Ueber
die Schädelform der Peruaner.1)
Im Verlaufe dieses Sommers (1848) wurden mir vom Professor Samuel Mobtoit in Philadelphia fünf
Peruanerschädel zugesandt, welche in einem Grabhügel in der Nähe der Stadt Pisco an der Küste
südlich von Lima in 13° 46 südl. Br. und 76° 9’ westl. L. gelegen, angetroffen worden waren.
Alle fünf sind ausgezeichnet klein, mit unverknöcherten Näthen, ohne Parietalbein. Sie sind sämmt-
lich kurz, mit flachem, steil abschüssigem Hinterhaupte, hinten sehr breit, mit grossen hochstehenden
Tubera parietalia; Kinnladen vorstehend (prognathisch); Jochbeine nicht sehr herausstehend; Augen-,
höhlen gross. Der charakteristischste Schädel* 2) hatte noch seine Kiefermuskeln, einen Theil der
Ohren, die Haut nebst einigen Haaren auf dem untern Theile des Hinterhauptes und der Nase, die
Schleimhaut des Gaumens und obern Theiies des Schlundes. Diese erhärteten und gut erhaltenen'
weichen Theile hatten eine helle, braune Färbe, ganz gleich der, welche die meisten ägyptischen
Mumien besitzen. Beim Maceriren der mumificirten Theile in Alkohol oder Wasser färbten sich
diese Flüssigkeiten stark, ohne dass die macerirten Stücke dadurch heller wurden. Sie hatten keinen'
salzigen, harzigen oder gewürzhaften Geschmack. Die Lösung, in welcher sie macerirt worden waren,
war vielmehr etwas zusammenziehend und schleimig; ein graues, thonartiges Pulver stand als ein
Schlamm auf dem Boden der Lösung. Die ehemals weiclien Theile waren nicht spröde, sondern
vielmehr weich. Es zeigte sich deutlich, dass die Leiche einer künstlichen Balsamirung unterworfen
worden war, welche meiner Meinung nach durch das Einbetten in eine pulverisirte Baumrinde bewerkstelligt
worden sein möchte. Das vegetabilische Pulver sass noch in der Nase und am Gaumen.
Die Dimensionen des hier abgebildeten Kopfes sind folgende:
Fronto-occipital-Länge . . ............................................................... ..... 0150
' Stirnbreite......................................................................... ..... 0 095
>) Öfversigt af Kongl. Vetenskaps-Akademiens Förhandlingar 1848, p. 140: Peruvianernes crameform.
Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin, herausg. von Joh. Müller 1849 pag. M l . Aus d. Schwed.
von F. C. H. Creplin.
’) Er ist Fig. V PI. IV abgebildet.
Hinterhauptsbreite .........................................................................................................0,137
U m fa n g .......................... ..... . . . ...................................................................... 0,465
H ö h e ......................................................................................... .................................... 0,142
M a sto id a lb re ite.............................................................. 0,122
J o ch b r e ite ......................................................................................................... ..... . 0,128
Oberkieferhöhe............................................................................................................. 0,068
K in n h ö h e ....................................................................................................................0,035
Hintere Unterkieferhöhe............................... 0,061
Orbitalhöhe ....................................................................................................................* 0,037
Orbitalbreite . . . $ . ............................................................................................ 0,040.
Nach einer Vergleichung mit den Beschreibungen und Zeichnungen von peruanischen Schädeln
in Morton’s ’’Crania americana” würden alle diese fünf Schädel Individuen vom Incastamme angehört
haben, welcher um das Jahr 1100 unserer Zeitrechnung in Peru einwanderte und sich das Land
unterwarf. Die T oltecas, Mexico’s civilisirtestes Volk, verschwanden aus diesem Lande um das
Jahr 1050 unsrer Zeitrechnung, nachdem sie es vier Jahrhunderte hindurch inne gehabt hatten. *)
Die Ursachen davon waren, nach Garcilasso, mehrjährige grosse Dürre, Misswachs und ansteckende
Seuchen. Ein grosser Theil der Bevölkerung kam durch Hunger und Krankheiten um. Der Rest
der Toltecaner flüchtete sich darauf in grossen Haufen nach verschiedenen Theilen des amerikanischen
Festlandes und breitete sich südlich ’’bis nach Yucatan” aus. Anahuac (Mexico’s alter Name)
blieb darauf beinahe ein Jahrhundert lang ohne Bevölkerung (Clavigero). E s ward oben bemeldet,
dass das Incavolk glaublicherweise um das Jahr 1100 n. Chr. nach Peru gekommen sei, aus welcher
Uebereinstimmung mit dem eben Gesagten Morton die Meinung schöpft, dass es aus geflüchteten
Toltecas bestanden habe. Dies wird auch theils durch die Aehnlichkeit der Schädelform bei diesen
beiden Völkern, wie dieselbe aus Sculpturarbeiten und Schädeln bekannt ist, theils aus der Aehnlichkeit
der Bildung und socialer Institutionen, welche zwischen dem Incavolke und den Toltecanern
Statt gefunden hat, bestätigt. In einem spätem Werke2) hat der gelehrte Amerikaner diese Ansicht
ganz aufgegeben, nachdem er das Werk des ausgezeichneten französischen Reisenden D’Orbigny,
gelesen hatte, und er nimmt an, dass die amerikanischen Völkerschaften im Allgemeinen von ein und
derselben Race, und so wieder die Incas und die Ur-Peruaner von ein und demselben Volksstamm
«gewesen seien. Ich kann keineswegs dieser letztem Ansicht beistimmen. Vier von den hier in Rede
stehenden Peruanerschädeln' und zwei andere, welche sich in den Sammlungen des Carolinischen
Institutes befinden, haben ihre natürliche volle Ausbildung und tragen keine Spur von der künstlichen
Entstellung, welche ehemals bei Amerika’s Völkerschaften so allgemein Statt gehabt hat. Mehre mit
den hergesandten übereinstimmende Schädel sind auch in dem citirten Werke ’’Crania americana”,
abgebildet, und die brachycephalische Form ist an mehren Stellen in Morton’s Werken deutlich
ausgedrückt. Ich kann die Ansicht, welche ich schon lange gehegt und in früheren Schriften
geäussert, dass die Ur-Peruaner die dolichocephalische Schädelform besessen Jjäben, nicht aufgeben.
Es wäre zwar möglich, dass Peru vor der Ankunft der Inca’s auch einige kleinere zerstreute
Volksstämme von bracliycephalischer Form gehabt hätte, wie solches in so vielen anderen Ländern
der Fall gewesen ist und noch ist; aber wir haben es hier mit der herrschenden Form und dem
herrschenden Volksstamme zu thun.
*) Morton a. a. 0.
2) An inquiry into the distinctive characteristics of the aboriginal race of America, Ed. 2, Philadelphia 1844.