dieser Periode^der ganze hintere^ Theil der Hemisphären von dem sogenannten Hippocampus eingenommen,
welcher den mittleren Lappen angehört. Ziehen wir die comparative Anatomie zu Käthe,
so finden wir bei den Thieren dieselbe Ordnung für die Entwicklung der Gehirnlappen. Bei den
meisten Fischen finden wir in den vorderen; soliden Gehirnanschwellungen nur Rudimente zu den
vorderen Lappen; bei den Knorpelfischen enthalten■ diese Cavitäten. Bei Amphibien und Vögeln, bei
denen die Hemisphären ebenfalls Ventrikel enthalten, fehlen dagegen die Hippocampi; ihre Hemisphären
sind also analog den vorderen Lappen unseres Gehirns. Bei den Säugethieren kommen die
Hippocampi allgemein vor; aber die hinteren Lappen fehlen oder kommen nur rudimentär vor. "5Veder
bei den Seehunden, noch den Quadrumanen, welche beide Rudimente zum. hinterern Horn, der.Seiten-
ventrikel haben, - sind die hinteren Lappen durch eigene Furchen gesondert oder begrenzt, wie bei
dem Menschen. Man könnte daher mit Recht annehmen, dass die Gehirnhemisphären hei den
Säugethieren im Allgemeinen jede aus zwei Lappen bestehen, nämlich dem vorderen und mittleren,
und dass nur das Gehirn des Mensclieh>nehst den Lobi anteriores und medii mit gesonderten vollständigen
hinteren Lappen versehen sei. Man ersieht hieraus deutlich, dass die hinteren Gehirnlappen
eine Rolle spielen müssen, die viel wichtiger ist, als man ihnen gewöhnlich^zuschreibt. Ich
muss jedoch hier bemerken, dass Kürze des Hinterkopfes nicht immer eine geringere Entwickelung
des Gehirns beweist, weil dieselbe in vielen Fällen, wie oben angedeutet wurde, mit vermehrter
Entwickelung sowohl nach der Breite als nach der Höhe vereint ist. Der Umfang der in dieser
Gegend liegenden Organe kann hiedurch in Breite und Höhe vergrössert werden, und im Verhältnisse
hiezu auch in der Thätigkeit, obwohl diese wahrscheinlich auch eine veränderte Richtung annimmt.
*) In "Bericht über die Zusammenkunft einiger Anthropologen, im September 1861 in Göttingen” S. 33 kommt eine folgender
Massen lautende Aeusserung des Prof. R. Wagner vor: "EbenscTzeigen die Schädelausgüsse aller Hauptrassen und Völker
des Menschen, dass die RETZius’sche Annahme, wonach die Hinterlappen des-grossen Gehirns bei den brachycephalen
Schädeln weniger entwickelt seien, im Wesentlichen auf einer Illusion beruht. Immer überragen diese Hinterlappen das
kleine Gehirn, und wenn dieselben auch nach hinten hie und da weniger vorspringen, so compensirt sich dies durch die
stärkere Entwickelung nach oben.” — I)a die Auctorität des Prof. Wagner von so grossem Einfluss in der Wissenschaft
ist, und da seine eben erwähnte Auffassung der fraglichen Ansichten des A. Retziüs nicht mit der eigenen Darstellung des
letzteren ühereinstimmt, sondern im Gegentheil geeignet ist, eine schiefe Vorstellung davon zu geben, und da die Frage
einen der wichtigsten Punkte, einen der Grundpfeiler in dem RETzros’schen ethnologischen Lehrgebäude betrifft: so habe
ich, mit aller Hochachtung gegen den ausgezeichneten Gelehrten, dennoch gemeint, hier zur Beleuchtung und Widerlegung
seine, wahrscheinlich auf irgend einem Missverständniss ruhenden Aeusserungen aufnehmen zu müssen.
Niemand, der sorgfältig und unparteiisch die eigenen Worte des A. Retziüs durchgelesen hat, kann wohl aus denselben den
Schluss ziehen, dass die hinteren Gehirnlappen der Brachycephalen immer und nach der allgemeinen Regel weniger entwickelt sein
sollten, als die der Dolichocephalen. Retziüs’ eigene Aeusserungen lauten ja im Gegentheil also: ’’Die dolichocephalische Form
. beruht vorzugsweise auf einer grösseren Entwickelung der hinteren Gehirnlappen nach hinten; bei der brachycephalischen sind
diese kürzer, aber bei mehrert: Völkern dafür mehr in der Breite entwickelt;” — und ferner: ’’Man ersi.eh|^liieraus deutlich,
dass die hinteren GehirnlappeU:. eine Rolle spielen müssen, die viel wichtiger ist, als man ihnen gewöhnl^^zuscihreibt. Ich
muss jedoch hier bemerken,^tlass Kürze des Hinterkopfes nicht immer eine geringere Entwickelung des* Gehirns beweist,
weil dieselbe in vielen Fällen, wie oben angedeutet wurde, mit vermehrter. Entwickelung sowohl nach der Breite alsfiach der
Höhe vereint ist. Der Umfang der in dieser Gegend liegenden Organe kann hiedurch in Breite und Höhe vergröss^pgerden
und im Verhältnisse hiezu auch in der Thätigkeit.” Was der-Verf. auf dem Grunde der, Entwickelung u. s. w. hä£- zeigen
wollen, ist eigentlich dieses, dass "die hinteren Gehirnlappen eine Rolle spielen müssen, die viel wichtiger ist, als man ihnen
gewöhnlich zuschreibt”, und dass darum ihre Entwickelung, d. h. die des Hinterkopfes in der einen oder- der andern Richtung
(bei den Dolichocephalen nach hinten, bei den Brachycephalen nach oben oder nach den Seiten), von grosser Wichtigkeit
sein;, müsste-, ^dass also eine Gruppirung der Vplkerarten, gegründet auf diese Thatsachen, in der Anatomie, Physiologie
und* in der Entwickelungsgeschichte, gute Stützen besässe. — Ohne einmal die eigenen unvorgreiflichen Worte des A. Retziüs
zu berücksichtigen, würde es vielleicht auch nicht ganz recht sein, wenn man ihm den Vorwurf machen wollte, er hätte es
übersehen, dass viele brachycephalischen Völker, z. B. viele slavischen Stämme, in moralischer, intellectueller, industrieller und
jeder andern? Hinsicht auf gleicher Höhe mit den gebildetsten stehen und ohne Vergleich weit höher, als die meisten
dolichocephalischen —- Facta, welche sich in offenbarem Widerspruche befinden mit der Ansicht, die Prof. Wagner ihm zugeschrieben
hat, nämlich dass bei den Brachycephalen, immer und im Allgemeinen genommen, die hinteren Gehirnlappen, die
Der übrige Tlieil des Knochengerüstes des Kopfes, der dem Gesichte angehört, beruht auf der
Entwickelung der Zähne, der Kinnladen und der Sinnesorgane. Jeder Anatom weiss, in welcher
Abhängigkeit die Grösse und Form der Kiefer zu der Ausbildung» der {.-Zähne steht; völn neugebornen
nach Retziüs’ eigener Beweisführung eine hohe Rolle spielen müssen, weniger entwickelt sein sollten. Inzwischen sagt er selbst
„crade von solchen Brachycephalen, dass die geringere Entwickelung nach hinten durch eine vermehrte Entwickelung nach der
Breite und nach der Höhe ersetzt wird. Auf der andern Seite aber kann man ihm wohl nicht verdenken, wenn er aus den
entschiedenen Thatsachen, die seine eigenen Forschungen ihm an die Hand gäben, den Schlusssatz zieht (einen Satz, den er
wohl nicbft^äusdrücklich ausgesprochen hat, der aber doch deutlich aus seiner Darstellung hervorgeht), dass bei vielen bra-
chycephaMç^n Völkern der hintere Theil des Gehirnes, d. i. die hinteren Lappen desselben, wirklich eine absolute Vermin-
deruno- erlitten haben. Ich will ein Beispiel wählen gerade unter denjenigen Stämmen, die er selbst sorgfältig untersucht hat,
und mit Benutzung seiner'eigenen Angaben und Facta seine eigene Schlussfolge zu erforschen suchen.
’ v]jje L ap p en , von deren Schädel er 16 sichre Sp. untersucht und gemessen hat, sind; wie bekannt, ein entschieden kurzköpfiges,
'die'Schweden dagegen ein langköpfiges Volk. Von, den Schädeln, dieser letzteren hat A. Retziüs 2— 300 untersucht und von
denselben 5 gemessen, "die sich sowohl an Mass als in den übrigen Verhältnissen als die sämmtlichen wesentlichen Charaktere
. besitzend darstellten. "Wollte nun jemand von den L ap p en behaupten,1 -dass die Kurzköpfigkeit, d. i. der Mangel an Ent-
' ■ wickelun«- nach hinten bei den Hinterlappen des Gehirns durch die stärkere. Entwickelung derselben nach oben und nach der
Breite ersetzt wird (was A. Retziüs selbst übrigens, wie eben bemerkt, ausdrücklich bei vielen Völkern als eine Thalsache
anführt), so wird eine solche Behauptung entschieden durch das Mass der Schädel widerlegt. Denn während bei den Lappen
•V die Lângé/jdès- Schädels bedeutend kleiner ist (durchschnittlich 0,170) als bei den Schweden (0,190), ist bei beiden Völkern
x’sdie Breite gleich (0,147) und bei den Lappen die Höhe sogar geringer (0,129), als bei den Schweden (0,135) Dass hiebei
gerade der Hinterkopf , (die Hinterlappen des Gehirns) diese Verminderung recht eigentlich erlitten hat, erhellt am besten
daraus, dass, wie A. Retziüs dargethan, die Höhe des Bogens einer Sehne, gezogen durch die Ohrenöffnungen, bei den Schweden
beinahe eben so gross ist wie die Sehne, bei den Lap p en dagegen-nur die Hälfte dieser Sehne. Die Sehne aber ist bei beiden
Völkern von ungefähr gleicher Länge, indem die gleich grosse Breit? bei beiden Völkern in die Nähe der Ohrenöffnungen
fällt. Der Hinterkopf .(der hintere Theil des Gehirns, die'Hinterlappen) ist also bei den Lap p en nur ungefähr halb soweit
nach hinten herausstehend, wie bei den Schweden. Aussérdem hat A. Retziüs gezeigt, dass an den Schädeln der Lappen die
Tubera parietalia im Allgemeinen nicht bedeutend entwickelt sind, und dass das Tuber occipitale (der eigentliche Hinterkopf)
von den Seiten zusammengedrückt ist. Gerade von diesen sagt er auch, dass ’’die Hinterlappen an den Seiten das kleine
Gehirn, knapp bedecken” (die mittleren Gehirnlappen schienen ihm dagegen entwickelter zu sein). Bei den Lap p en müssen
daher der Hinterkopf und der hintere Theil des Gehirns, die hinteren Gehimlappen, absolut weniger entwickelt sein, eine Verminderung
erlitten hohen, die nicht durch eine stärkere Entwickelung in die Breite und nach oben compensirt wird. — Uebrigens
hat A. Retziüs keinesweges gesagt, dass nicht auch bei Dolichocephalen eine Verminderung in der Entwickelung der
hinteren Gehirnlappen nach oben und nach den Seiten Statt finden kann, die nicht durch die Entwickelung nach hinten
compensirt wird. — Die oben angeführte Aeusserung des Prof. Wagner ist inzwischen um so auffallender, als er kurz zuvor
in einer Kritik über die ethnographischen Arbeiten des A. Retziüs (eine Kritik, über welche sich übrigens Manches sagen
liesse) die Behauptungen desselben richtig anführt und billigt. Prof. Wagner sagt nämlich selbst (Zoologisch-Anthropologische
Untersuchungen, Göttingen 1861 p. 6): "In Bezug auf die Verschiedenheiten bei den verschiedenen Menschen
giebt übrigens Retziüs selbst sehr richtig an, dass Kürze des Hinterkopfs nicht immer eine geringere Entwickelung des
Gehirns beweise, ’weil dieselbe in vielen Fällen mit vermehrter Entwickelung sowohl nach der Breite als nach der Höhe
vergrössert werden kann’, was ich vollkommen gelten lasse” (!).
Was ferner das Ueberragen der Hinterlappen betrifft, so sagt A. Retziüs in der vorliegenden Abhandlung, dass bei der
brachycephalischen Form ’’das Conceptaculum für die hinteren Gehirnlappen das des kleinen Gehirnes kaum vollständig
(besser A’nun knapp” -— Vgl. Note 3. p. 29) bedeckt, da es hingegen bei der dolichobephalischen überschiesst”. An einer
, vorhergêhéndbh* Stelle (S. o. Abh. I) hat er über diesen Gegenstand seine Ansichten deutlicher entwickelt, indem er in eine
Befrachtung''desselben bei drei von den vornehmsten brachycephalischen Völkern Europas eingegangen ist. Bei den Slaven
(von denen ihm , nur die kurzköpfigsten Sp., 1000:888, zugänglich waren) sagt er, dass die Hinterlappen das kleine Gehirn
”nur eben” bedecken, dafür aber in der Breite entwickelt sind. Bei den F in n en sind sie "kaum bemerkbar” (— nur wenig)
uberschiessend und zeigen eine geringere Breite, als bei den Slaven. Bei den Lap p en bedecken sie ”an den Seiten knapp"
das kleine Gehirn und sind •noch weniger in der Breite entwickelt, als bei den F in n en . Die Schädel anderer Brachycephalen,
als M o n g o len , M a la y e r ,,In d ia n e r , die in dem Museum des Carolinischen Institutes vorhanden sind, boten im
Wesentlichen ähnliche Verhältnisse dar. Uebrigens ist die verschiedene Auffassung der normalen Stellung des Schädels zu
der horizontalen Linie nicht ohne Einfluss auf die Ueberrägung der Hinterlappen über das kleinè Gehirn, wesshaJb: ein
Streit über diesen Gegenstand leicht in einen Wortstreit übérgehen kann. In der Hauptsache hat gleichwohl Â. Retziüs
unstreitig vollkommen Recht, da er als einen wesentlichen Charakter für die Brachycephalen angiebt, dass bei ihnen die
Hinterlappen des grossen Gehirnes bedeutend weniger über das kleine Gehirn überschiessen, bisweilen hei den allerkurzköp-
figsten dasselbe ’’nur eben", bedecken, bisweilen ’’kaum bemerkbar” (nur wenig) überschiessen, während dagegen bei den
Dolichocephalen dieses Ueberschiessen in höherem Grade Statt findet. Herausg.