2) Als feuchte L eiter ist das Commissurensystem angebracht. Gehören in dieser Beziehung
dem Systeme der Hirnganglien die Reihe kleinerer Commissuren an, den Streifenhügeln und
Unterlappen die vordere Commissur, den Sehhügeln die weiche Commissur (?) - und den Vierhügeln die
hintere Commissur, so besitzt der geistige Bezirk des grossen Gehirns, die Hemisphären, das grosse
System der B alkenfaserung. Der Balken vereinigt die zwei colossalen Elemente des Gehirns und
leitet sie zur einheitlichen Wirkung. Er spielt bei dieser Einheit und Zusammenwirkung beider
Halbhugeln die erste Rolle, er ist die feuchte Pappe, die in der wunderbaren Strahlung der Balkenfasern
die Millionen von Ganglienkugeln der Rinde zu Einer kräftigen Säule verbindet. Je grösser
der Balken, desto höher steigen daher im Allgemeinen die geistigen Vermögen der Thiere, und Menschen
mit kurzem und dünnem Balken sind beschränkten Verstandes, ja sie verlieren ihr Gedächtniss
und werden selbst blödsinnig, wenn er gänzlich fehlt oder durch Krankheit desorganisirt ist. Manche
haben ihn deshalb als das Organ des Gedächtnisses (T rev iran u s), des verständigen Erkennens
(S tark ), des Bewusslseyns (la P eyronie), ja als Sitz der Seele angesehen *).
Diese einheitliche Wirkung aller Commissuren und der symmetrischen Anordnung der Hirntheile
überhaupt wird auch die Ursache des gestörten G leichgew ichts, das man bei einseitigen Verletzungen
verschiedener Hirniheile beobachtet hat, so dass einseitige Bewegungen entstehen, die bekannten
Vorwärtsbewegungen (bei Wegnahme eines Streifenhügels), Manegebewegungen (bei Verletzungen
der Hirnschenkelbrücke), Axenrollungen (bei Durchschneidung eines Kleinhirnschenkels)
und Rückwärtsbewegungen (bei Verletzungen des kleinen Gehirns). Man sieht, diese vielerlei unwillkürlichen
und heftigen Bewegungen gehen in einander über und beschreiben gewissermaassen einen
Halbkreis um das ganze Thier, müssen aber alle auf Mangel der Einheit und des Gleichgewichts zurückgeführt
werden.
3) Wenn nun der Balken an der geistigen Batterie der Hemisphären die Rolle des feuchten Leiters
übernimmt, so finden wir im Windungssystem ihren Mittelpunkt und ihre Pole.
Nach Allen dem, was ich oben von der Entwickelung der Windungen gezeigt habe, kann es kein
Zweifel seyn, dass der Indifferenzpunkt jeder Hemisphäre in den beschriebenen C entralw indungen
zu finden ist. Ihre centrale, indifferente Bedeutung erkennt man aus ihrei; mittleren Lage
(in der Mitte der Pfeilnaht), aus ihrer ungeheuren Grösse und der Tiefe der Centralfurche, die sie
trennt, aus ihrer Einfachheit und Regelmässigkeit und endlich aus ihrer vielseitigen Verbindung mit
ihren sechs bis acht Armen, die wie Strahlen nach verschiedenen Seiten auslaufen, um, gleich einem
verzweigten Strassennetze, die telegraphischen Berichte aus allen Gegenden unseres Seelenorganes
jenen Hauptwindungen zuzuführen oder von da Befehle empfangen zu können. Hier liegt die Wasserscheide,
von wo nach Nord und Süd, nach vorn und hinten die Längenwindungen ihre doppelte Strömung
verfolgen oder das gemeinsame Bett, in welches sich ihre verästelten Quellen ergiessen. Mit
ihrer Entstehung im Affen tritt das Gehirn mit seinem Windungssysteme in die letzte Periode seiner
Entwickelung und mit ihrer Vollendung im Menschen ist auch die höchste Höhe desselben erstiegen.
Es ist nicht fähig, darüber hinauszugehen, denn es hat damit das Ziel aller Entwickelung erreicht
scharfe Sonderung eines Gesammt-Indifferenzpunktes und der damit verbundenen Pole. Bei den Säu-
gethieren, denen diese grossartigen Windungen fehlen, waren die beiden Pole, als die vorderen und
hinteren Hälften dreier in einander gelegter Hufeisen, noch mehr oder weniger mit einander verflossen
und gingen in einander allmählig über. Erst am Gehirn des Menschen werden sie vollkommener
1) M e c k e l’s Fall (in R e il’s Archiv Bd. 11. S. 341) und viele von la P e y ro n ie gesammelte Fälle in M ém . d e lA c a d
royale des S c . 1741. p . 271. und Mém. de VA cad. de Chir. T . I. P . 2. p . 136., ferner J. P a g e t ’s Fall in L a n d. m éd.
chir. Soc. Pol. 29. 1829. p . 55. von einem Mädchen von 31 Jahren, welches an Pericarditis starb und an keiner Geisteskrankheit
gelitten hatte, aber in ihrem Benehmen kindisch und in ihrer Kleidung nachlässig war, sonst aber leicht begriff und
lernte. Rudiment des Balkens, kein Septum lucidum , in der Mitte unvollständiger Fornix, sehr breite Committura m ollit •
J o l l y , The hum. brain. 1826. p . 433; C h a t t o in Land. m ed. Gax. 1845. Jan. 10.; ferner die Fälle von B o u la n g e r’
M a y e r, B ia n c h i, der Fall des Herzogs F rie d lic h von Gotbä u. A.
aus einander gesprengt durch die Scheidewand, die sich als Centralwindungen zwischen sie schiebt,
gleichwie das Herz nicht eher zur Ruhe kömmt, als bis ein vollkommeneres Septum entstanden ist
und rothes und schwarzes Blut ganz und gar von einander getrennt hat. Welche mächtige Wirkung
diese scharf aus einander gesetzte Blutpolarität auf den thierischen Körper ausübt, sieht man an der
W ärm e der Thiere. Bisher kaltblütig, wird der Organismus in der Klasse der Vögel fast plötzlich
ein warmblütiger. Eine ähnliche; noch unbekannte Wirkung muss der Mechanismus der Nerventätigkeit
durch die Centralwindungen erfahren. Schärfe, Bestimmtheit, Klarheit, grössere Einheit
des psychischen Lebens müssen damit verbunden seyn.
Wie nun an der Bildung der Scheidewand des Herzens beide Hälften einen Antheil nehmen, so
finden wir auch an dem erwähnten Septum gyrorum nicht einen einfachen Wulst, sondern ihrer zwei,
eine vordere und hintere Centralwindung, wovon sich jene auf die vorderen Längenwindungen, diese
auf die hinteren bezieht. Trotz allem Streben nach Einheit, das in der Entstehung dieser Windungen
offenbar liegt, bringt es die Natur doch eben so wenig hier zu einem einfachen Centrum, als das
Gehirn als Ganzes dies zu erreichen vermag, vielmehr in zwei Hemisphären gespalten bleibt. Kein
menschliches Gehirn hat bloss Eine Cenlralwindung, und wenn es geschähe, würde es ein wirklich
abnormer Zustand und gewiss mit einer bemerklichen Einseitigkeit der höheren Seelenkräfte verbunden
seyn. Sie können in Hinsicht auf Breite, Schlängelung, Höhe und senkrechteren oder schieferen
Stand differiren, aber die Eine scheint nothwendig auch die Andere zu fordern, wenn nicht das physiologische
und, diesem entsprechend, auch das moralische Gleichgewicht gestört werden soll. Ihre
Einheit wird kaum durch die anastomotische Verbindung ihrer oberen und unteren Enden angedeutet I).
Welche der zwei Bogenhälften der drei Urwindungen der positive, welche der negative Pol, ob
die vordere oder hintere, wird die Experimentalphysiologie entscheiden. Nach der Analogie muss man
für jetzt die vordere oder das Slirnhirn für den positiven, die hintere für den negativen Pol halten,
da die Erfahrung lehrt, dass das vordere Ende des Körpers und einzelner Theile gegen das hintere
sich als das positive verhält.
Noch schwieriger ist physikalisch die Frage zu beantworten, warum es nur drei Urwindungs-
züge gibt, warum der mittlere, sowohl vorn als hinten, der bei Weitem breitere sey, warum die vorderen
Längenzüge sich durch Inselbildung, die hinteren dbrch Lappenbildung auszeichnen. Ist auch
hier vielleicht der mittlere Zug der indifferentere und erster und dritter Zug einander mehr entgegengesetzt?
Was bedeuten die verschiedenen Läppchen oder Inseln jedes einzelnen Zuges. Sind es
Ruhepunkte, um welche sich kleinere neuroelektrische Kreise und Ströme sammeln? Ich werfe bloss
Fragen auf, damit die Untersuchungen einen Anfangspunkt haben, von wo sie ausgehen und ihre experimentellen
Fragen der Natur vorlegen können.
Jedenfalls sind auch physikalisch diese Züge das Ast- und Laubwerk, welches von dem Stamme
der Gentralwindungen unter immerwährender Verästelung, Insel- und Lappenbildung ausgeht und das
neuroelektrische Grundschema gesetzlich aus einander legt, mit physikalischer Nolhwendigkeit gliedert.
Ausser den grossen Indifferenzpunkten des Windungssystemes gibt es endlich noch eine Anzahl
kleinerer für die grosse Hirnganglienkette. Dazu gehört die Zirbel und die ganze graue Substanz
der Gentralhöhlen (der Wasserleitung, der weichen Commissur, das Tuber cinereum und der Hirnanhang).
Eine grosse, weiche Commissur ist hn einem Hirn kein gutes Zeichen, so wenig als eine
grosse Zirbel. Man findet sie oft bei Blödsinnigen von Retardation der Entwickelung. Auch die
weissen Erhabenheiten gehören hierher, sind aber doch schon vollkommener, weil sie beim Menschen
1) Bei einer Frau H ., welche ihrem Ehemanne viermal nach dem Leben getrachtet batte, ihn mit Hülfe ihres Buhlen W . bald
hatte in einen brennenden Meiler, bald in einen Teich werfen, bald vergiften wollen und endlich zu dem vierten nächtlichen
Mordversuche gegen den schlafenden Ehemann (einem Schuss durch Brustbein, Lunge und Schulterblatt, wovou er aber
dennoch genass) dem Mörder geleuchtet hatte, fand ich die linke vordere Centralwindung in der Mitte ihrer Länge unterbrochen
, ausserdem aber starke Verknöcherungen in der Hirnsichel. Es ist dies der einzige Fall, wo ich eine Unterbrechung
einer Centralwindung gefunden habe.