Drängen wir endlich den Namen Seele noch weiter vorwärts, in einen noch specielleren Begriff
zusammen, verstehen wir unter Seele die Region des ganzen höheren geistigen Lebens, unsere Gedanken,
die man ebenfalls das Seelenleben, die Seelenthätigkeiten zu nennen pflegt, so sind die
Organe des Gehirns als der Sitz auch dieser Seele zu bezeichnen und der Mittelpunkt desselben würde
auch den Mittelpunkt für den Zusammenfluss aller dieser höheren psychischen Lebensgeister darstellen.
Schon die körperliche Empfindung wird aufgehoben in dem Theile unseres Körpers, dessen Ner-
venverbindung mit dem Gehirn unterbrochen ist, mag der Nerv unterbunden und zusammengedrückt
seyn oder durchschnitten. Die Folge ist immer Lähmung des Gefühls, sowie ein Nerv seine Reizung
nicht mehr zum Gehirn fortpflanzen kann. Man kann bekanntlich ein solches Glied stechen, brennen,
gänzlich abschneiden, ohne dass Thier oder Mensch dabei Zeichen von Schmerz äussern. Noch mehr
aber! Ein leiser Druck auf das Gehirn, und der Mensch fallt in Schlaf und erwacht mit Aufhebung
des Druckes wieder, um vielleicht in der Periode seiner Rede da zu sprechen fortzufahren, wo er in
Betäubung gesunken war, ohne dass selbst jener Druck von Schmerz begleitet gewesen wäre.
Es liegt also im Hirn der Tempel des Höchsten, was uns interessirt; denn was wären wir ohne
Empfindung? Unser Leben, unsere ganze Existenz ist für Jeden von uns nur so viel werth, als wir
sie empfinden. Ohne Empfindung würde es uns völlig gleichgültig seyn, ob wir existirten oder nicht.
Alle unsere körperlichen und geistigen Genüsse haben ihren räumlichen Boden im Gehirn und alle unsere
Thaten, alles Grosse und Edle, wie alles Kleine und Schlechte treibt, um mit H erder, Reil
und T reviranus zu reden, hier seine ersten Wurzeln. Ja, das Schicksal des ganzen Menschengeschlechtes
ist an die 65—70 Kubikzolle Hirnmasse eng geknüpft und die Geschichte der Menschheit
ist darin wie in ein grosses Buch voll hieroglyphischer Zeichen eingetragen. Aus jeder Falte des ungeheuren
Gewandes, in welches unser Planet gehüllt ist, leuchtet der Finger dieses Organes hervor, das
die letzte und höchste Frucht, das die Krone ist von den tausendjährigen Umwälzungen seiner Entwickelung.
Was hier sein Daseyn empfängt, greift selbst der Natur in die Zügel, flicht Willkür
in die Nothwendigkeit und nöthigt sie, die Gedichte menschlicher Phantasie als neue Folgereihen in
das Tableau ihrer eigenen Entwiokelung aufzunehmen. Hier entsprang die Idee des Belvederischen
Apollo. Ohne dieses marmorweisse Gewölbe, das seinen Bogen hoch über die Quellen des sinnlichen
Lebens hinspannt, wäre Homer’s lliade, K epler’s Zoonomie der Gestirne nicht. Was in diesen
mäandrischen Hallen unter demselben oscillirt, geht mit Blitzesschnelle von Einem auf Alles über,
versenkt die Seele in das All und das All in die Seele. So entstehen die Colosse unter den Menschen,
die das Ruder der Staaten ergreifen oder sich allein, wie A lexander, einem ganzen Welt-
theile entgegenslellen. Eine unergründliche Tiefe von Möglichkeiten liegt hier verborgen!
Wen sollte daher dieser Sitz der Seele nicht tief ergreifen? Staunend stehen wir vor dem Hei-
ligthume, worin die geistigen Kräfte wirken und weben, vor den rätselhaften Gestalten, die bei allem
Leben und Weben, bei allem Thun und Treiben des Menschengeschlechts von Anbeginn bis auf unsere
Zeit ihr geheimnissvolles Spiel getrieben haben. Sie sind für den Naturforscher, was die Hieroglyphen
der grauen Vorzeit sind für den, der die Dunkelheit des Alterthums zu erhellen sucht. Dieser steht
sinnend vor einer Schrift, mit deren Entzifferung ein Licht in der Geschichte der Vergangenheit angezündet
seyn würde, er sucht den Schlüssel und kann nicht ablassen, ihn zu suchen, wie verborgen
derselbe auch seyn mag. So reizen auch jene wunderbaren Gestalten des Gehirns immerfort zu ihrer
Betrachtung den, der sie einmal kennen gelernt hat.
Mag es vermessen seyn, in den Tempel der Seele eindringen zu wollen, wie lockend und unausweichlich
ist doch die Aufgabe. Die Gestalten des Gehirns sind die höchsten der Erde, sie sind aber
bis jetzt noch mehr wunderbar als schön. Ihre hohe Schönheit und Zweckmässigkeit wird uns erst
vollkommen klar werden, sobald wir bekannt sind mit ihrer körperlichen und geistigen Bedeutung.
Etwas Geheimnissvolles ist wohl reizend, aber nicht schön. Nur das Wahre ist schön und das Klare
H a rle s' und R i t l e r ’s Neuem Journal d. ausl. med.-chir. L it. Bd. 4. S. 76 von F a n z a g o ; das doppelköpfige Kind in der
Salzburger med. Zeitung. 1793. Bd. 3. S. 432. H a r le s ’ u. R i t t e r ’s, Neues Journ. d. ausl. med.-chir. Lit. Bd. 5. S. 125.
H a r le s , Jahrb. d. deutschen Med. u. Chir. Bd. 3. S. 19.
ist erst vollkommen wahr. Zu ihrer Enträthselung gehört aber der scharfsinnigste Geist und das
scharfsichtigste Auge, und Jahrhunderte werden vergehen, ehe der Copernious erscheint, der die
Sonnen- und Planetenbahnen unseres geistigen Organismus regelt. Wir finden im Gehirn Berge und
Thäler, Brücken und Wasserleitungen, Balken und Gewölbe, Zwingen und Haken, Klauen und Ammonshörner,
Bäume und Garben, Harfen und Klangstäbe, wie wir am Himmel Löwen und Bären,
Schwäne und Adler, Drachen und Schlangen, Fische und Scorpione sammt der ganzen Mythologie
antreffen. Alles Namen, und wiederum Namen ohne Bedeutung! Niemand hat die Bedeutung dieser
sonderbaren Gestalten erkannt, kein Mathematiker selbst ihre Curven berechnet. Es ist ein Werk,
würdig eines Copernicus, aber schwieriger als das seinige. Copernicus und Kepler enträtselten
die Bewegungen der Gestirne und sie konnten, wie die dankbare Nachwelt, mit ihrem Werke
zufrieden seyn. Aller sie vermochten eben nur die Bewegungen der Gestirne zu regeln, nicht die
Bedeutung dieser Körper für den W eltg eist auch nur zu berühren. Hier, am Hirn, führt uns die
schwingende Bewegung des Nervenäthers, dessen Statik und Dynamik wir in der Hirnfaserung erforschen,
notwendig sogleich auf die Frage nach ihrer psychologischen Bedeutung, ohne welche
ihre Untersuchung mindestens die Hälfte ihrer Anziehungskraft verlieren würde, gleichwie wir am
kunstvollen Bau des Auges vorzüglich dadurch ein lebendigeres Interesse gewinnen, dass wir seine
dioptrische Einrichtung in Beziehung bringen zum Sehen, zur Empfindung, d. h. zum geistigen Leben.
Indem ich nun nach Durchmusterung der verschiedenen Begriffe der Seele, die man nicht selten
mit einander zu verwechseln pflegt, zu dem Sitze einzelner Seelenthätigkeiten übergehe, muss ich
doch sogleich bemerken, dass ich es nur in den allgemeinsten Verhältnissen und nur so weit zu thun
beabsichtige, als der vorliegende Gegenstand und die vorliegenden Untersuchungen es erlauben. Sodann
wiederhole ich es, dass e.> zwei Weltordnungen oder zwei Erscheinungsweisen unserer Seele
(Tm allgemeinsten Sinne) gibt, die so wenig in einander übergehen, dass sie zunächst auch wissenschaftlich
möglichst aus einander gehalten werden müssen, die körperliche, physiologische Erscheinung
und die geistige, psychologische, ehe man zu ihrer wissenschaftlichen Wiedervereinigung schreitet, die
sie in der Wirklichkeit doch auch nicht verkennen lassen. Von einem Uebergange der körperlichen
Thätigkeit, z. B. einer elektrischen Entladung in einen Gedanken, zu reden, würde ich daher für einen
Wahnsinn halten, ja selbst jede unmittelbare Einw irkung eines Gedankens auf eine körperliche
Thätigkeit, oder umgekehrt, halte ich demgemäss für unmöglich, da bei einer körperlichen Einwirkung
auch nothwendig die Ursache selbst mit ihrer körperlichen Natur in die geistige Thätigkeit, worauf
jene wirkt, übergehen müsste, gemäss dem Gesetze von Ursache und Wirkung — welchen Ueber-
gang eben uns zu denken unmöglich ist, auch bei dem höchsten oder dem niedrigsten Fluge der Phantasie,
ganz abgesehen davon, dass jeder Gedanke, der doch mit dem vorhergehenden in ursächlichem
Verhältnisse steht, dann zwei Ursachen haben würde, die Hirnbewegung und den vorhergegangenen
Gedanken, wovon jede den Anspruch macht, hinreichende Ursache des folgenden, eben auftauchenden
Die Ggeadnaznek eBne tzrauc hsteuynng. eines organischen Wesens zerfallt also in eine dreifache, iu die Lehre
von der körperlichen, in die Lehre von der geistigen Seite desselben und endlich in die Lehre
von der Verbindung beider, welche alle drei eine besondere Behandlung erfordern. Die erste
ist der Gegenstand des N aturforschers und des Physiologen insbesondere, die zweite gehört der
Idealphilosophie zu, und die Priester, welche die gesetzliche Einheit von Körper und Geist festzuhalten
haben, will ich die N aturphilosophen nennen. Freilich greifen diese zwei entgegengesetzten
Seiten unseres Lebens auf das Mannichfaltigste in einander ein, so dass die sinnliche Welt,
dié Welt der Bewegungen, selbst einen Theil unserer Gedankenwelt ausmacht und nur durch Abstractum
als eine dem Gedanken parallel laufende besondere Körperwelt erkannt und geschieden wird;
demungeachtet ist' es im Allgemeinen, besser, wenn die Geometrie unseres Lebens von seiner ästhetischen
Welt wissenschaftlich möglichst geschieden entwickelt wird.