Wissen wie ein schwer befrachtetes Schiff von den vielfach sich durchkreuzenden Wogen des Lebens
ohne Ziel und Sicherheit hin und her geschleudert wird. Gar manche Idee, so mancher daraus hervorgehende
anatomische Fund aus den letzten fünfzig Jahren hat paradox ausgesehen und ist doch
jetzt Gemeingut der Wissenschaft; dem Gelehrten aber geziemt es, nach Ideen zu arbeiten, auch
wepn er in den süssen Frevel verfiele, eine Falte an dem Schleier der allen Mutter zu Sais lüften
zu wollen.
E rster Theil.
D e r S c h ä d e l
nach Alter, Geschlecht und Ra<;e beim Säugethier und Menschen.
Leite meine Hand, gefällige E rato, dass ich leise die Schale öffne, welche
die höchste Blüthe der Schöpfung verschliesst, und waffne mein Auge mit Geistesschärfe,
dass es verständig den Dädalus der Organisation ansebaue, der die
Geburtsstälte der Geschichte, die. Wiege der Kunst und das mysteriöse Brdutbelt
ist, auf welchem Seele und Leib, die Götter des Lichts und die Kinder der
Natur ihre Orgien feiern. R e il.
Der Schädel ist ein Abdruck des Gehirns. Seine todte Schale lässt einen Schluss ziehen auf den
lebendigen Kern, den sie einhüllt. Ganz abgesehen von seinem eigenen Interesse und Recht ist er
daher zu allen Zeiten gerade vom psychologischen Gesichtspunkte aus der Gegenstand lebhafter Forschung
gewesen vom Laien, wie vom Naturforscher, vom Arzte, wie vom Philosophen.
Ich ging bei meinen Untersuchungen von dem Gedanken aus, dass der ganze Kopf ein organisches
Ganze sey, dass besonders die Haupttheile des Gehirns und seine knöchernen Decken nicht zufällig
bald so, bald anders an einander liegen, sondern vielmehr in der engsten räumlichen Beziehung zu
einander stehen, dass also bestimmte Schädelknochen bestimmten Bezirken des Gehirns entsprechen und
ein Hirnorgan unter verschiedenen Umständen beim Menschen immer mit einem und demselben bestimmten
Knochen in gleichem räumlichen Verhältniss steht und dass man folglich von der Grösse
eines Schädelknochens auf die Ausbreitung einer bestimmten Hirngruppe zu schtiessen berechtigt ist.
Ich lasse es dahin gestellt seyn, wie weit diese Anordnung durchgreift, sie ist aber gewiss die
Regel und ihre Ausnahmen können nicht sehr zahlreich seyn. Mögen auch vielleicht untergeordnete
Windungen sich etwas verrücken, so liegen doch wenigstens die Hauptzüge und die Haupttheile des
Hirns überhaupt gewiss immer denselben Stellen des Schädels an, selbst in den Säugethieren. So
liegt der Markknopf überall auf dem Körper des ersten Schädelwirbels Cdem Zapfentheil des Hinterhauptbeins},
so der Hirnanhang bei allen Thieren auf dem Körper des zweiten (dem Türkensattel}, so
das kleine Gehirn allerwärts im Hinterhauptswirbel u.sfw. Bei den Säugethieren mögen nur die sich
immer mehr nach hinten ausdehnenden Hemisphären des grossen Gehirns vielleicht andere Berührungspunkte
für ihre verschiedenen Theile herbeiführen. Weniger wird das Alter einen solchen Unterschied
bewirken, gar nicht Geschlecht, Itaije und Individualität, künstliche und pathologische Ursachen, wie
sich von selbst versieht, abgerechnet.