xxnr.
Blick auf den gegenwärtigen Standpunkt der Ethnologie
mit Bezug auf die Gestalt des knöchernen
Schädelgeriistes.1}
A l s der geehrten Versammlung voi#zwölf Jahren eine Darstellung gegeben wurde über die Form,
welche sich auf dasjenige stützte, was zwei Jahre vorher bei der Versammlung der skandinavischen
Naturforscher in Stockholm vorgelegt wurde, war diese Lehre noch ganz neu und ungeprüft, von
ungewisser Zukunft und sehr lückenhaft. Seit dieser Zeit hat die dort angenommene Formeintheilung
sowohl an Bestimmtheit als an Umfang zugenommen. Um hiervon eine kurze Rechenschaft abzulegen,
habe ich gewagt, die Zeit der geehrten Versammlung auf einige Augenblicke in Anspruch zu nehmen.
A. Europas Schädelfonnen.
Ich zeigte bei der angeführten Gelegenheit, dass die Mehrzahl der westeuropäischen Völker
Dolichocephalen, dagegen die Brachycephalen anf der grossen Strecke von Osteuropa vorherrschend
sind. Ich habe dies seitdem von vielen Seiten bestätigt gefunden.
Eu ro p a s Dolichoc ephalen.
1 Norweger und Normanden in Frankreich und England,.
Germanen | Schweden,
I Dänen,
Orthognathen.
') 1' orhandlmger ved de Skandmaviske Naturforskeres syvende Mode i Christiafiia Juli 1856 pag. 68: Blick öfver fördelningen
a f hufoudskälsformema i de fern verldsdelame. Auch besonders gedruckt unter dem Titel: Blick pä ethnologiens nür-
varande st&ndpurtkt med afseende pä formen af hufvudskälens benstomme.
Archiv für Anatomie, Physiologie und-wissenschaftliche Medicin, herausg. von J ob. Müller 1858 p/,106. Aus d. Schwed.
von Prof. W. P eters.
Holländer,
Flamänder,
Burgunder,
Deutsche von germanischem Stamme ‘),
Franken,
Angelsachsen,
Gothen in Italien und Spanien.
Celtische Schotten,
; - :v ; I r lä n d e r ,
» Engländer,
Wallonen,
Gallier in Frankreich, in der Schweiz, Deutschland u. a. 0.,
die eigentlichen Römer,
die alten Hellenen und ihre Abkömmlinge.
Germanen
Celten
) Orthognathen.
Seitdem ich das erste Mal die Darstellung mittheilte, welche sich in den Verhandlungen der
ersten Versammlung zu Christiania befindet, habe ich eine beträchtliche Anzahl von Individuen untersucht,
welche von normandischen Familien in Frankreich und England abstammen. Ohne Ausnahme
hatten diese Individuen dieselbe ovale Schädelform behalten, welche den eigentlichen Norwegern
in Norwegen zukommt.
Schwedische Schädel habe ich ferner zu Hunderten untersucht, sowohl aus alten Gräbern und
Kirchhöfen, als im Anatomiesaale, und ebenfalls die bereits beschriebene2) Form vorherrschend gefunden.
?) Gegen die Beschreibungen des A. Retzius und der übrigen Verfasser hat Prof. Welcher (Untersuchungen über Wachsthum
und Bau des menschlichen Schädels, Leipzig 1862), sich stützend auf Messungen an dreissig deutschen männlichen
Schädeln, zu zeigen gesucht, dass die D eu tsch en der Gruppe der Brachycephalen angehören (Verhältniss der Länge zur
Breite wie 1 000:850). — Wenn man bedenkt, wie Deutschland seit undenklichen Zeiten überschwemmt worden ist von
mannigfaltigen "verschiedenen Volksstämmen, die sich mit einander vermischt haben, so dürfte es ohne die weitläufigsten
Untersuchungen äusserst misslich sein zu entscheiden, welche Schädelform die eigentlichen D eu tsch en ("Germanen” — alle
Deutschsprechendö?6ind nicht eigentliche (germanische) D eu tsch en ) in der That haben. Dass ein mächtiges ("wahrscheinlich
slavisches”) sEleüient mit kurzer Schädelform eine weite Verbreitung in Deutschland hat, und zwar sowohl in dem östlichen
und nordöstlichen als auch in dem südlichen Theile des Landes, hat A. Retzius auf den Grund seiner Untersuchungen, nicht
nur an Schädelsammlungen als auch besonders an lebendigen Individuen, an verschiedenen Stellen in seinen Schriften dargelegt.
So sagt er z. B. (S. u. pag. 140 die Note) dass in Bayern, Württemberg, Baden und der Schweiz die kurze Schädelform die vorherrschende
ist, und in einer andern Note (S. unten pag. 140) sagt er, dass "in Sachsen und Oesterreich diese Porm sehr allgemein
vorkommt.” Indessen dürfte man wohl mit Recht als sicher annehmen können, dass die eigentlichen ("germanischen”) D eu tschen
mit den grösseren oder kleineren germanischen und dolichocephalischen Elementen in den übrigen s. g. germanischen
Völkern, S kandinaviern, Engländern, H o llä n d e rn u. a., von gleichem Stamme sind, wesshalb auch A. Retzius seine
langköpfigen D eu tsch en benannt hat: "Deutsche von germanischem Stamme.” Dass eine nicht geringe Anzahl solcher
dolichocephalischen D eu tsch en in Deutschland wirklich vorhanden ist, beweisen ausser Anderem die eigenen Messungen
des Prof. Welcher. Von den dreissig von ihm gemessenen Schädeln war bei nicht weniger denn zwölf das Verhältniss
der Breite zur Länge unter. 80 0 :1 0 0 0 , wobei er selbst zugiebt, dass die von ihm gemessenen, deutschen, weiblichen
Schädel dolichocephalisch (100Ö: 765) sind (unter den dreissig Schädeln waren nur drei, bei denen die Länge sich zur
Breite wie 1 0 0 0 :8 0 0 und darüber verhielt). Wenn Prof. Welcher (S. 44 Not. 1) die Messungen deutscher Schädel
von anderen Verfassern als "nahe genug” mit den seinigen übereinstimmend anführt, so. erscheint solches (wenn man
die zwei von Virchow und den schwarzwaldschen von Ecker gemessenen ausnimmt) als etwas sonderbar; denn dass
die siebzehn deutschen Normalschädel des Lucaä sich verhielten wie 1 0 0 0 :7 8 0 , die des v. d. Hoeven wie 1 0 0 0 :7 7 0 (also
weniger als das von A. Retzius für die Schweden angegebene 773) und der des v. Wittich wie 1 0 00:775, stimmt doch
wohl nicht überein mit den Angaben des Pro'f. Welcher. Herausg.
*) Abhandl. I.