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 den Tag,  als  die  psychischen,  seinen Einfluss auf Bewegungen und  das niedere Empfindungsleben,  ist  
 aber auch  hier  oft ein  Irrlicht,  das  in  Sümpfe  und  Gräben  lockt. 
 Der  Phrenologie fehlt  eine  wissenschaftliche  Grundlage  und  eine  scharfe  Krilik  ihrer Beobachtungen, 
   und  die  pathologische  Anatomie  hat  durch  Burdach’s  belesene  Zusammenstellungen  
 bewiesen,  wie  unfähig  sie in  ihrem jetzigen  Zustande  ist,  uns  über  den Silz  verschiedener See-  
 lenlhäligkciten  Aufklärung zu  verschaffen. 
 Unterdessen  reichen  aber  unsere  Instrumente,  Wage  und Zollstab, Messer  und Mikroskop  aus,  
 um  uns  der  Grössenverhältnisse  und  des  Verlaufs  gröberer  und  feinerer Abschnitte  des  Gehirns  zu  
 versichern,.namentlich  die  Massen  zu untersuchen,  wo  wir  die  Schwingungen  und  Verkettungen  
 der Molecüle,  der  apolaren,  bipolaren  und  multipolaren  Ganglienkugeln,  der  breiten  und  schmalen,  
 der einfachen  und  verzweigten Primilivfasern,  der Hülle  und des Kerns  (Axencylinder)  und des  dazwischen  
 befindlichen  Zelleninhalts  zu fassen nicht  vermögen.  Auch  die  gröberen  Massen  haben  ihr  
 Recht,  ihr  Interesse,  ihre  besondere  Bedeutung.  Sie  sind  grosse  räumliche  Abschnitte,  welche  die  
 grossen  zeitlichen  Absätze  der  Seelenlhätigkeit  und  die  verschiedenen  Hauplfunclionen  des  Gehirns  
 andeuten. 
 Ich  habe  daher  auf  diesem Wege unter  Beihülfe  der übrigen Methoden  und deren Resultaten  die  
 Sache  weiter  zu  fördern  gesucht  und  das  Hirn  nach  A lters-,  G eschlechts-  und  R aqcver-  
 schiedenheiten  untersucht. 
 Wenn  wir nämlich von  dem Seelenleben der Thiere wenig wissen,  weniger als wir sollten,  weshalb  
 die  von  Reil  ausgeworfene  Saat  bis jetzt die  erwarteten Früchte nicht gegeben hat,  so  kennen  
 wir  dagegen  ziemlich genau  die besonderen Stimmungen  der Psyche  des Kindes und  des Erwachsenen,  
 des Mannes  und  des Weibes,  und  vielfach  auch  die  psychischen Nationaleigenlhümlichkcilcn.  Davon  
 beschränken  sich  die  zwei  ersten  sogar  nicht auf den Menschen,  sondern  ziehen  sich,  wie  sie  hier  
 angetroffen werden, in eben  der  Verschiedenheit durch das  ganze Thierreich  hindurch, soweit  es nach  
 Alters-  und  Geschlechlsverschiedenheilen  beobachtet  worden ist. 
 Freilich sind  die Schädel und Hirne von  zwei verschiedenen Säugcthieren weit mehr  von  einander  
 verschieden,  als dieselben Theile vom Menschen nach dessen Alter,  Geschlecht  und Ra<je,  und müssten  
 leichter zu  einer Auffindung  des Sitzes ihrer Geisteskräfte  führen,  wofern  wir  nur  davon  eine genaue  
 Kenntniss  hätten.  Bei  dem mangelhaften Stande  der  vergleichenden  Seelenlehre  hat  aber die  Untersuchung  
 des  menschlichen  Schädels  und Hirns  dennoch  eine bessere  Aussicht,  und  ausserdem  lassen  
 sich  jene Verhältnisse  auch  auf den  Thierbau  ausdehnen,  wie ich  es denn  gethan  habe.  Nur bedarf  
 die  Beobachtung  hier  überhaupt  einer  grösseren Feinheit  und  Schärfe,  um  nicht  auf  dem  schlüpfrigen  
 Boden auszugleiten,  worauf man  sich immer  bewegt,  sobald man  sich mit  der  Lösung  des Problems  
 von  der Verbindung  der  subjeeliven mit  der objectiven Natur,  mit  dem  Sitze  unserer  Gedanken  und  
 Gefühle  beschäftigt.  Ich  befand  mich  daher  öfters  in der Nothwendigkeit,  neue,  schärfere Methoden  
 aufzufinden  und  anzuwenden,  um  jene  feineren  Physiognomieen  herauszufinden,  welche  Alter  oder  
 Geschlecht dem Schädel  wie  dem Hirne  aufdrücken. 
 Am constanteslen  wird  das  A lter  seine Eigenthümlichkeit  bewahren,  schon  weniger  das  Geschlecht  
 und  noch weniger  die R a 9 e.  Das Kindesalter bietet  in  jedem  einzelnen Falle  seinen  specifischen  
 Charakter dar,  nur  sehr  selten  wird  ein  Kind,  und  dann  doch  nur  in  den  späteren  Jahren,  
 nicht  aber  als  Säugling  und  in  den  ersten  Lebensjahren,  den  geistigen  Typus  des  Erwachsenen  an  
 sich  tragen.  Im  Geschlecht  gibt  es schon häufigere  Ausnahmen.  Nicht selten ist eine  Frau  männlich, 
   ein  Mann  weiblich  organisirt,  physisch  und  psychisch,  mehr  oder  weniger, ja  man  darf  sagen,  
 in  geringem  Grade  fast  regelmässig;  wenigstens  ist  bei  civilisirlcn  Völkern  der  Geschlechtstypus  
 kaum je  durch den  ganzen  Körper  oder Geist  vollkommen  rein  ausgesprochen.  Die grosse  Man-  
 nichfalligkeil,  welche  den Formen  eines  hoch  entwickelten Volkes eigen ist,  entsteht  theilweis  durch  
 die  vielfachen  Uebergänge  zum  andern  Geschlechte  und  die  meisten  Männer  oder  Weiber  sind  in  
 diesem  Sinne  wirklich Zwitter.  Dass  aber  bei  R a9en  und  Völkern  noch  mehr  als  bei  den  zwei  
 Geschlechtern  Ausnahmen  von  ihrem  Nalionalcharaktcr  Vorkommen werden,  lässt sich  aus ihrer Vermischung  
 mit anderen,  aus der  Einwirkung  des Klima,  aus ihrer veränderten Lebensart  und  aus  ihren  
 Schicksalen  schliessen.  Die  Aufstellung  von  anthropologischen  Gesetzen  wird'daher  hier  auf  um so  
 grössere  Schwierigkeiten  slossen,  als  die  Zahl  der  auch  selbst in  den reichsten  anatomischen Museen  
 disponiblen Nalionalschädel  (yon  National hi rnen  schweigt  bis  jetzt fast ganz  die  Wissenschaft)  ver-  
 hällnissmässig  unter diesen  Umständen  sehr  gering  ist,  diese  überdies  nicht  immer sicheren Ursprungs  
 seyn  möchten  und  ihr Geschlecht  sehr  oft nicht  bemerkt ist,  so  dass das  geschlechtliche Moment  in  
 Collision  mit  dem Nationaltypus kommen  und  denselben  verwischen kann. 
 Nach diesen  zum ersten Male  versuchten  Gesichtspunkten  bin ich  von  Aussen nach  Innen fortgeschritten, 
   habe  den  Schädel  vorangehen,  das  Hirn  nacbfolgen  lassen.  Aus  den  vielen  Schädelmessungen  
 geht  nebenbei  hervor,  dass jeder  Schädelknochen,  ja  selbst  eine  einzelne  Gegend  desselben,  
 neben  den  allgemeinen  ihre  besonderen Gesetze  in  Wachsthum  und  Abnahme  und  Gestaltung  auch  
 nach  der  Geburt  besitzt  und  keineswegs  gleichmässig,  gewissermaassen  wie  eine  Blase,  sich  ausdehnt  
 und  zusammenzieht.  Ihr  Wachsthum  per  intussusceplionem  ist  auch  nach  Schliessung, der  
 Nähte  ungleich vertheilt,  selbst  in  den  einzelnen Stücken  eines  solchen Knochens,  sic  wachsen fort  
 nach  ihren  eigenen und  des Hirns  Bedürfnissen. 
 Meine  Untersuchungen  über  das  Hirn  stehen  in  genauer  Verbindung  mit  denen  des  Schädels  
 und  ihre  Resultate  offenbaren  grösstenlheils eine innige Uebereinstimmung  mit  den  osteologischen  Ergebnissen. 
   Endlich  habe ich  das Werk  mit einem psychologischen Abschnitte  beschlossen,  worin  
 ich  meine allgemeinen  und  besonderen Ansichten  über  die  Verbindung  des  Geistes  mit  dem Körper  
 entwickelt  und  auf  die  Resultate  der  Anatomie  und Physiologie  gegründet habe.  Theilweis  habe  ich  
 hier  fort gebaut  auf meine  Theorie  der  Sinne  und  ein  älteres  psychologisches  Fragment,  insofern  die  
 Sinne  die  Vorhalle  des  höheren  geistigen Lebens  sind,  worin  schon  alle  Einrichtungen  im  Tempel  
 des  Geistes  nach  dem  Prototypus  des  Allerheiligsten  gegeben  und  offener  hingestellt  sind,  so  dass  
 man  auf dieser  sinnlichen Grundlage  die  höheren Stockwerke  aufführen  kann.  Zimmer  und  Kammern  
 und ihr Gerälh  aber habe  ich  nur  berührt,  vielfach  weggelassen,  da  das nöthige Material  dazu  noch  
 nicht  vorhanden  ist.  Mein  Streben  ging auch  hier vor Allem  dahin,  die Einheit  des Planes  zwischen  
 beiden  Reichen  des  Lebens  aufzufinden.  Wo  dies  nicht  ganz  gelungen,  das  Gemälde  noch  bizarr  
 aussehen sollte,  mag  der  Stand  der  Wissenschaft  und  diese  zum  Grunde  liegende Idee nothwendiger  
 Einheit  und  die Ueberzeugung  des Verfassers  erklärend und entschuldigend  entgegentreten,  ihren Com-  
 pass  und  ihr  Steuerruder  nie  aus  der  Hand  zu  lassen,  ohne  welche  unser  naturwissenschaftliches 
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