
so geringe Fortschritte gemacht hat, dass man noch bei weitem nicht einmal die Schädelformen der
europäischen Nationen kennt. Die Ursache liegt zum guten Theile darin, dass darchjyon Zeit za
Zeit geschehene Einwanderungen und politische Veränderungen verschiedene Völkerschaften ihre
Wohnsitze in denselben Ländern aufgeschlagen haben, wobei es sich ereignet hat, dass bald die
älteren Einwohner die Sprache der neueren angenommen haben, bald umgekehrt. Somit findet man
dass Völkerschaften, welche ein und denselben Namen führen, oft von verschiedenen Stämmen sind
und dass selbst ein Theil von ihnen bisweilen bis auf die letzte Spur die Keimtniss seiner Herkunft
■verloren hat.
Man kann im Anfänge von weiteren Forschungen in der ethnographischen Kraniologie abgeschreckt
werden, wenn man unter solchen Völkerschaften mit demselben Namen und derselben Sprach®:
bald einander fast entgegengesetzte Typen, bald Uebergangsformen zwischen diesen findet. In den
meisten dergleichen Fällen können wir indessen hoffen, dass die Archäologie, die Geschichte und
die Sprachenkunde die Erläuterungen liefern werden, welche zur Beantwortung der ethnologischen
Fragen nöthig sind.
Es ist eine allgemeine Meinung, dass die Form des Griechenkopfes aus den zahlreichen
Sculpturarbeiten, welche die grossen griechischen Künstler der Nachwelt überliefert haben, wohl
bekannt sei; aber diese Form ist mit den Typen nicht ethnologisch verglichen worden, die der Natur
selbst entnommen wurden. *)
*) öfveraigt af Kongl. Yetemkapa-Äade.miens Förliniulliiigar 1847 p. 207: Ö,n den mnda'irmhytepUhka
bland Grcekeme.
Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin, herausg. von Joh. Müller 1848 pag. 388. Aus d. Schwed.
von P. C. H. Creplin.
Erst nach vieljährigen Bemühungen glückte es Blumenbach, durch die Gewogenheit des jetzigen
Königes von Baiern einen antiken Griechenschädel zu erhalten. Blumenbach beschreibt denselben
in der Decas VI mit so grossem Entzücken über seine ideelle Schönheit, dass er nur wenig über
die Form des Schädels selbst sagt. Alles, was darüber bei ihm vorkommt, ist: ’’forma calvariae
subglobosa, frontis nobilissime fornicata.” — Die beigefügte gute Profilzeichnung zeigt einen ziemlich
kleinen, kurzen Schädel mit kugelrundem Hinterhaupte und giebt desshalb Veranlassung, ihn der
brachycephaliscli-orthognathischen Form beizuzählen. P kichard citirt Blumenbach.
Der Gypsabguss eines Griechen Schädels, welcher letztere aus Spukzheim’s Sammlung herstammen
soll, zeigt dieselbe Form.
Ich fand mich schon nach diesen Facta zu der
Vermuthung veranlasst, dass die brachycephalische
Form bei den Griechen vor käme, als ich vor ungefähr
einem Jahre eine fernere Bestätigung derselben durch
den Besuch eines griechischen Arztes von angesehener
adliger Familie auf Corfu empfing. Dieser Mann war
von kleinem, aber starkem Körperwuchse, hatte schwarzes,
glänzendes Haar, dunkelbraune Iris, kleine Augen
und eine etwas gelbliche Gesichtsfarbe. Der Kopf war
hoch, aber kurz, mit flachrundem, fast lothrecht stehendem
Hinterhaupte. (S. die beistehende Figur). Die
Jochbeine waren gross, etwas herausstehend. Auf Befragen
gab er an, dass diese Kopfform bei den Griechen
gewöhnlich sei. Einige Monate später erhielt ich
durch Hrn. von Heideîjstam, schwed. Chargé d’affaires
zu Athen, einige osteuropäische Schädel, von denen
ein griechischer dem von Blumenbach abgebildeten
sehr gleicht.
Dieser Griechenschädel, ’) hat einem jungen Individuum von ungefähr acht Jahren angehört.
Er zeigt eine besonders zierliche und hübsche Bildung, mit schön gewölbter Stirn und beinahe loth-
rechtem, geradem Antlitzprofil und kleinen Jochbeinen. Er ist verhältnissmässig zur Länge und Breite
hoch, von einer etwas viereckig-gerundeten Form, mit grösster Breite über den weifftiach hinten und
hoch liegenden Scheitelhöckern. Von oben angesehen zeigt er einen kurz keilförmig gerundeten
Umriss (forma cuneato-rotundata). Das Hinterhaupt ist gerundet-flach, seine Ebene von einer gerundetviereckigen
Gestalt, welche nach oben breit und nach unten schmäler ist. Mitten auf der Hinter-
hauptsebene findet sich ein bedeutendes, beinahe symmetrisches, rautenförmiges Interparietalbein, mit
an den Seiten spitzigen und oben und unten stumpfen Winkeln. Dieses Bein bildet die Spitze der
Lambdanath, welche auf der Ebene des Hinterkopfes hoch hinaufgeht. Die bogenförmigen Linien
zum Ansätze der Nackenmuskeln sitzen niedrig. Das Receptaculum cerebelli ist von geringer Ausdehnung,
aber sehr convex. Die Warzenfortsätze sind klein, die Ohrenöffnungen oval, nach hinten
hinübergeneigt, die Schläfenbeine fast flach. Jochfortsätze des Stirnbeins, wie auch die Jochbeine,
') Er ist Fig. I PI. VI abgebildet.