Triebkraft, welche die bewegenden Elemente zur That entflammt. Glaube, Rechtsgeffihl, Gewissen,
Freundschaft und Liebe, das sind die Hebel unseres ganzen Lebens und leider auch eben so oft der
Erkrankung des Geistes. Die Geisteskrankheiten beginnen in der Regel mit einer Verstimmung des
Gemüthslebens, welche dann in andere Bezirke des geistigen Processes sich fortpflanzt und nun als
Manie oder Wahnsinn auftritt. Das Gefühl wirkt, in der Mitte stehend, von seinem Sitze, dem Scheitelhirne
aus, eben so sehr rückwärts durch die Bindearme auf das kleine Gehirn, das Centrum unserer
Thatkraft, wie vorwärts in das Stirnhim, den Mittelpunkt unserer Intelligenz, und gibt überall
den ersten Impuls, die Anregung zum Denken, wie zum Handeln. Auch sind die Verbindungen des
Hinterlappens im grossen Gehirn die vielseitigsten, wie man vorzüglich an dessen Schläfenlappen
sieht, der durch die vordere Commissur mit den Streifenhügeln, durch das Gewölbe mit den Sehhügeln,
durch den Bogenwulst und den breiten Riechstreifen mit dem Vorderlappen und durch den Balkenwulst
mit der anderen Hemisphäre zusammenhängt.
So scheint aber auch in der Natur die Electricität die Urkraft und zugleich die höchste Kraft zu
seyn, welche alle anderen Naturthätigkeiten beherrscht und anregt. Mit der hohen Würde des Ge-
müthslebens mag es Zusammenhängen, dass es in denjenigen Theilen des Gehirns seinen Sitz aufschlägt,
wo der Elektrismus seinen ausgesuchten Platz hat, wie er es durch den göttlichsten Sinn,
das Sehen, beweist, dessen Organ unter allen Sinnen allein ein Ausfluss des Gehirns ist. Der nahen
Beziehung der Thränenabsonderung zum Gemüthsleben ist schon oben gedacht.
Mit der Phantasie steht ferner das Gemüth in ähnlicher inniger Beziehung, wie der Sehnervenhügel
und das Scheitelhirn überhaupt mit dem Schläfenlappen und insbesondere dem Ammonshorn, das
T reviranus, Arnold u. A. für den Sitz der Phantasie halten.
An Klarheit steht aber allerdings das Gefühl tief unter dem Sinne, auf dessen Hirnganglion fSehhügel)
es seine Werkstätte, den hinteren Hirnlappen, erbaut, dem Sehen. Weit mehr wirkt auch
auf das Gefühl die Musik, als die Malerei.
• Wieder deutlicher correspondirt am H interhauptshirn endlich der Mechanismus, welcher
sich sowohl in seinem charakterisirenden Nerven, dem Hörnerven oder dem Hören überhaupt, als
auch in dem vorzugsweise motorisch wirkenden kleinen Gehirn ausdrückt, der Thatkraft des Geistes,
welche hier ihr Centrum findet. Hier wie dort haben wir es mit einer expansiven Richtung und
Kraft zu thun, mögen wir sie centrifugale oder motorische Kraft, Streben, Begehrungsvermögen oder
Willen nennen. Der empfindende Theil oder die Art des Empfindungsvermögens, womit sie sich in
genauere, entweder momentane oder habituelle Verbindung setzt, bestimmt auch die Art von niederem
oder höherem Streben, als welches diese Expansivkraft des Geistes auftritt. Sie schlägt aus als
Denken und höherer Wille im Stirnhim, als die Gewalt des Gemüthes, wenn sie eine Alliage mit
dem Scheitelhirn schliesst und geht in practisches Handeln über, wo das Hinterhauptshirn hierbei das
Uebergewicht hat.
Hat nun die Natur ihre dreifache unorganische Erscheinung als mechanische, chemische und elektrische
Bewegung im Organismus auf sinnlicher Stufe wiederholt, zu der Dreiheit der höheren Sinne
emporgearbeitet und diese, einen Abglanz der Naturkräfte, noch einmal, noch auf die centrale Stufe
der Gedankenwelt erhoben, Sinne und Gedanken hervorgebracht, so ist ihr irdisches Ziel erreicht.
Mit der Entwickelung jener Grundkräfle des menschlichen Geistes und der doppelten Dreiheit der Sinne
ist das geistige Schema eben so geschlossen, wie mit der Ausbildung der Hauptbestandteile einer
galvanischen Säule der Bau des Gehirns. Die bunteste Mannichfaltigkeit der Erscheinungen durchdringt
dabei Einheit und systematische Nothwendigkeit, Hohes und Niederes reicht sich die Hände,
was ich besser nicht ausdrücken kann, als durch die schönen Worte von Goethe:
W ie Alles sich zum Ganzen w ebt,
Eins in dem Andern wirkt und lebt,
Wie Himmelskräfte auf- und niedersteigen
Und sich die goldnen Eimer reichen.
Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all’ das All durchdringen!
Wird diese Einheit aufgehoben, welche auch bei jedem Menschen die Mosaik seiner individuellen
Seele durchdringt, wird das Ebenmaass und Gleichgewicht namentlich in den grossen Abschnitten des
Gehirns gestört, so ist der nothwendige Begleiter: Geisteskrankheit. Erhebt sieh die executive Gewalt
des kleinen Gehirns über die legislative des grossen, so steht es schlimm um den Staat, ist das
nöthige Gleichgewicht zwischen Stirnhim und Scheitelhirn aufgehoben, so entstehen zugleich diejenigen
Geistesabnormitäten des Einzelnen oder in der Gesellschaft, welche einseitig entwickelter Verstand
oder Gefühl unausbleiblich mit sich führen, Tollheit, Wahnsinn und Narrheit und deren Ausgänge:
Willenlosigkeit, Melancholie und Blödsinn. Gefühle sind Sterne, die nur bei hellem Himmel
sicher leiten und Verstand ist eine Flamme ohne Wärme. So gewiss' es ist, dass das Gefühl die eigentliche
Grundlage der Religion, Moral und Gerechtigkeit ist, so werden sie alle doch nur gewinnen
können durch eine höhere Intelligenz. Tugend kömmt vor bei Wilden, wie bei gebildeten Völkern,
aber die Vorstellungen über ihre Ausübung stehen unter dem Einflüsse des Erkennlnissvermögens.
Sie bleiben roh im Naturzustände der Menschheit und werden geläutert vom Aberglauben und dem
daran klebenden Blute durch die Wahrheit. Liebe und Glaube reifen erst zur göttlichen Frucht der
Vernunft unter dem erhellenden Lichte des Verstandes. Nur wo diese drei Mittelpunkte unseres
Seelenlebens harmonisch entwickelt sind, wo sie harmonisch wirken, wo das Hirnleben aus Einem
Gusse besteht, wird es auch das Grösste schaffen können in den Leistungen des motorischen kleinen
Gehirns oder des sensitiven grossen, in Thaten oder in Ideen.