umzuwandeln, oder dass unser Körper eine fremde Bürde, ein Gefängniss sey, worin siebenzig Jahre
lang unsere Seele schmachte. Selbst die occasionalistische Form der Verbindung, welche Lolze
entwickelt hat, entspricht nicht der Natur der Sache; denn auch liier erscheinen beide Hälften unseres
Daseyns, Körper und Geist, als zwei einander mehr oder weniger fremde Gebiete, während sie doch
aus Einem Urquell entsprossen angesehen werden müssen, von dem sie getragen werden und durch
welchen hindurch sie in stetem Zusammenhänge, in innigem Wechsel Verhältnisse bleiben. Dazu kömmt
aber dort noch die InConsequenz, dass trotz dieser Annahme dennoch dem Gedanken die Centralorgane
des Nervensystems als eine variable, immer aber doch materielle Krall zu Gebote stehen
sollen, was mit. anderen Worten heisst, dass der Gedanke auf das Gehirn als seinen Diener ein-
wirkt. Dadurch wird aber der Standpunkt noch schiefer, die Causalverbindung wird durch ein Hin-
terthürchen wieder eingeschmuggelt, das Hirn als Handlanger und Dolmetscher zwischen Leib und
Seele gestellt und der übrige Leib zu einer geistlosen Maschine herabgewürdigt, was er nicht ist.
Können nun aber beide Erscheinungsweisen unseres Lebens nur mit einander parallelisirt, nicht
causal aus einander entwickelt werden, wie andere Naturerscheinungen, so ist gleichwohl das Studium
des Hirnbaues und seiner inneren Spannungen und Leitungen psychologisch nicht weniger wichtig,
als wenn sie ursächlich verbunden wären, weil sie uns einen Fingerzeig geben für die Gedankenwelt,
die ihnen parallel läuft, eine Symbolik des Geistes.
Unter diesen Umständen wird man sogleich die Frage stellen: Sind Gedanke und Nervenbewegung
wirklich so abzusondernde, einander entgegengesetzte Gebiete des Lebens, wo findest Du dann die
Handhabe, um sie auch nur parallelisiren zu können, wo die Eigenschaften, die dennoch beiden so
gemein sind, dass sie in wissenschaftliche Verbindung gesetzt werden können? — Ich antworte, es
sind die Kategorieen, denen sie mehr oder minder beide unterworfen sind.
Abgesehen von der Schwierigkeit dieser Antwort, die derjenigen gleich ist, wenn wir die Farbe
mit der sie begleitenden Aelherschwingung parallelisiren wollen, sind doch beide der Zeit, ja in gewisser
Hinsicht auch den Gesetzen des Raumes unterworfen. Ihre Erscheinungen kommen und vergehen,
ihr Gang ist langsam oder schnell und hat seinen bestimmten Rhythmus. Sie sind einfach
oder zusammengesetzt, gleichartig und entgegengesetzt, nehmen an Intensität und Bestimmtheit der
Erscheinung zu und ab, trennen sich und breiten sich aus oder fassen zusammen und ziehen sich und
ihr Object auf Einen Punkt zusammen. Die verschiedenen Vorstellungen, wie die einzelnen Nerven-
bewegungen sind, jede für sich, durch das Band der Causalilät auf das Engste unter einander verbunden
und verwandeln sich daher in einander, läutern sich von Stufe zu Stufe und ziehen einander
an oder stossen sich ab und verdrängen einander. Beide richten sich bald auf das Innere, bald auf
die Aussenwelt. Wenn das Hirn Bewegungen hat, so hat der Geist seine geselzmässigen V eränderungen,
die das in der Zeit sind, was die Bewegungen für den Raum. Die Mathematik und
Metaphysik lässt sich mit Einem Worte auf beide anwenden, ja man hat dies unbewusst von jeher
gethan. So hat man den Silz der Seele fast immer in die nur Einmal im Hirn vorkommenden, in
die unpaaren, mittleren Hirntheile verlegt, weil man es der Einfachheit der Seele angemessen zu seyn
glaubte, ihr auch ein einfaches Organ und den Mittelpunkt des Hirns anzuweisen. Aus demselben
Grunde versetzte man die isolirenden und spontanen Kräfte des Geistes in die Ganglienkugeln, das
einigende Bewusstseyn in die Commissuren und die Gedankenbewegung stellte man mit den Bewegungen
des Nervenprincips zusammen. Kurz, es liegt diesem Verfahren Übefall ein wissenschaftliches
Parallelisiren nach einzelnen Kategorieen zu Grunde. Auf dieses Gleichstellen wird sich also unsere
wissenschaftliche Erklärung der Verbindung von geistigem und körperlichem Leben zu beschränken
haben. Die Sicherheit dieses Verfahrens wird aber zu schärfen seyn durch alle Mittel der Naturforschung,
durch Beobachtung und Experiment.
Uebrigens wird bei jeder der vier möglichen Ansichten über die Arl des Zusammenhanges von
Geist und Körper das körperliche Substrat dem Gedanken entsprechen, ihm verwandt seyn müssen,
man mag die Welt als unsere V orstellung betrachten, wie Fichte, oder das Hirn als In stru 16S
ment des Geistes, wie die Theologen und Spiritualisten, oder als Ursache der Gedanken, wie die
Materialisten, oder als gleichzeitigen sym bolischen Ausdruck derselben ansehen. Ist die Aussenwelt
lediglich unsere Vorstellung, so sind Sinneserscheinungen wie Gedanken nur niedere oder
höhere Vorstellungen unseres Ich, also nur dem Grade nach verschieden, und es handelt sich hier gar
nicht um eine vom Gedanken verschiedene Körperwelt, die bei dieser Ansicht vielmehr selbst eine Art
von Gedanken ist. Oder ist das Hirn sammt seinen elektrischen Erzitterungen Instrum ent, d. h. der
erste Angriffspunkt, von wo aus der über den Körper erhabene, einer materiellen Basis baare Geist
auf unseren übrigen Körper wirkt, so müssen die Saiten dieses Clavichords auch eine Verwandtschaft
zu dem tastenden Finger der Gedanken haben, wenn es soll angeschlagen werden können. Ist ferner
nach der dritten Ansicht die Hirnmasse der Boden, aus welchem die ätherische Quelle unserer Vorstellungen
hervorströmt*'wie die Galle aus der Leber, so ist zu bedenken, dass eine Wirkung an
sich eben nur eine W iederholung ihrer zeugenden Ursachen ist. Sind endlich beide Processe
sym bolisch mit einander verbunden und der Gedanke der Hirnbewegung inhärent, löst sich die
ganze Natur in eine vom Geiste begleitete Raumwelt auf,-so müssen sie auch einander adäquat
seyn.
Wenn ich aber zurückkehre zu der Frage über den Sitz der Seele, und wenn es unstatthaft i s t ,
sobald man darunter unser gesammtes geistiges Leben versteht, ihr einen besonderen Sitz zuzuweisen,
dieses Geistige als nolhwendiger Begleiter Aller Materie vielmehr in verschiedenen Abstufungen
über unseren ganzen Körper vertheilt ist, so steht es damit anders, wenn man unter Seele das
Gefühl der P ersönlichkeit versteht.
Hier verweiset uns die Erfahrung auf die Nervenmasse und namentlich auf das Gehirn. „Das
Nervensystem ist überhaupt der eigentliche Leib unseres Ich, die anderen Theile sind der Leib dieses
Leibes, die nährende und schützende Borke seines zarten Markes.“ Es ist das Prinzip der Einheit
und Sympathie in unserem Körper, der Träger der Harmonie und. des Gleichgewichts unserer Maschine
und damit auch der erste Regulator der Gesundheit. Von allen seinen Theilen ist-aber das
Hirn der Mittelpunkt, von welchem diese Thätigkeiten ausgehen und wohin sie zusammenfliessen. Alles
arbeitet im Grunde für Hirn und Nervensystem. Der Auszug aller feinen Lebenssäfte, welche die
Verdauung aus Speise, Trank und Luft bereitet und die als Blut auch die Nervenmasse durchströmen,
schlägt sich als Nervensubstanz nieder, die, wie sie aus den edelsten Stoffen entstanden ist, ihrerseits
das Geschenk in veredelter Gestalt zurückgiebt und die ganze thierische Maschine mit ihrem Nervengeiste
durchdringt, belebt, regiert und zusammenhält, so dass die Einheit und Vollkommenheit des
Lebens gleichen Schritt halten mit der Entwickelung des Nervensystems. Unter allen Theilen ist das
Gehirn das Thier, ja der eigentliche Mensch in unserem Körper. Mit der Ausbildung dieses höchsten
Centrum des Nervensystems wird daher auch diejenige Einheit der Empfindungen erst möglich, welche
wir das Gefühl der P ersönlichkeit oder des Iohs nennen.
Versteht man also unter Seele das Gefühl einer persönlichen Existenz, das Selbstbewusstseyn,
so ist der Sitz dieser Seele ohne Zweifel das Gehirn. Sobald mit der Geburt im kindlichen Körper
die lebendigere Thätigkeit des Gehirns erwacht, hebt auch beinahe plötzlich dieses persönliche Bewusstseyn
an, und an jenen missgebildeten Kindern, welche doppelt zur Welt kommen, doppelte zusammengewachsene
Leiber haben, da treten die Zeichen eines doppelten Ichs nur dann entschieden
hervor, wo das Kind zwei Köpfe hat oder auch nur zwei Hirne, die in einer Art von Kopf einge-
schloSsen sind. Nicht nur, dass der eine Kopf dann vielleicht einathmet, während der andere das
Ausathmen besorgt, der Eine vielleicht schläft, wenn der Andere wacht, der Eine erröthet, wenn der
Andere erblasst, der Eine weint auch wohl, während der Andere lacht, und beide Köpfe fragen einander
um Rath oder gerathen in Streit mit einander l).
1) K. W . S ta rk , Pathologische Fragmente. Weimar, 1825. Bd. 2. S. 101. T h . B a r t h o l i n u i , H a t. a m t. Cent. 1. H ist. 66,
wo der Genueser Lazarus Colloredo mit dessen bloss aus einem Kopf und Brust bestehenden Halbbruder beschrieben und abgebildet
wird, Ferner B u c h a n a n ’s vom Nabel aufwärts doppelte Missgeburt, welche einen völlig verschiedenen Willen halte, in
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