Gehirn, das männliche ein schwereres kleines Gehirn besitzt; denn jenes ist das relativ mehr empfindende,
als wollende Geschlecht, während der Mann einen mehr motorischen, activen, expansiven
Charakter hat. Das neugeborene Kind, dessen motorisches Coordinationsvermögen so schwach ist,
hatte nur 7§ Hinterhauptshirn, während ein erwachsener Mensch es bis zu 12 —15§ bringt. Der
Geschlechts unterschied ist schon weit geringer, er betrug beim Erwachsenen nur noch IS, aber
er besteht doch.
Stellt sich hiernach eine Uebcreinstimmung heraus zwischen der Zweiheit der Urkräfte unseres
Geistes und der Zweiheil der Hirne, so ist es nicht anders, wenn wir nun auch die empfindende
Richtung für sich allein untersuchen. Wie sie, als eine höhere Potenzirung von Sinn und Gemein-
gefühl, selbst wiederum in zwei und nicht mehr und nicht weniger, zwar unter sich entschieden differente,
jenen körperlichen Empfindungen aber entsprechende und auf höherer Stufe parallel gehende
Richtungen zerfallt, die wir Intelligenz und Gemülh (^Gefühl) nannten, so geht in gleicher Weise
auch das grosse Gehirn, als der Mittelpunkt der sensitiven Vermögen, in zwei Hauptbezirke aus
einander, wovon der eine gewöhnlich der vordere, der andere der hintere Hirnlappen genannt wird,
welche aber besser, nach den zwei Schädelwirbeln, worin sie liegen, Stirnhirn und Scheitel-Zwischenscheitelhirn
genannt werden. Das S tirn h irn ist aber das Hirn der Intelligenz, das Scheitelhirn
das des Gemüths. Darum also diese Zweiheit, welche so scharf im Bau des grossen Gehirns
hervortritt, dass von jeher schon diese zwei Lappen angenommen worden sind, ohne dass man
eine Ahnung von der analogen psychologischen Gliederung und der Verbindung beider hatte. Die
Beweise aber für diesen schon vor 33 Jahren von mir ausgesprochenen Satz 1) mögen ebenfalls daher
geholt werden, was überhaupt der Gegenstand dieser Schrift ist, von dem Geschlechte und.
dem Alter.
Die in der erwähnten Schrift vorgetragene Theorie über den Sitz der drei Urkräfte des Geistes
ist der im Jahre 184-0 von Carus veröffentlichten so ähnlich, dass es mir vorher erlaubt seyn mag,
hier auf die Unterschiede beider Ansichten aufmerksam zu machen und die gegen die C arus’sehe
Auffassung sprechenden Gründe aufzuführen. Meine damalige Deduction lautete folgendermaassen:
yQuum tres habeamus vertebras cerebrales et tres quoque, si cerebrum accurale perlustramus,
evidenter inter se divisas partes reperiamus singulis vertebris respondentes, tres etiam ns responde-
bunt mentis facultales principales. Medulla oblongata cum cerebello occipitalis vertebrae gang Hon,
ex quo nervi motorii et auditorius decedunt et cui quartus ventriculus est, vix dubitandum puto,
quin appelendi facultatem, voluntalem etc. contineat. Secunda vertebra si ex nervo sensuali nuncu-
pemus, oculi dicenda, et partes ejus praecipuae sunt colliculi optici, corpora quadrigemina, ventriculus
tertius etc., quibus accedit basin construens hypophysis cerebri, quae prae ceteris encephali
parlibus cum S ym p a th ie o conjungilur. Qui connexus fortasse indigitat, hoc secundum Ganglion
vertebrale coenaesthesi, sensui (^Gefühl) etc. esse et siculi sensus, si accurate inquiris, quoad direclio—
nem non diversus est ab intelligentia, quam perspieuilate minore, sic ganglion medium quoque organis
suis accuratius ad Hemisphaeras se applicat, quam ad ccrebellum et cum Hs confluii, ita ut duae
partes principales encephali stricte inter se distinctae formentur, quae duos mentis polos, alterum
e x p a n siv um fappetendi facultatem, voluntatem) in cerebello, alterum c o n tr a c tiv u m , ingestivum
(sensum, intelligentiam) in cerebro materialiter repraesentare videntur. Nam non vereor, quin anteriorem
cerebri parlem seu tertiam vertebram maxime excelsis animae viribus instructam esse neges.
Quid enim dilucidius hoc asserto Galli cuique esse potest, quem non fugit metamorphosis medullae
spinalis, cerebrique? Tertia vertebra, in quae Hemisphaerae praecipue, ventriculi laterales, corpora
stricla oriuntur, sagaci olfaclui nervös praebens maximam sensus acritalem et nobilissimas mentis
facultales habebit et frons excellens nobilem quoque meutern indicatm
1) H uschke, iVimices et Physiognomicet fragin. phytiologicum. Jenae 182]. 4. §. 24.
Bald darauf, nachdem ich, meines Wissens zuerst, auf die D reiheit der Schädelw irbel
und des Gehirns die D reiheit unserer geistigen U rkräfte zurückgeführt hatte, wurde
durch F lourens’s Versuche auch ein experimenteller Beweis dafür geliefert. Ich beharrte also um
so mehr in meinen physiologischen Vorlesungen bei dieser Lehre und hatte die Freude, dass einer
unserer genialsten Forscher, Carus, dem wahrscheinlich meine akademische Probeschrift nicht zu
Gesicht gekommen war, im Wesentlichen dieselbe Lehre im Jahre 1841 in seiner Schrift über w issenschaftliche
Cranioscopie aufstellte. Auch er stellt die drei Grundvermögen unseres Geistes
mit der Dreiheit unserer Schädelwirbel zusammen und mit der Dreiheit des Gehirns. Wie Alles aber,
was nicht von Anderen entlehnt ist, bei aller Aehnlichkeit doch auch ein eigentümliches Gepräge zeigt,
so enthält auch die Darstellung von Carus ausser ihrer Anwendung auf eine wissenschaftliche Cra-
nioscopie einige Abweichungen von der meinigen, welche ich zu berühren habe, wenn ich auch damit
nicht übereinstimmen kann. Er vindicirt namentlich das Gemüth den Vierhügeln allein, wogegen
ich bereits in einer Recension seiner Schrift f Jenaische Literaturzeitung 1842) meine Bedenken und
Gegengründe ausgesprochen habe. Carus hat zwar ( M iiI [ er’s Archiv für anat. Phys. 1843. S. 168)
sein Befremden darüber ausgedrückt und mich zu einer in das Wesen dieser Angelegenheit eingehenden
Betrachtung eingeladen. Trotzdem kann ich nicht umhin, bei der Behauptung zu beharren, dass
das bei Fischen und Embryonen so grosse Mittelhirn, die spätere Vierhügelmasse ein viel zu unbedeutendes
und sogar offenbar zu deutlich abslerbendes niederes Organ im menschlichen Gehirn ausmacht,
als dass ihr jenes grosse psychische Vermögen überwiesen werden kann, das Gemüth, das
jedenfalls wenigstens in gleicher Progression mit der Intelligenz sich in def Thierreihe vervollkommnet,
so dass die Moral, das Mitgefühl, die geistige Liebe u. s. w. bekanntlich erst im Menschen
ihren Höhepunkt erreichen, gemeinschaftlich mit dem Erkenntnissvermögen. Mag also die Vierhügelmasse
verwandten niederen Vermögen ("dem Gemeingefühl, dem Instinkt u. dergl.) angehörCn, das
Centrum jener geistigen Urkraft, des Gemüths, ist sie positiv nicht. Durch ihren wesentlichen Antheil
am Gesichtssinne zeigt sich die Vierhügelmasse dem Sehhügel sehr verwandt, und dieser scheint auch
selbst genetisch eng mit ihr zusammenzuhängen. Aber sowie sie sich in den höheren Thieren verhält,
qualificirt sie sieh nicht zu der von Carus ihr zugedachten Rolle. Noch weniger bestimmt sie
die Grösse weder des Scheitelwirbels, noch des Zwischenscheitelbeins, aus deren Entwickelung Carus
doch auf das Vorherrschen des Gefühls in einem Menschen bei seinen Schädelmessungen schliesSt. Vielmehr
ist es der hintere H irnlappen, der dieser Gegend ihre ganze Gestalt und Ausdehnung gibt und
folglich die Sehhügel- oder Hauben Windungen. Seine Linearmaasse bezeichnen in der That diese, aber
nicht die Vierhügel, seine Messungsmethode harmonirt also nicht mit seiner psychologischen Deutung,
sondern zieht wider seinen Willen die Hemisphären mit in sein Gefühlsorgan ([die Vierhügel) hinein,
das auf die Gestalt der Calolte zweifelsohne gar keinen Einüuss ausübt. Die Vierhügel sind, wie bekannt,
in den Fischen die Hauptorgane des Gehirns, ein wirkliches Mittel- und Scheitelhirn, in den
höheren hingegen werden sie von den Hemisphären verdrängt und ohne Zweifel durch deren höhere,
aber entsprechende Thätigkeiten und Organe ersetzt. Allerdings ist beim Weibe, dem fühlenden
Geschlechte, die Vierhügelmasse ausgedehnter, als beim Manne, dem denkenden Geschlechte, aber
auch die Sehhügel sind es, ja im Verhällniss zu dem Hirnmantel sind es alle drei grossen Hirnganglien,
wie oben dargethan wurde.
Das sind die Gründe, warum ich mich nicht zu diesem Punkte der Darstellung von Carus bequemen
kann und meiner alten Ansicht treu bleiben muss. Sehe ich aber ab von seinen theoretischen
Deutungen, so harmoniren seine Erfahrungen so sehr mit den meinigen, ja, er hat namentlich den
Geschlechtsuuterschied in seiner oben erwähnten nachträglichen Abhandlung schon so treffend geschildert,
dass ich auf dieselbe hier zu verweisen mich verpflichtet fühle.
Jedes, das männliche wie das weibliche, Geschlecht besitzt die nämlichen Geisteskräfte,
aber sie stehen im Umgekehrten Verhältniss zu einander. Wie die Entstehung der Geschlechter überhaupt
der vollendetste polare Act ist, der in der Schöpfung vorkömmt, so ist auch ihre doppelte Psy-
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