freien Zwischenraum der zw eiten und dritten inneren Krümmung zu liegen kömmt, wo sich
natürlich der Wurm freier ausbreilen kann. So lange diese Schlingen noch entfernt vom Wurm liegen,
wie es bei den meisten Säugelhieren der Fall ist, sind Pyramide und Zapfen in der Thal noch
mehr cylindrisch, ja, sie haben noch hinreichenden Raum zu den bekannten seitlichen Hin- und Herkrümmungen,
welche dem unteren Wurme sein asymmetrisches Aussehen geben. —
Während sonach die untere Hälfte der Hemisphären als eine dreifache Schlangenwindung herab-
läufl unter allmähliger Verdünnung bis zur Flocke und sich deshalb durch starke Abgesetztheit von
dem unteren Wurm und durch die Tiefe des beutelförmigen Ausschnittes auszeichnet, ßndet man an
der oberen Hälfte des Cerebellum (Tenlrallappen nebst dessen Flügeln und dem oberen Wurme
und den dazu gehörigen viereckigen Lappen) weder im Menschen noch bei irgend einem Säuge-
thiere etwas Aehnliches, sondern beide, die einander entsprechenden Theile des O berwurms
und der Hemisphäre gehen allmählig in einander über und breiten sich lediglich
in gerader Richtung seitw ärts aus, ohne jedwede Spur von Schlängelungen, indem
die Hemisphärenlappen vom Wurme höchstens durch eine seichte Furche geschieden werden. Darin
stimmen also oberer Wurm und seine entsprechenden Hemisphärenlappen mit einander überein, während
es gerade nur dem unteren Wurme zukömmt, solche mehrfache Seitenkrümmungen zu machen
in vielen Säugelhieren, wie es bei den Hemisphären bei allen constant der Fall ist.
Zu diesem ganz verschiedenen anatomischen Baue gesellt sich noch der Gegensatz der E n twickelung,
in welchem die beiden eben beschriebenen Abtheilungen der Hemisphären zu einander
stehen.
Im Allgemeinen nämlich bildet sich die obere vordere Hälfte immer mehr auf Kosten der unteren
hinteren aus. Der C entrallappen, der im menschlichen Cerebellum viel weiter nach vorn liegt,
tritt bei den Säugelhieren noch sehr zurück, seine F lügel, vielleicht die zuletzt entstehenden Hemisphärenlappen,
und die viereckigen Lappen sind in den meisten Säugethieren nur sehr schmale
Anhänge ihrer noch sehr breiten Wurmlappen. Diese Armulh der oberen Hemisphärenhälfte macht
es möglich, dass, wie bereits beschrieben worden, die mittlere Abtheilung der unteren Hemisphärenhälfte
sich mit ihren Gyris antroflexis sogar auf die obere, vordere Fläche über die grosse Horizontalfurche
wegschlägt. Diese Furche aber richtet sich bei den Carnivoren und anderen Säugethieren, statt
wie im Menschen vorn und seitlich zu liegen, nach oben und vorn und ist erst zu übersehen,
wenn jene umgeschlagenen Windungen rückwärts geklappt werden.
Nach und nach wächst aber der viereckige Lappen immer mehr seitwärts aus und die Gyri an-
troflexi ziehen sich gleichzeitig ganz von der Horizontalfurche zurück. Diese aber wird dadurch freier
oder wenigstens nicht mehr von jener sonderbar übergreifenden Windung, sondern von dem viereckigen
Lappen verdeckt. So deckt bei der Katze der Flügel des Centrallappens nur den Bindearm
Ccrus cerebelli ad corpus quadrigeminunf) , am menschlichen Cerebellum hingegen reicht er viel weiter
nach aussen bis zur Horizontalfurche oder zum Brückenschenkel.
Ebenso wird die obere Hälfte der ersten Schlangenwindung O b erer h interer L appen) durch
den viereckigen Lappen rückwärts gedrängt und die drei und mehr Läppchen , welche ihr Wurmtheil
bei der Katze u. A. hat, werden auf Ein Blatt Cdas W ipfelblatt, folium cacuminis) reducirt.
Damit scheint es auch zusammenzuhängen, dass der menschliche Wurm nicht mehr, wie beim
Vogel und Säugethiere, mit parallelen Rändern versehen ist, sondern sich vom Cenlrallappen aus gegen
das Wipfelblatt zunehmend zusammenzieht und dreieckig wird. Dennoch aber ist der obere Wurm
auch in dieser verkümmerten Gestalt immer noch stark gegen den unteren zu nennen.
Mit der Vergrösserung und Ausbreitung der Hemisphären, welche auf Kosten des Wurms wachsen,
rücken auch grosse und kleine Mandel der hinteren Mittellinie näher und der untere Wurm wird
von ihnen so überwachsen, dass jetzt erst das Thal entsteht.
Wenn sich hieraus genügend ergibt, dass die untere Hälfte des kleinen Gehirns allmählig überwachsen
und verdrängt wird von der oberen, die folglich auch die edlere, wenigstens in ihren Hemisphärenabschnillen
seyn muss, so lässt sich doch nicht verkennen, dass auch einzelne Theile der
unteren Hälfte gerade im Menschen eine ganz besondere Entfaltung offenbaren. So namentlich die
Mandel. Sie ist im menschlichen Cerebellum ausgezeichnet gross und angeschwollen im Verhällniss
zur Flocke, erreicht nicht nur den Unterwurm, sondern berührt sogar die Mandel der anderen Seite
und versteckt daher Zapfen und Knötchen QJvula et nodulusj. Sie tritt beim Menschen so gewaltig
hervor, dass sie fälschlich für ein alleiniges Eigenthum des Menschen angesehen worden ist 1), ungeachtet
sie auch den Affen und den meisten anderen Säugelhieren zukömmt. Dieser Irrthum ist nur daraus
zu erklären, dass, wer nicht den zickzackförmigen Typus der Hemisphärenlappen erkannt hat, die im
Menschen vorkommenden Lappen wegen ihrer scheinbar verworrenen, principlosen Anordnung, ihrer
Kleinheit u. s. w. am Säugelhierhirn viel schwieriger finden oder richtig bestimmen kann.
Die Flocke dagegen ist bei den Säugethieren und schon bei den Affen günstiger entwickelt als
im Menschen. Wirklich colossal ist sie bei Pferd und Kuh.
Warum nun aber die obere Hälfte des Cerebellum ohne alle solche schlangenförmige Windungen
sey und die untere gerade dadurch sich auszeichnet, darüber wage ich keine Vermuthungen auszusprechen.
Jedenfalls deutet aber dieses entgegengesetzte Verhalten auf eine lief liegende, auch physiologische
Verschiedenheit hin. Die obere Hälfte scheint vorzüglich mit den Schenkeln des kleinen
Gehirns und folglich mit dem verlängerten Mark, die untere mit den Bindearmen und folglich mehr
mit dem grossen Gehirn Zusammenhang zu haben.
Ich gehe also weiter und betrachte noch
1) die erste Entstehung der Hemisphären,
2) die in der Reihe entgegengesetzter Säugethierordnungen hervortretenden Gegensätze in der
Form der Hemisphären und
3) den Uebergang von da in die Form des menschlichen Cerebellum und seine Vollendung.
Nachdem zuerst der Wurm entstanden ist, wächst in der Reihe der Reptilien und constant bei
allen Vögeln als erster Entwurf der Hemisphären jederseits ein nach hinten, aussen und unten gerichteter
röthlicher, mit vielen Blutgefässen versehener, kegelförmiger Zapfen hervor. Dieser Zapfen,
welcher in der noch nicht ausgefüllten Höhlung des oberen Bogenganges seinen Platz nimmt und gemeinhin
für die ganze Hemisphäre gilt, ist jedoch nichts als der Anfang nur der u n teren Hemi-
sphärenhälfle, geht daher auch aus dem hinteren Wurm hervor, während der vordere ([obere) Wurm
noch gar keine Hemisphären besitzt. Zwischen dem vorderen Wurme und dem Zapfen steigt der
Brückenschenkel herab und trennt beide gänzlich von einander, woraus sich ebenfalls hinreichend ergibt,
dass beim Vogel nur eine hintere oder untere Halbkugel existirt, die Flügel des Cenlrallappens
und die viereckigen Lappen aber noch gar nicht vorhanden sind.
Auch noch bei den Nagethieren liegt jener Zapfen in der Grube desselben Bogenganges, wie am
Vogelhirn. C arus1 2) zuerst und nach ihm andere Zootomen haben ihn als F locke gedeutet. Dagegen
ist nur zu bemerken, dass bei dem Kaninchen und anderen Nagern die Flocke in der That
ausserdem auch noch an ihrer gewöhnlichen Stelle vorhanden ist, an der Seite des verlängerten Markes,
wegen ihrer Zartheit aber wahrscheinlich bisher übersehen worden ist. Dazu kommt auf der
anderen Seite, dass ein solcher Zapfen auch noch bei einigen Affen C&mia Paniscus 3)) von derselben
Höhlung des Felsenbeins aufgenommen wird, ungeachtet die eigentliche Flocke bei diesen Thieren
sogar sehr gross ist.
Vielmehr ist der Zapfen des Vogelhirns und der Nagethiere die zw eite, innere ([hintere)
C urvatur der unteren Hemisphärenhälfte und folglich eine erste Andeutung des unteren hinteren
Lappens, des zarten und des zweibäuchigen Lappens. Auch erscheint von ihm aus in der
Tiefe ein zarter Uebergang zu der um geschlagenen Windung CGyrus antroflexusj höherer
1) T r e v ira n u s , Biologie V I. 96.
2) Darstellung des Nervensystems S. 250.
3) T r e v ir a n u s , Biologie V I. 101.