die Wolinenbleibenden sich die Sprache des herrschenden Stammes ängeeignM, wie es sich im nördlichen
Deutschland verhalten dürfte, wo die Bewohner eigentlich Slaven sind, aber in der Läno-e der
Zeit deutsche Sprache und deutsche Sitten angenommen und sich zugleich mit dem germanischen
Stamme amalgamirt haben. Gleichartige Verhältnisse kommen an vielen Orten sowohl in der alten
als in der neuen Welt vor.
Hiezu kommt ferner noch der Einfluss kleinerer Einwanderungen fremder Völker, so wie der
grösseren Menge individueller Form Verschiedenheiten, welche in Ländern miit einer höheren Zivilisation
ans Lieht treten.
Um unter solchen Umständen die Grundformen zu erforschen, sind zahlreiche Untersuchungen
erforderlich. Sofern es möglich ist, müssen diese sowohl an lebendigen Personen als an Schädeln
angestellt werden,.;, Selbst die Beurtheilung der Formen erfordert ein an Naturforschung gewöhntes
Auge. Um eine Schädelsammlung zu studiren, muss man, wo möglich, eine grössere Anzahl Speci-
mina vor Augen haben, und diese in verschiedenen Stellungen, aber doch alle gleichzeitig in einer
und derselben Stellung ^betrachten. So wie,v die Schädel in den Museen aufgestellt sind, sieht man
gewöhnliph nur die vordere Seite. Grössere Musterungen vorzunehmeiq kostet Mühe und bringt die
Sammlung leicht in Unordnung, wesshälb auch dergleichen Musterungen in einem grossen Museum
ohne Schaden für die Sammlung schwerlich öfters wiederholt Werden; könnten.. Behandelt man die
Sache auf gewöhnliche Weise, indem man ein oder einige wenige-einzelne Specimina nach einander
betrachtet, so gewinnt man keine Sicherheit im‘ Urtheile, falls man nicht^schon z.uvor *ein ausserordentlich
geübtes Auge besitzt. In den grossen Museen zu Paraf^Äerlin und London ist die Zahl
von Nationalschädeln sehr gross. Ein bedeutender Theil ist, wenn der Ref. nicht allzu sehr fehl-
greift, nach den Kriegen der Jahre 1812—14 von JengSchlachtfeldern geholt worden; andre in noch
grösserer Menge sind von Seefahrenden und anderer Reisenden mitgebracht oder durch-^Naturalien-
händler angeschafft worden; in den meisten Fällen aber fehlen die nQthigett; ethnologischen Aufklärungen.
Wie schon erwähnt, is t e s nicht genug, wenn man weiss, dass ein Schädel von Ä em
Franzosen, Engländer, Russen idK w. ist. Frankreich ist bevölkert von B a sk en , G erman en ,
Normanden, mehren celtischen Släthmen u. s. w. Beinahe eben-- so wie in Frankreich sieht es
auch in England aus. Es ist dem gelehrten Verf. mehr denn allzu wohl bekannt, dass die'Zahl der
verscliedenen Volksstämme noch grösser ist in Russland, von welchem weiten Reiche die meisten -
europäischen Völker und auch die Schweden herstammen sollen. So zählt Graf D emidoff für die
Kiim etwa vierzehn besondere Volksstämme. Daher sieht der Ref.-.keinen gegründeten Anlass zu
einer * Anmerkung gegen seine Ansicht daritty^dass zwei russische Schädel länger befunden worden
sind als ein schwedischer. Auch dürfte hiebei zugleich anzumerken sein, dass der Re£ in ^seiner
Aufstellung nicht den Namen Russen angewendet hat, sondern Slaven, und über die Schädelform
dieser ist ja der Verf. ein«l*Ansicht mit dem Ref., wenn er S. 12 äussert: ’’Der wfefVerbreitete
Stamm der Slaven, welche vorherrschend turanische Schädelbildung haben”, und S. 20 die ’’Turanrasse”
als synonym mit der mongolischen anführt in seiner Klasse ’’Breitschädel”, während dagegen
die ’’Iran- oder kaukasische Rasse” des Verfassers zu seiner. ’’Hochschädel-Klasse” gerechnet wird.
Der Einwurf des Verf. dagegen, dass der Ref. dengln caSStamm zu den Brachycephalen gerechnet
hat, beruht ebenfalls auf einem nicht geringeren Irrthume. Der Verf. verweis’t nämlich selbst auf
Pkichabd’s ’’Researches into the Physical History of » n i Vol. 1. Tab. 1. Der hier? abgebildete
Schädel von dem Titicaca-Thale in Peru, welcher nebst mehren ähnlichen Specimina von PeStland
nach Europa gebracht und in dem HuNTEnschen Museum zu-London deponirt ist, wird von P richard
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keinesweges als einem In ca angehörig ausgegeben. Alle Ethnographen, so viele der Ref. kennt, halten
dafür, dass diese langen "Schädel einem Volke angehört haben, welches Peru vor der Ankunft des
Incastammes besessen.Jaat. T schudi, welcher in dem Departement Junin von diesen langschädligen
Peruanern noch lebende Familien gefunden iünd so wie auch P entland eine Menge alter, dem
Stamme zugehöriger Gräber untersucht hat, « nenntg eben diese Tribus der Urbewohner von Peru
Huanca. Der Ref., der übrigens für den Platz, welchen er den Incas gegeben hat, noch mehre Gründe
anführen könnte, glaubt 'doch, dass in dieser Hinsicht Morton die beste Auctorität ist, dessen klassisches
Werk ’’Crania fAmericana” auch der Verf. an zwei Stellen citirt. Morton sagt nämlich *) über
die Incas: ”the èkull in this people is remarkable for its small size, and also, as just observed,
for its quadrangular form. The occiput is greatly compressed, sometimes absolutely vertical; the
sides are swelled out, and the forehead is somewhat elevated, but very retfeating.”;
Der Vèrf.l missbilligt die Benennung ’’Tartaren” als unbestimmt, bald angewendet für Türken,
bald für Mongolen. Er hätte eben so gut auch die Tungusen hinzufügen können, zu denen die
Mandschu-Tartaren gerechnet werden. Der Name ’’Tartar” ist, eben so wie Tartafei, zwar wenig
bestimmt, dagegen aber in der Geschichtet so merkwürdig und "so allgemein gebräuchlich, dass er der
Ansicht des Ref. gemäss in einer; Aufzählung der Völkerschaften niclit fehlen durfte, besonders da
der Ref. die Ueberzengung gewonnen hat, dass alle Völkerstämme, die unter diese Benennung gebracht
werden, zu den Brachycephalen gehören.
Der Verf. missbilligt "ferner die; Eintheilung der Formen des Schädels, welche der Ref. gemacht
hat, als ruhend auf einer einseitigen Polarität oder Antithese, da das Mass- des Raumes dreifach ist,
nämlich nach der. L-ä/nge, Breite und Höhe. Der Ref. muss auf Anlass dessen erklären, dass er diese
Eintheilung auf die Erfahrung gegründet hat, welche er sich durch eine lange fortgesetzte Forschung
erworben, und1
dass er um so mehr Grund gehabt hat, dieselbe für richtig zu halten, als er befunden
hat, dass sie in dem nächsten Zusammenhang mit den Gehirnlappen steht. Doch muss der Ref.
hinzqfilgen, dass er bereits bei der Versammlung der Naturforscher in Christiania 1844 die
Ansicht ausgesprochen hat, es dürften in der Aufstellung mehre Uebergangsklassen zwischen
dén schön dargestellten erforderlich sein, doch erforderte die Bestimmung derselben äusserst
genaue und vielleicht auch weitläufige Untersuchungen.* 2) So haben diejenigen Völker,, welche
-1) Crania Americana. Philadelphia 1839, pag. 115.
2) Professor Welcher (Untersuchungen über Wachsthum und Bau des menschlichen Schädels, Leipzig 1862, Th. 1. P. 43)
merkt'tnit Unrecht an, dass A. Retzius niemals von Uebergangsformen zwischen Kurz- und Langschädeln geredet habe, ja
nicht eigmal zweifelhaft gewesen sei, ob eine Völkerschaft in- die. eine oder die andere dieser beiden Klassen gesetzt werden
müsse. So sagt Prof. Welcher unter anderem: "UeberalFwenn Retziüs einen Schädel bespricht, so findet er denselben
entweder dölichocephal oder brachycephal. Nirgends spricht er vomMütelformen, nirgends von Völkern, die zu der einen
oder andern' jener Grundformen blos hinneigten.”
Was A. Retziüs’ Aeusserungen in dieser Hinsicht in der vorliegenden Abhandlung betrifft (in welcher er, eben in der
Frage - über die Eintheilung in ' die beiden Hauptgruppen, Dolichocephalen und Brachycephalen, ausdrücklich sagt, dass er
bereits bei der Versammlung der Naturforscher in Christiania 1844 die Ansicht ausgesprochen hat, es dürften in der Aufstellung
mehre Uebergangsklassen zwischen den schon dargestellten erforderlich sein, doch erforderte die Bestimmung derselben
äusserst genaue und vielleicht auchvweitläufige Untersuchungen, und in welcher er auch ein Beispiel von solchen
Völkern aufstellt, über deren Gruppirung er '‘zweifelhaft gewesen ist), lässt es sich leicht erklären, dass dieselben ausländischen
Lesern entgangen sind, da die fragliche Abhandlung aus der Originalsprache bisher noch nicht übersetzt worden ist.
Dies; gilt jedoch keinesweges von einem schon vor längerer Zeit in deutscher Sprache publicirtem Aufsatze (Bemerkungen
über-: did.t Schädelform der Iberier nebst anderen über den Schädel eines Sandwichinsulaners und über die Schädel der soge-
nannten Flachkopfindianer — J. Müller’s Archiv 1847 S. 499), in welchem er sich in gleicher Richtung über die Schädel
der Sandwichinsulaner äussert, indem er sagt ^Obgleich dieser Typus wegen seiner bedeutenden Länge, verglichen mit dem
W
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