che eine polare Erscheinung oder in polarer Weise geordnet. Nur beide zusammen machen einen
vollkommenen Menschen aus, jede für sich ist eine einseitige Darstellung des Geisteslebens. Die Ei-
genlhümlichkeit der weiblichen und männlichen Psyche kennen wir aber wohl: sie besteht ausser dem
schon Gesagten vor Allem darin, dass der weibliche Geist sich durch ein Vorherrschen des Gefühls
und Gemüths, der männliche durch schärfere D enkkraft auszeichnet. Der Mann wird durch
Gründe, durch Urtheil und Schluss geleitet, die Logik des Weibes sind seine Gefühle. In ihm
erhebt sich das Gefühl zu einer Feinheit und Stärke, zu welchen es der Mann nicht zu bringen pflegt.
Dagegen ist Wissenschaft und Kunst das Eigenthum des männlichen Geschlechts. Dort sind Liebe,
Frömmigkeit und Schönheitssinn, hier herrscht Freiheit, Wahrheit und Idealität. „Nach Freiheit
strebt der Mann, das Weib nach Sitte.“ Das Gewissen des Mannes ist oft nur sein Verstand, das
Gewissen des Weibes ist sein Gefühl. Das Weib geht in der Liebe eher zu Grunde durch Armuth,
als durch ihr Uebermaass, und erträgt mancherlei Schmerz leichter, als wir. „Nimmt man dem Weibe
die Liebe oder ein Paar Menschen, so ist ihm aller Boden seiner höchsten Blüthe geraubt.“ Das,
was es hebt, ist die Person, der Hebel des Mannes ist die Idee, Vaterlandsliebe, Recht, Wissenschaft,
Kunst und Religion. Dem Weibe werden die Ideen zu Menschen, weil es fühlt, dem Manue
die Menschen zu Ideen, weil er denkt. Hier herrscht die absolute Monas, dort die relative. Der
Geist des Mannes sieht tiefer, weiter und schärfer, forscht genauer und gründlicher, urlheilt parteiloser
und nüchterner, will kräftiger und handelt auch rücksichtsloser und unbestochener. Das Weib ist
kurzsichtiger, mehr auf das Aeussere der Dinge sehend, sein Urtheil daher oberflächlicher und parteilicher,
sein Wille schwächer und sein Handeln ohne Nachdruck. Das Gemüth des Mannes ist ernster
und verschwiegener, muthiger, grösser und gerader, er ist aber auch schwerfälliger, rauher, trotziger
und ungläubiger. Das Weib ist milder und sanfter, fröhlicher und leichter, sittsamer und Züchtiger,
bescheidener und frömmer, theilnehmender und geduldiger, aber auch reizbarer und leidenschaftlicher,
sinnlicher, geschwätziger und gefallsüchtiger, verblendungsfähiger und furchtsamer.
Vergleichen wir nun mit diesen entgegengesetzten Richtungen der geschlechtlichen Psyche ihr
materielles Substrat, das weibliche und das männliche grosse Gehirn, so ist das weibliche zwar absolut
kleiner und leichter, aber doch mit denselben Organen versehen, wie das männliche, ja verhältniss-
mässig zur Grösse des Körpers hat das weibliche Geschlecht mehr Gehirn, als die Männer. Anders
war es jedoch, als ich die verhältnissm ässige Entwickelung der verschiedenen Hirnorgane verglich.
Ihr Grössenverhältniss war keineswegs dasselbe bei beiden Geschlechtern, vielmehr waren verschiedene
Theile des grossen Gehirns hier und dort bevorzugt, die einen im männlichen, die anderen
im weiblichen Gehirn. Ja ihre Gehirne sind selbst in grossen Massen einander entgegengesetzt, wie
ich glaube, dass die vielen Schädel- und Hirnmessungen und die Wägungen des Gehirns ausser Zweifel
gesetzt haben. Indem ich alle meine vereinzelten Beobachtungen über verschiedene kleinere Hirn-
theile zu einem allgemeinen Ausdrucke zusammendrängte, ergab sich als Endresultat, dass das ganze
Scheitelhirn im Weibe, das Stirnbirn im Manne voluminöser und gewichtiger ist. So sind die Zirbel,
der Hirnanhang, die Sehhügel und der Sehnerv, die weiche Commissur, welche sämmllich die körperlich
wirkenden Theile des Scheitelhirns sind, grösser im weiblichen Gehirn, im Manne dagegen die
Streifenhügel (V o rd e re Commissur? Riechnerv?*)). Am Hirnmantel aber waren die hinteren Hirnlappen
von der Centralfurche an bis zur hinteren Endspilze der Hemisphären mit ihren verschiedenen
Windungszügen beim Weibe ansehnlicher, beim Manne umgekehrt die vorderen Hirnlappen von der
Cenlralfurche bis zur vorderen Endspitze des Gehirns sammt ihren Windungszügen ausgebildeter.
Wenn nun der physiologische Grundsatz richtig ist, dass mit der Vervollkommnung einer Thäligkeit
auch das entsprechende Organ eine analoge Veränderung, Vergrösserung und Ausbildung erfahrt und
dieser Grundsatz auch auf die physiologische Psychologie angewendet werden muss, so folgt auch,
1) Bei einer phlhisischen Frau wog das grosse Gehirn 1069,5 Grmm., beide Riechnerven vom Riechnervenknollen bis zur Ca-
runcula 280 M ill., bei einem 29jährigen phlhisischen Manne jenes 1246 Grmm., diese 350 Mill. Bei der Fraa betrugen
sie also 0,000262, beim Manne 0,000281 vom grossen Gehirn.
dass die psychischen Eigentümlichkeiten des weiblichen Geschlechts ihren Sitz im Scheilelhirn * die
des männlichen im Slirnhirft haben. Bestehen diese aber vor Allem dort im Gefühl, hier in dem Er-
kenntnissvermögen, so ist weiter auch die notwendige F olge, dass das G efühlsleben überhaupt
seinen Mittelpunkt im S cheitelhirn, das V erstandesleben im S tirnhirn besitzt. Die anatomische
Duplicität stimmt sonach auch im centripetalen Theile unseres Geistes mit der psychologischen
vollkommen überein und man hat damit eine Erklärung dieses Baues.
Damit barmonirt das Ergebniss der pathologischen Beobachtungen, der Vivisectionen und der Faserverlauf
der verschiedenen Stränge des Rückenmarkes durch das Gehirn. Von den zwei Hirnlappen
steht der hintere in engerer Beziehung zu dem Gemeingefühl — dieser körperlichen Grundlage des
Gemüths — als der vordere *). Erweichung, Eiterung u. s. w. in dem Hinterlappen und den Vierhügeln
ist mit grosser Empfindlichkeit verbunden beobachtet worden. Er und die Sehhügel sind empfindlicher
als der Vorderlappen und die Streifenhügel, und von den Rückenmarkssträngen sammeln sich auch
mehr sensible als motorische in der Haube und Vierhügelmasse (Funiculi graciles, cuneati, der hintere,
wahrscheinlich sensible Theil der Seitenstränge als Funiculi teretes u. s. w.) und stehen folglich
mit den Sehhügeln und den wiederum darauf fussenden Hinterlappen und deren psychischen Fasern in
der eSneglsbtesnt dViee rRbiensduulntagt.e von Budge’s und V alentin’s Versuchen, nach welchen neben anderen
Theilen auch besonders die Eileiter und Samenleiter der Thiere bei Reizung der Hinterlappcn sehr
lebendige wurmförmige Bewegungen machten und die Beobachtungen von Haller, Arnemann u. s. w.,
nach welchen bei Hinterhauplswunden Erection und selbst Priapismus, sogar bei bejahrten Personen,
eintraten, harmoniren mit obigen Verhältnissen, insofern der intensivste Ausdruck des Gefühls als
geistige und körperliche Liebè sich offenbart.
Endlich hängt es vielleicht damit zusammen, dass der Hinterlappen sein Blut nicht von der Ca-
rotis, sondern von der Basilavis, der Pulsader des kleinen Gehirns, empfängt.
Ausserdem habe ich in der oben erwähnten Schrift für diese Ansicht noch angeführt, dass das
obere Ende des sympathischen Grenzstranges sich nach P etit, F ontana, Bock, Cloquet, Hir-
zel, K rause, B ourgery u. A. mit dem Hirnanhange und Trichter durch einen oder mehrere Fäden
verbindet, wie dieses sonst an keinem anderen Hirnorgane der Fall ist. Dies in der That höchst
merkwürdige Verhalten bestimmten C haussier und Carus, die Hypophysis für das Centralganglion
des Sympathicus zu erklären. Nun ist zwar Arnold 2), der früher selbst diese Angabe bestätigt hatte,
in neuerer Zeit darüber zweifelhaft geworden, indem es ihm nach wiederholten Untersuchungen nicht
geglückt ist, einen wirklichen Nervenfaden vom Sympathicus an den Hirnanhang abgehen zu sehen;
die Zahl namhafter Beobachter ist aber noch zu gross, um das, was sie gesehen, für fibröse Fäden
oder Gefässchen, kurz für Täuschung ausgeben zu dürfen. Besteht diese Verbindung also, so ist sie
obiger psychologischer Annahme deshalb sehr günstig, weil in der Wechselwirkung des Sympathicus
mit dem Gehirn ohne Zweifel der Sitz der verschiedenen Gemeingefühle anzunehmen ist. Gememgefuhl
und Gemüth aber sind offenbar nur Stufen Einer und derselben Art von Sensibilität. Dazu kömmt,
dass der Hirnanhang bei Gemüthsverstimmung nicht selten krank angetroffen worden ist. Nach E ngels)
sind es aber nicht frohe Affecte, welche den Kranken beseelen, sondern er unterliegt unter der
Last ängstigender Gefühle, die ihn durch alle Grade der Schwermuth bis zum Selbstmord treiben.
Mit dieser Bedeutung der hinteren Hirnlappen hängt ohne Zweifel auch die nahe Beziehung
des Auges zum Gemüthsleben zusammen. Kein Sinnesorgan, und namentlich keines der drei
höheren Sinneswerkzeuge, steht in so innigem Connex mit dem Gefühl der Rührung und des Schmerzes,
wie das Auge, dessen Nervencentra CSehhügel) die Ganglien des Scheitelhirns sind und von denjenigen
Strahlungen des Stabkranzes durchzogen werden, welche die Windungen der hinteren Hirnlappen bilden.
1} L o r r y , M ém . prés. III. 351. B u rd a c h , a. a. O. III. 494.
2) Handbuch der Anatomie. Bd. 2. S. 939.
3) Ueber den Hirnanhang und Trichter. Wien 1839.