Der untere Band des Jochbogens ist fast gerade wegen der wenig nach unten vorspringenden
Jochhöcker; die Incisur unter dem Jochfortsatze des Oberkiefers ist schwach und die Wangengruben
sind seicht.
Die vorderen Oeffnungen der Augenhöhlen sind vierseitig, fast rechtwinklig und stehen fast
horizontal. Die Höhe (0,030) ist etwas geringer, als die'Breite (0,040); die Winkel sind gerundet,
die Fissurae orbitales externae éng.
Die Jochbögen stehen am meisten hinten heraus.
Der Gaumen, wenig gewölbt unä^Vorn platt, steigt in einer geneigten Ebene zum Alveolarrande
hinter den Vörderzähnen hinab. Die Höhe des Oberkiefers von der Spina nasalis anterior bis zum
Alveolarrande ist bei fünf Specimina 0,020, beim sechsten 0,014. Eine vom Alveolarrande des Oberkiefers
nach hinten in derselben Höhe und Richtung gezogene Linie trifft die Spitze des Proc. mastoideus.
In der Bildung des Unterkiefers finde ich keinen bétpndern Unterschied von diesem Theile bei
den Schweden und Slaven. Das Kinn ist an fünf Specimina breit und abgestutzt, bei einem spitzig.
Bei allen sechs hat es auf dér Mitte des Kiefers einen Höcker, welcher zum Alveolarrande in einen
niedrigen Rücken aufsteigt. Die aufsteigenden Aeste sind breit, der hintere Winkel ist etwas heräus-
stehend; die Pr. coronoidei gehen zu den horizontalen Aesten mit einer starken Leiste hinab, welche
den vordem Rand der Ansatzstelle der Backenkaumuskeln bezeichnet. Die Höhe des stehenden Astes
ist 0,070, des liegenden 0,035.
Diese Beschreibung der finnischen Schädel ist in mehreren .Stücken verschieden von der, welche
H ueck in dem oben citirten Briefe gegeben hat. Er scheint indessen nur einen finnischen Schädel
gesehéfn zu haben und sich daneben, wie die meisten Schriftsteller, welche nach B lumenbach Beschreibungen
von Nationalschädeln geliefert, am meisten an Detaijs der Gesichtsknochen gehalten zu haben.
Demzufolge können unsere Angaben nicht vollständig mit einander verglichen werden. In einem
Hauptumstande kommen sie dennoch überein, nämlich darin, dass der finnische Schädel etwas Keilförmiges
an sich hat, welches ich durch Cranium euneato-ovatum auszudrücken gesucht habe,.
H ueck hat in einer besondern Abhandlung Nachricht von der Schädelform der den Finnen
nahe verwandten Esthen gegeben.1) Vergleicht man diese Beschreibung von HuEoif-mit der,
welchem ich hier von den Schädeln der Finnen gegeben habe, so zeigen sich bedeutende Verschiedenheiten,
welche indessen grösstentheils auf der verschiedenen Beschaffenheit der Länder
im Vereine mit den verschiedenen Lebensweisen und geselligen Verhältnissen u. s. m. beruhen
können. Esthland ist ein flaches Land, während Finland zum grossem Theile bergig ist; die
Esthen sind mehrere Jahrhunderte hindurch leibeigene Arbeiter unter grösseren Gütern und
Pächtern gewesen, während die Finnen von alten Zeiten her freie und grösstentheils grundbesitzende
Bauern gewesen sind. Die Zeit, in welcher sich die Esthen an der Ostsee festäetzten,
dürfte eine sehr entfernte sein. Prof. R u d . K ey ser hält es. für glaublich, dass das yolk an der
Ostseeküste welches P ythea s Ostiaier nennt, Esthen gewesen seien, wie T ac itu s’s Aestyer. Finnen
und Esthen sind wahrscheinlich lange vor dem Anfänge Unserer Zeitrechnung gesondert gewesen
und haben nach der Zeit unter verschiedenen Verhältnissen gelebt, obzwar ihre Sprachen noch jetzt
so viel Aehnlichkeit haben, dass die esthnische nur wie eine Mundart der finnischen zu betrachten
ist. H ueck meint gefunden zu haben, dass die viereckige Schädelform unter den Esthen herrschend
sei, dass aber, wenn dieselbe Form sich der ovalen nähere, sie dennoch etwas kantig sei; die ’’forma *)
*) De craniis Estonum Dorpat 1838.
cuneata” sagt er, werde selten angetroffen. Halte ich mich aber an seine schönen Tafeln über den
esthnischen Schädel, besonders an das Profil,J) so finde ich, dass dies sehr gut mit den Profilen
der finnischen Schädel übereinstimmt, wie auch mit meiner Beschreibung derselben, während
es in mehreren Stücken der eigenen, vom Verf. gegebenen widerspricht. In dieser Hinsicht glaube
ich auf den Grund der obigen Beschreibungen folgende Hauptzüge, als die finnischen Schädel bezeichnend,
annehmen zu können:
Die Schädel der Finnen sind kurz, im Umfange keilförmig eiförmig, mit grossen, hinten hochliegenden
Tubera parietalia. Sie unterscheiden sicjt von denen der Slaven durch ein schmäleres,
mehr kugelrund-gewölbtes Hinterhaupt, wie auch gerade und flache Schläfen und eine längs der
Pfeilnath laufende Erhöhung der Scheitel. Von denen der Lappen unterscheiden sie sich, wie nachher
ausführlicher gezeigt werden soll, durch einen stärkern Knochenbau, grössere Tubera superciliaria,
starke Proc. mastoidei, ein längeres Gesichtsprofil, wie auch das kugelrunde Hinterhaupt und die
weiter nach hinten liegenden Tubera parietalia, und endlich die nach hinten laufende Sagittalerhöhung.
Es giebt wohl kaum ein europäisches Volk, über dessen Herkunft und Stammverwandtschaft so
viel Dunkel bis auf die neuesten Zeiten verbreitet gewesen, ist, und über welches so viele Muthmas-
sungen aufgestellt worden sind, als das in Rede stehende. Der Reichthum der Sprache dieses Volks,
die Schönheit seiner uralten Poesie und sein herrlicher, tapferer und standhafter Nationalcharakter
zeugen von grossen Ahnen. Der Prof. R. K ey ser in Christiania hat in seiner trefflichen Abhandlung
über die Abkunft und Volksverwändtschaft der Normänner2) Licht über diesen Gegenstand verbreitet.
Man ersieht nämlich aus seiner Darstellung, dass das gegenwärtige Finland seinen Namen von dem Volke
erhalten habe, welches vor den Finnen das Land inne gehabt hat, nämlich von den Lappen, welche
in den ältesten Zeiten, wie noch jetzt in Norwegen, Finnen genannt wurden, dass die jetzigen
Finnen, wie die ihnen stammverwandten Esthen von den slavischen Volksstämmen Tschuden
genannt werden, und dass dies Volk bei den alten Geschichtsschreibern unter dem Namen Seythen
wiedergefunden werde. Er zeigt solchergestalt, dass die Seythen, welche noch gegen das Ende
des fünften, Jahrhunderts das herrschende Volk än der nördlichen Seite des schwarzen Meeres waren,
von diesem! Zeitpunkt an zersplittert, ferner durch Germanen und Slaven nach Norden, theils gegen
die Gegenden um den Ural, theils gegeilt die Länder an der östlichen Seite des bosnischen Meerbusens
und der Ostsee gedrängt worden, kurz, dass die jetzigen^innen die Abkömmlinge der vormals
so zahlreichen und mächtigen Seythen sind.
4. Schädel von Lappen.
Die Schädelbildung dieses Nomadenvolks8) ist von Zeit zu Zeit der Gegenstand der Untersuchung
verschiedener Anatomen gewesen, und Lappen Schädel fehlen in wenigen anatomischen Museen von
Bedeutung. Man möchte danach schliessen können, dass die Form dieser Schädel wohl beschrieben
und bekannt wäre; aber dies ist doch nicht der Fall. «Die Ursache hiervon ist wahrscheinlich die,
') 1. cit. Tab. 2.
*) Om Nordmeendenes Herkomst og Folkesltegtskab. Samlinger til det Norske Folks Sprog og Historie. Bd VI, Heft. 2.
Christiania 1839.
3) Ein Lappenschädel ist Fig. I PI. i n abgebildet.