einfachen Grund und Boden, das Fundament unseres Geistes, auf welchem die Stockwerke mit ihren
Thürmen und Bögen, mit ihren Säulen und Schnitzwerk sich erheben. Hier wird nicht sowohl das
Talent seinen Ursprung haben und die besondere Stimmung unseres Gemüthes, als vielmehr der Charakter
und das Selbslbewusstseyn, auf dessen Basis die golhischen Gewölbe des menschlichen Geistes
in immer feinerer Gliederung emporwachsen, in der intellectuellen Richtung des Genies und des Talentes
nach der Stirn zu und in der fühlenden Richtung der Liebe und des Glaubens nach dem Zwischenscheitelbein
zu. Sehen wir also den Mittelpunkt unseres Geistes, die Seele, als den wichtigsten
Theil desselben an, legen wir ebenso auf den Mittelpunkt unseres Gehirns ein besonderes Gewicht,
so nehmen nach diesem Gesichtspunkte die Central Windungen die oberste Stelle im Gehirn ein.
Uebrigens unterliegt es keinem Zweifel, dass eine Menge Mittelpunkte verschiedener Ordnung in
unserem Seelenorgane exisliren, ja in jedem Momente, wo empfunden und vorgestellt wird, für sich
thätig seyn können, ein Mittelpunkt des unbewussten Seelenlebens im verlängerten Marke, wie Mittelpunkte
verschiedener Art im selbstbewussten Centrum der Hemisphären, ja die Millionen Elementarbläschen,
die wir Ganglienkugeln oder Hirnzellen nennen, sind eben so viele mikroskopische Centra,
Sterne zweiter und dritter Grösse, Milchstrassen, deren Glieder in fortwährender Anziehung und
Abstossung begriffen sind. Während wir Einer Vorstellung nachhängen, gehen noch Tausende von
Erregungen, Empfindungen und Vorstellungen in uns vor sich, die aber nicht zum Bewusstseyn, zur
Herrschaft gelangen, sondern dunkle Vorstellungen und Empfindungen bleiben und von anderen,
mächtigeren verdrängt zu werden. Wer weiss nicht, dass er, während er denkt, in derselben Zeit
gehört, gesehen und gefühlt hat? Diese gleichzeitigen Empfindungen, diese N ebenvorstellungen
exisliren, gehen aber für uns grösstentheils verloren, wie das Gefühl des Herzschlages, des Athem-
holens, das Muskelgefühl und viele andere, weil die Aufmerksamkeit sich nicht darauf richtet, wenn
sie nicht, wie die Träume beweisen, ein späteres unwillkürliches Hervortauchen ihrer Bilder veranlassen,
die uns oft verfolgen, wohin wir blicken, woran wir auch angestrengt denken mögen,
sq dass Schlaf und Traum oft die Wiege unserer wachen Gedanken werden. Die genialen Einfälle
des Menschen sind im unbewussten Zustande schon gleichsam im Hirn ausgearbeitet und vorbereitet.
Sie treten dann scheinbar plötzlich vor unser Bewusstseyn und springen hervor, wie die vollendete
Minerva aus dem Haupte des Zeus. Schlaf und Traum sind die unterirdischen Werkstätten dieses unbewussten
Geisteslebens, aber auch im Wachen geht eben so unwillkürlich, wie unbewusst jene Kette
dunkler geistiger Operationen fort. In unserem Geiste ist beständig Dunkel, Halbdunkel und Hell
thätig, und während das Helle wieder in Dunkelheit versinkt, arbeitet sich ein Dunkles herauf zum
Tage des Bewusstseyns. Ohne dieses Zusamm enfassen mehrerer einzelner Bilder wäre auch
unser höheres geistiges Leben gar nicht möglich, wenn auch die Fähigkeit des Zusammenfassens und
Ueberschauens vieler Vorstellungen nicht allen Menschen in gleichem Maasse beschieden ist. Wie es
fixirende und beschauende Augen gibt (J . Müller), so gibt es auch fixirende und contemplative Geister.
Jene sehen wohl den Wald vor Bäumen nicht, aber jede Ader eines Blattes auf das Genaueste,
diese übersehen oft das Detail der Erscheinungen und ermangeln des kritischen Talentes, aber sie
überschauen das Ganze mit Vernachlässigung des Einzelnen und fassen die Vielheit ihrer Vorstellungen
in den geistigen Rahmen der Idee, zu welcher jene sich nicht zu erheben vermögen. Alle Menschen
aber besitzen beide Fähigkeiten und empfinden in der That tausendfach, ohne es zu wissen.
Unser Gefühls- und Gedankensystem gleicht also nicht der Gestalt einer Linie, sondern einem sehr
zusammengesetzten Netzwerk, worin der Gottheit Kleid an vielen Orten zugleich gewebt wird, „einem
Webermeisterstück, wo Ein Tritt Tausend Fäden regt, die Schifflein herüber- und hinüberschiessen,
die Fäden ungesehen fliessen, Ein Schlag Tausend Verbindungen schlägt.“ f
Viertes Kapitel.
Die Verbindung des Hirnes und des Geistes mit den Sinnen.
E s gibt nur wenige Seelen, die wissen, wie weit die Harmonie der äusseren
Natur mit unserer reicht und wie sebr das ganze All nur eine Aeolsharfe ist, mit
längeren oder kürzeren Saiten, mit langsameren und schnelleren Bebungen — vor
einem göttlichen Hauche ruhend. J e a n P a u l.
W er einmal im Stande w äre, die Gleichheit der Naturerscheinungen mit den
Geisleserscheinungen aufzudecken > der hätte die Philosophie des Geistes gelehrt.
O k en .
Die Lehre von den eigentlichen Geisteskräften hängt auf das Innigste mit der Lehre von den
Sinnen zusammen. Wie in der Natur der Weltgeist in räumlicher Symbolik vor uns ausgebreitet
liegt, so sind die niedersten Symbole, die ersten Wege des Menschengeistes, die Sinne; Sinnesempfindung
und Gedanke sind nur niedere und höhere Stufen der Psyche. Jene gibt uns die Grundlage,
worauf wir stehen müssen, um herauf zu reichen nach der Höhe des grossen geistigen Kunstwerkes
und es wissenschaftlich zu begründen. In diesem Sinne ist der Satz von Condillac richtig:
Non est in intettectu, quod non ante fuerit in sensu, gleichwie vom organischen Leben gesagt werden
muss: Non est in corpore noslro, quod non ante fuerit in terra. Ohne diese niederen Stufen des
Geistes durchschaut zu haben, würde uns auch der Erste Punkt fehlen, von wo aus wir auszugehen
haben, wenn das psychische Gemälde klar und vollendet erscheinen soll, und insofern — nicht
aber weil die objective Natur, die Materie, scheinbar den Geist hervorbringt — muss die Naturphilosophie
der Philosophie des Geistes allerdings vorangehen, denn jene ist die Philosophie des
sinnlichen Lebens. Ich lege daher meine Theorie der S innet) diesen Betrachtungen zu Grunde.
Die Bedeutung der grossen Hirnabschnitte ist zunächst in den Sinnesnerven enthalten, welche
daraus hervorgehen, und in der Natur der Sinnesthäligkeit, deren physiologischer Ausdruck jener
Nerv ist, wie der physikalische das übrige Sinnesorgan selbst.
Bekanntlich ist das Gehirn der Fische eine Reihe von drei Ganglien, welche den drei höheren
Sinnen und deren Nerven e n tsp re c h e n 2) und fast nur die drei Centralganglien des Hör-, Seh- und
Riechuerven sind. So bezieht sich das Hinterhirn auf das Ohr, das Milteihirn (Vierhügel) auf das
Auge, die Hemisphären auf die Nase. Wenn alle diese Nerven Ausstülpungen der respectiven Hirnhöhlen,
der Hörnerv eine Ausstülpung der vierten Hirnhöhlé ([Ba er), der Sehnerv die der Vierhügelhöhle,
der Riechnerv, besonders deutlich als Processus mammillaris, eine Ausstülpung der Hemisphärenhöhle
ist, so steht doch keiner von ihnen mit der Bildung seines Sinnesorganes in so genauem
Connex, als der Sehnerv mit dem Auge. Jene berühren es bloss, dieser dringt tief ein und bildet
sogar den grössten Theil davon. Der Riechnerv reicht nur bis an die Nasenhöhle, der Hörnerv dringt
schon mit seiner Arachnoidea in den Raum des Cotunnischen Wassers ein, der Sehnerv und seine
Häute hingegen bringt, mit alleiniger Ausnahme der Krystalllinse, den ganzen Augapfel hervor.
Alle diese drei Sinne gehören aber zu Einer, von den übrigen abzusondernden Reihe. Sie sind
blasenförm ig gebaut und durch Einstülpung der äusseren Haut entstanden, die anderen,
Zungen- und Tastwarzen, nicht. Sie liegen alle drei in den verschiedenen Z w ischenw irbellöchern
des Schädels, die anderen nicht. Ihre Sinnesnerven hängen endlich mit den drei Grundelementen
des Hirns (Hirnganglien) weit inniger zusammen, als die anderen Sinnesnerven, und entstehen
früher als diese.
Dabei aber ist nicht zu verkennen, dass sie den übrigen, niederen Sinnen ([Getast, Wärmesinn,
Geschmack) auf höherer Stufe entsprechen. Sie sind deren edlere Epigonen, und ihre Thätigkeiten
1) Ueber die Sinne. Weimar 1823. 4. O k e n ’s Isis. 1825.
2) C a r u s , Zoolomie. Leipzig 1818.