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könnle. Wenn die Feinheit jener die Untersuchung und die Entdeckung des Grundgeselzes erschwerte,
so gehört hier ein schärferer Blick dazu, um heim Menschen in ihrem darmähnlichen Chaos
Gesetz und Ordnung zu erkennen, die Hauptwindungen von den Nebenwindungen zu unterscheiden
und alle auf einen allgemeinen, einfachen Typus zurßckzuffihren, von dessen Basis aus dann ihre so
mannichfachen Spielarten in verschiedenen Menschenhirnen entwickelt werden.
Auch hier, wie überall in der Naturwissenschaft, muss man genetisch zu Werke gehen und die
Entwicklungsgeschichte der Frucht und des Thierreiches zu Ralhe ziehen. Da die Windungen des
grossen Gehirns sehr spät in der Reihe der Thiere, erst in deren letzter Klasse, sich zu bilden anfangen,
kann man sie auch ziemlich leicht von Ordnung zu Ordnung der Säugethiere verfolgen, nur
vom AtTen bis zum Menschen nimmt die Schwierigkeit in hoher Progression zu, so dass einer unserer
ersten Neurologen *) gesteht, dass es ungeachtet mehrfacher Versuche bis jetzt nicht gelungen
sey, ihre Anordnung im menschlichen Gehirn auf bestimmte Grundformen zurückzuführen.
W as isl aber die anatomische und physiologische Bedeutung einer Windung überhaupt, mag sie
nun dem grossen oder dem kleinen Gehirne angehören?
Die Windungen beruhen auf einem der allgemeinsten Bildungsgesetze, wodurch die Natur die
Mannichfalligkeil einer höheren Entwickelung so oft herbeizuführen pflegt, auf dem G esetz der
Faltung.
Neue Bildungen werden nämlich in unserem Körper auf dreifache Weise in den festen Theilen
hervorgebracht:
1) durch D ifferenzirung ( Entwickelung), welche bald in einer blossen Theilung in gleichartige
Theile besteht (q u an titativ e D ifferenzirung), bald aber auch in vollkommenerer Art
ein qualitativer Polaritälsact ist, wobei die neuen aus einem einfachen Theile hervorgehenden Pro-
ducte sich auch qualitativ different und mehr oder weniger entgegengesetzt zu einander verhallen;
2) durch Aggregation getrennter Theile und
3) durch Faltung.
Allen dreien entsprechen dann verwandte chemische Acte, der Act der chemischen Zersetzung,
der Umsetzung, Verschmelzung und Auflösung.
Faltungen überhaupt aber und so auch die Windungen des Gehirns entstehen durch ungleiches
Wachsthum einzelner Stellen der Hirnoberfläche, welche dadurch zu- abwechselnden Wülsten und
Furchen hervorgetrieben werden. Sie sind im Kleinen, was die Lappen im Grossen, Läppchen und
Acini, deren letzte wichtige Elementarlhcile die neuerdings entdeckten, wohl auch schon von Mal-
pighi 2) gesehenen Hirnzellen sind. Ihr Zweck ist also theils Individualisirung, thefls, wie bei aller
Faltung, z. B. in den zahlreichen Falten und Ramificationen des Schleimhautsystems (Drüsen), die
V ergrösserung der Oberfläche ip einem kleinen Raume, welche im menschlichen Gehirn-dadurch
ungefähr 12mal grösser wird (Desm oulins)3). Oder noch bestimmter, es ist die V erm ehrung
der H indensubstanz. Mit der Verdickung der Hirnwände verdickt sich die
Rinde und nimmt zugleich die Zahl und Tiefe der Windungen zu. Ohne Windungen
würde bei gleichem Umfange des Hirns die für die Markmasse nölhige Rindenmasse mit ihren Hirnzellen
nicht wohl möglich gewesen seyn. Insofern wir aber in der grauen Substanz die Cenlralmasse
1) Arnold, Handbuch der Anatomie. Bd. 2. S. 729.
2) D e cerebri cortice p . 78.
3) Die »on Baillarger ( A m . m ii. piych . Jmr. 1853. Schmidt’« Jahrhb. 1853. S. 152) zur Messung sngewendele neue
Methode, die durch die Windungen herrorgehrachte Grösse der Oberfläche zu messen, indem er nach nnd nach so viel als möglich
Marksuhstanz »egnimmt, so dass die Hemisphäre ant eine dünne Schicht redneirt wird, die er dann leicht entfalten und
in Gyps ahformen kann, ist zn unsicher, um das Hesnltat seiner JUnletsnchnngen festzuslellen: dass die Entwickelung
der Intelligenz keineswegs in geradem, vielmehr wabrscheinlieh in umgekehrtem V erhällniss zur
Grösse der Hirnoberfläche stehe. Das gilt ganz gewiss nicht vom Menschen, ja auch nicht von Thieren Einer Spe-
cies, aber von verschiedener Intelligenz! Und die Richtigkeit seiner Methode noch angenommen, würde seine Berechnung
doch nur darthnn, dass die Oberfläche in geringerem Maasse als die Masse (Gewicht) der Hemisphären wächst.
des Nervensystems anerkennen müssen, von deren Vollkommenheit nicht nur die der Windungen abhängt,
sondern auch die spontanen, verstärkenden Wirkungen seiner Thätigkeit, so isl auch der Mechanismus
des geistigen Lebens um so vollendeter zu schätzen, je zahlreicher und tiefer die Hirnfurchen
sind bei gleicher Wölbung und Dicke der Windungen und je intensiver und schärfer begrenzt
ihre graue Färbung ist. Eine Abnahme ihrer Färbung ist daher ebenso der,Ausgang der Manie, wie
die Verhärtung der Marksubstanz, und Blödsinnige haben, wie die Thiere, flache und sparsame grobe
Windungen, geistreiche Ratjen, Völker und Individuen zahlreiche, feingegliederte und tiefe Windungen.
Der Mensch aber überhaupt hat mehr und unregelmässigere Windungen und liefere Hirnfurchen,
als irgend ein Thier.
Nach dem Gegensätze von Körper und Geist existiren aber zweierlei grosse Abtheilungen der
grauen Substanz, ein C entralgran (Hirnganglien) und ein peripherisches Grau ([Rinde),
zwischen welchen ein entschiedener Gegensatz und damit wahrscheinlich auch die lebhafteste Wechselwirkung
staltfindet. Jenes gehört den niederen, mehr körperlichen Functionen, dieses den geistigen
an. Ueberwiegt das peripherische Grau, so herrschen die geistigen Vermögen vor, und hat das Centralgrau
ein günstiges Verhällniss, so beherrschen die körperlichen oder niederen geistigen Kräfte
die höheren Vermögen des Geistes. Daher das Ucbergewicht der S treifen- und Sehhügel bei
den Thieren. Je höher ein Säugethier steht hinsichtlich seiner intellectuellen Fähigkeiten, desto mehr
steigt das Uebergewicht der Hemisphären nicht nur über die Vierhügel, welche unter allen die niedersten
dieser Ganglien sind, sondern auch über Streifen- und Sehhügel. So machen die zwei letzten
am grossen Gehirn des Menschen nur gegen 53 aus, bei den Affen 88, im Hunde bereits 118,
bei der Katze, dem Pferde und dem Kalbe 138, ja beim Hammel 14—158. Wesentlich bestehen aber
diese Körper aus C entralgrau.
Ein an Windungen armes Gehirn kann daher wegen jenes entgegengesetzten Verhältnisses doch
höher stehen gegen ein Hirn mit vielen und ausgearbeiteten Windungen, das aber verhältnissmässig
mehr Gentralgrau und wenig Peripherisches enthält. Man hat sich bei den grossen geistigen Fähigkeiten
des Hundes häufig über die Armulh seines’ grossen Gehirns an Windungen verwundert im Vergleich
zu dem weit complicirteren Windungssysteme des geistesarmen Schafes und hat aus dieser
allerdings' sonderbaren Erscheinung auch wohl einen Grund gegen die hohe Bedeutung der Windungen
entlehnt. In jenem Verhällniss findet dieser scheinbare Widerspruch theilweis gewiss seine Aufklärung.
Die Wiederkäuer, wie sie im Allgemeinen niederer stehen, als die Carnivoren, sind eben mit
dem körperlichen Centralgrau besser bedacht, diese mit der Rinde. Der stumpfe, geistlose Castrat
bringt es sogar auf 158. Dass noch andere, feinere Ursachen hier ausserdem zu Grunde liegen mögen,
brauche ich kaum zu erinnern.
Ich werde zuerst hauptsächlich die Entwickelung der Windungen in der Reihe der Säugethiere
darlegen nach eigenen und fremden Beobachtungen, wozu namentlich ein reiches Material von Leuret
vorliegt, und endlich däs menschliche Gehirn zum Hauplgegenstande meiner Betrachtung machen, indem
ich daran die sehr sparsamen Beobacliluugen über die Windungen des fötalen Gehirns anreihe.
Wir werden sehen, dass auf dieser Basis in die scheinbar regellosen und chaotisch durch einander gehenden
Gestalten unserer Windungen eine überraschende Gesetzmässigkeit, ja Einfachheit kömmt.
A. Die Windungen des Hirns der Säugethiere bis zu den Affen herauf.
Der erste Entwurf zu dem Windungssysteme des grossen Gehirns sind die vier concentrischen
Ringwindungen an der Aussenfläche jeder Hemisphäre, wie sie von L eu re t, Longet u. A. bereits
beschrieben worden sind. Diese Urwindungen ( f t / r r prim üim j, wie ich sie deshalb nennen will,
sind nach unten, an der Sylvisöhen Grube,«offene Ringe, welche von vorn nach hinten über die Hemisphären
hinweglaufen und die ich vor der Hand, wie L eu ret, mit Zahlen bezeichnen und von
unten nach oben mit dem Namen: erste, zw eite, d ritte und vierte Urwindung belegen will.
An der Innenfläche liegt dann noch der Bogenwulst CGyrus fomicatus s. crislafus s. cingulf),
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