
 
		'Ganz abgesehen  von  der Mimik  des Auges,  worin sich  alle Affecte  am  lebhaftesten  spiegeln,  reicht das  
 Weinen  statt  aller Beweise  hin.  Kaum  ist  in  den  Amphibien  der  Thränenapparat  entstanden,  so  
 begegnen  uns Beobachtungen  vom  Weinen  der Thiere.  Testudo  tabulala  und  Chelonia  Mydas  sollen  
 Thränen vcrgiessen aus  ihren  cülossalen  Thränendrüsen  ([wie  auch Hirsche mit ihren  unächten Thrä-  
 nendrüsen?[).  Erst  im  Menschen  aber,  wo  das  Gemülhsleben  seine  idealste Stufe  erreicht,  erreicht  
 auch  das  Auge  seine  grösste  Vollkommenheit  und  die  Thränenabsonderung  steht  unter  dem Einflüsse  
 der  Gefühle.  Erst hier  werden  dem Auge  Thränen  des Schmerzes  und  der Freude entlockt)  am häufigsten  
 gerade in  dem Aller  und Geschlechte, wo  mit  den  Thränenorganen auch  die  Sehhügel urid  hinteren  
 Hirnlappen bevorzugt sind. 
 Endlich will ich noch der Gail’sehen Auffassung gedenken.  Hat auch seine psychologische Landkarte  
 keinen wissenschaftlichen  Charakter  und  Werth  und  enthält  sie  auch  mancherlei  Lächerliches  
 und Vages,  so  war  er  doch  eben  so  sehr  ein  scharfer Beobachter,  als  schlechter Kritiker.  Um  die  
 Stirn sammelte  er  auf empirischem Wege  fast  alle jene Vermögen, welche  Glieder  der  Intelligenz  
 sind,  um  die Scheitel-  und Interparietalgegend dagegen meistens Eigenschaften  des  Gemüths  und  des  
 weiblichen  Geschlechts  ([Beifallsliebe,  Kinderliebe*  Treue  und  Anhänglich keif).  Sie  
 fallen  alle  in  die  Windungszüge  hinter  dem  hinteren  Centralwulst,  und  nur  die  B edächtigkeit  
 ([am  Scheitelhöckerläppchen[)  ist  eine Ausnahme,  sowie  das  W ohlw ollen,  das  er in  die Milte  der  
 Stirnnaht,  also  in die  drille  vordere  Urwindung verlegt.  Die  gesammten Hirnorgane Wh*d  man  übrigens  
 künftig  hach  dem  natürlichen  Systeme  der  Windungen,  welches  ich  oben  aufgestellt  habe,  zu  
 ordnen  und  darnach eine  geographische Karte  am Schädel  zu  ehtwerfen  haben. 
 Fasst  man endlich die zweite Eigenthümlichkeit der  weiblichen  Psyche  in’s  Auge,  die  V orliebe  
 für  sinnliche  G egenstände,  vorzüglich  für  Gesichtsgegenslände  ([für Schmuck,  bunte  Farben,  
 Kleidung,  Mannichfaltigkeit  derselben,  schönes  Aussehen,  Nettigkeit und Reinlichkeit  u. s. w.[),  so ist  
 es  nicht weniger wahrscheinlich,  dass  sie in  dem  besseren Verhältnisse,  welches oben von allen  Centralganglien  
 des weiblichen  Gehirns  im Vergleich mit  den Hemisphären nachgewiesen  wurde,  die  anatomische  
 Grundlage findet.  Im Manne sind umgekehrt  der Mantel  und die Windungen  weit besser  gestellt  
 und geben  daher  auch  der Kette  von  jenen  sinnlichen Knoten  eine höhere  Richtung,  die Richtung  
 der Idealität  und Zweckmässigkeit.  Der insbesondere  ausgezeichnete  Sehhügel des Weihes veranlasst  
 die grosse  Sinnlichkeit  des weiblichen Auges. 
 Ohne  es zu  wagen,  in  grössere  Specialitäten  einzugehen  und  die  psychische Bedeutung  der drei  
 Windungszüge  oder die ihrer Läppchen und  Inseln  bestimmen  zu  wollen,  will ich  nur bemerken,  dass  
 jene  Züge  weder  bei  allen  Menschen,  noch  bei  den  verschiedenen  Säugethieren  gleich  stark  entwickelt  
 sind.  Die vielen  psychischen Combinationen  stehen  mit  ihren vielen  Varietäten gewiss in genauer  
 Verbindung.  Welche  Seelenkräfle  aber  dem  ersten  oder zweiten  und  dem drillen Zuge zufallen, 
   dies auch  nur annähernd richtig zu deuten,  geht über  den jetzigen Stand  der Wissenschaft  und  
 meiner  eigenen Untersuchungen hinaus,  mit  denen  ich froh seyn muss,  wenn ich nur  die  ersten Grundlinien  
 mehr  gesichert  habe.  Jedoch  will ich wiederholt bemerken,  dass  bei  den  reissenden Thieren  
 von den vorderen Urwindungen  der  erste Zug,  bei  den Wiederkäuern  mehr  der  dritte  bevorzugt ist.  
 Die psychischen Eigentümlichkeiten  dieser zwei  Gegensätze  der  Säugetiere  werden also  wahrscheinlich  
 hier  und  dort ihr  materielles  Substrat  finden.  Beim  Menschen  entwickelt  sich  bekanntlich  auch  
 erst  allmählig  die  B reite  der  Stirn,  was  auf  dem  Grösserwerden  der  ersten  Urwindung  beruhen  
 möchte.  Es scheint daher vor der Hand,  als  ob  wir  dahin  die  edleren  Geisteskräfte  zu verlegen hätten, 
   vielleicht  die Phantasie, als Organ  des Fortschrittes, wodurch  sich der Mensch von  den Thieren  
 unterscheidet.  Die mittlere Urwindung,  von ihnen die mächtigste,  und die  obere,  welche vielerlei Spielarten  
 haben,  scheinen mehr mit weniger hohen Vermögen in Zusammenhang zu stehen.  Die vorderen  
 Urwindungen  treten  aber  durch die Pyramiden,  von denen sie ihre motorischen Fasern empfangen,  mit  
 dem  Zungenfleischnerven  und  folglich  mit  dem  Sprachorgan  in  nähere  Verbindung,  die  hinteren  
 Urwindungen  hingegen  durch  die  Olivarslränge,  von  denen hauptsächlich ihre motorischen Fasern entspringen, 
  mit  dem Antlilznerven und  folglich mit der Mimik des Gesichts, die in bekanntem,  genauem  
 Connex  mit  dem Gefühl  und den Leidenschaften steht.  Unsere Vorstellungen  aber bewegen sich vorzüglich  
 in  Gesichts bildern,  Ton-  und Sprach bildern.  Wenn  nun  jene  im Schläfenlappen  und in  
 dessen  Verbindung mit dem Sehhügel durch das  Gewölbe ihre materiellen Bedingungen finden,  so  diese  
 im Stirnhirn.  Während  wir denken,  sprechen wir  fortwährend mit,  ohne  aber  einen  wirklichen Ton  
 zu  erzeugen.  Unser  Denken  ist  ein  heimliches  R eden,  wobei  auch  wohl selbst die Zunge  
 zu  sympathischen  Bewegungen  mit  fortgerissen  wird,  aber  ohne  weder  Consonanten  noch  Vokale  
 wirklich hervorzubringen.  Diese merkwürdige Sympathie zwischen Denken  und Sprechen  findet  vielleicht  
 in eben jener Erscheinung seine anatomische Erklärung,  dass die motorischen Fasern des  S tirnhirns  
 mit  dem  Längenfaserzuge  der  Pyram iden  eng  Zusammenhängen,  aus welchen der Spraohne  
 rv CHypoglossus') hervorgeht.  Die logische Intelligenz hängt genau mit der Sprache,  dem Fundbuch  
 unserer  Begriffe,  zusammen,  die  poetische Einbildungskraft  mit  dem  Gesichtssinn  und  dessen Bildern.  
 Ob  direcle Verbindungen  des Hauptfactors  der Sprache,  des  Hörnerven sich  bis in  das Stirnhirn  fortziehen, 
  wissen  wir  nicht;  doch  ist  es  bedeutsam,  dass  mit  der  Wegnahme  des  grossen  Gehirns  die  
 Thiere  auch nicht mehr  hören,  obgleich der gewöhnliche Ursprung  des  Hörnerven  unverletzt ist. 
 Um  eine  sichere  Fährte in allen diesen Verhältnissen  zu  finden,  muss  daher zuerst  der Verlauf  
 der Rückenmarksstränge und ihrer  Fasern in die verschiedensten Organe des  grossen  und kleinen Gehirns  
 und  namentlich  in  die  einzelnen  Urwindungen  mikroskopisch  verfolgt  werden,  was  das Werk  
 eines W agner,  S tilling,  K ölliker  u. A.  seyn möchte.  Ist  die anatomische, histiologische Grundlage  
 gelegt,  wozu  die  Zootomie  vorzüglich  geschickt ist,  wird  man  zu  einer  weiteren  Analyse  der  
 psychischen  Kräfte  übergehen  müssen  und  die  specielle  physiologische  Psychologie  ausführen.  Bei  
 der  Unvollkommenheit  und  Schwierigkeit  einer  vergleichenden  Psychologie  aber  lässt  sich  hier  auf  
 dem  zootomischen Wege  schwerer  forlkommen,  als  auf  dem  anthropotomischen.  Es  ist  daher  vorzüglich  
 nöthig,  die  Gehirne von Menschen zu untersuchen,  deren geistiges Naturell  genau bekannt  ist,  
 um so  besser,  wenn es  einseitige,  mit Einer  hervorstechenden Seelenkraft  versehene Individuen  sind.  
 Die  Irrenhäuser  werden  ein passendes Contingent  dazu  liefern können.  Recht zahlreiche  und  genaue,  
 wo möglich  photographische Abbildungen und Wachsabgüsse von  gesunden und kranken Hirnen müssen  
 mit  den  Beobachtungen  verbunden  werden  und Vivisectionen  werden  bei  Thieren zugleich anwendbar  
 seyn.  Ich stehe  im Begriff,  eine Sammlung solcher Wachsabgüsse anzulegen,  und Andere,  besonders  
 Irrenärzte,  mögen mir folgen. 
 Nur Eins  sey noch erwähnt  in Beziehung auf die Frage:  Wo  ist der Sitz  der Seele?  Verstehen  
 wir darunter den Indifferenzpunkt, unseres höheren geistigen Lebens,  unserer Gedanken und Gefühle,  
 das Selbstbewusstseyn,  so können  diejenigen Hirntheile, welche noch Empfindlichkeit haben und  deren  
 Reizungen  Bewegungen  hervorrufen,  dieser Sitz nicht seyn.  Das  absolut Centrale  wird auch der empfindungsloseste  
 Theil des Gehirns  seyn.  Jede  Empfindung ist physiologisch  in  einer vom Körper zum  
 Hirn gehenden,  centripetalen Bewegung begründet.  Ein sensibler Hirntheil  hat folglich immer noch peripherische  
 Bedeutung.  Je  empfindungsloser,  desto psychischer,  desto centraler wird ein Hirnorgan werden. 
   Jene körperliche Sensibilität vermindert sich  aber  1) von der Grundfläche nach der Rinde des Gehirns  
 hin,  2)  von hinten  nach vorn.  Höchst sensibel und deshalb  am  körperlichsten construirt ist  der  
 Markknopf,  dann die Brücke,  schon weniger das kleine Gehirn,  noch  weniger das grosse,  an ihm aber  
 am meisten die Organe der Basis,  die Hirnganglien und  unter ihnen wieder mehr  die Vierhügel und Sehhügel, 
   als die  Streifenhügel  und  die  hinteren Hirnlappen  mehr als  die Vorderlappen.  Wenn  hiernach  
 also  die Hemisphären  des grossen Hirns  zweifelsohne  diesen Mittelpunkt  enthalten,  so  sind auch nach  
 den  anatomischen  Verhältnissen  zu  diesem  Indifferenzpunkte  am  meisten  die  grossen  Stämme  meiner  
 C entral Windungen  geeignet.  Die Windungszüge aber,  die sie unter immerwährender Verästelung,  
 Insel-  und Lappenbildung  nach  vorn und hinten  entsenden,  sind das  Laubwerk,  welches  das Gemälde  
 unserer  Seele  ausführt,  verschönert und  vollendet.  In diesen Mittelpunkten  dürfen  wir  also  nicht  den  
 Sitz  der  höchsten  Stufe  unserer  Vorstellungen,  unsere  idealsten  Gedanken  suchen,  sondern  den 
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