Z w eites K a p ite l.
Das Hirn, ein elektrischer Apparat
W as unsichtbar die lebendige Waffe der Fische ist, w as, durch die Berührung
feuchter und ungleichartiger Theile erweckt, in allen Organen der Thiere und
Pflanzen umtreibt, was die weite Himmelsdecke donnernd entflammt, was Eisen
an Eisen bindet und den stillen wiederkehrenden Gang der leitenden Magnetnadel
lenkt, Alles, wie die Farbe des getheilten Lichtstrahls, fliesst aus Einer Quelle,
Alles schmilzt in eine ewige, allverbreitete Kraft zusammen.
H u m b o ld t.
Wenn auch die Organe unseres Körpers, mittelst Flüssigkeiten und Bindegewebe verbunden,
schon durch ihre Conliguität einer allgemeinen Wechselwirkung fähig sind, so ist doch die engste
Verbindung nur bei Continuität ihrer Elementartheile möglich. Auch im Nervensystem gilt daher der
Satz, dass die Nervenlbäligkeit nur dem Laufe der Primitivfasern folgt und die vielstrahligen Ganglienkugeln,
welche durch ihre Aeste anatomisch mit anderen oder mit Primitivfasern verbunden sind, auch
eine innigere functionelle Beziehung zu einander haben, als apolare, die nur, neben einander liegen,
sich höchstens berühren, ohne einen anatomischen Uebergang zu zeigen. Sie sind die embryonalen
Ganglienkugeln, die erst auf einer höheren Entwickelungsstufe Aeste aussenden und mit der dadurch
hervorgebrachten anatomischen Verbindung mit anderen Nerventheilen den Grad der functionellen Energie
beurkunden, wodurch sie über sich hinaus auf diese wirken. Sie erheben sich im Laufe ihres
moleculären Lebens zu strahligen Ganglienkugeln, verdrängen andere, die mit Vollendung ihres Lebenskreises
absterben, und werden wieder verdrängt von der jungen Brut neuer apolarer Ganglienkugeln
im Verlaufe des Entwickelungsprocesses unserer Nerventhätigkeit und ihrer vielen Modificationen.
Was aber im Kleinen, das auch in grossen Verhältnissen, Natura etiam in minimis total Auch
die grossen Sammelplätze von Ganglienkugeln und Primitivfasern, graue und weisse Substanz, Knoten
und Nervenbündel zeigen durch ihren Verlauf und ihre Verbindung die Wechselwirkung ganzer M assen an. Art und den Grad der
Stellt sich nun, besonders nach Dubois-ReymÄnd’s Versuchen, immer mehr dié grosse Verwandtschaft,
wenn nicht Identität, der Nervenkraft und Electricität heraus, so werden die allgemeinen
Gesetze dieser Kräfte auch auf die ganzen Massen des Nervensystems ihre Anwendung finden.
Auch sie werden nach den Elemenlarbestandtheilen eines elektrischen Stromes eingerichtet seyn.
Indem ich daher die Betrachtung der physiologischen Thätigkeit von der psychologischen Unter-
suchung trenne, wage ich den Versuch, das Gehirn als Ausdruck eines zusammengesetzten elektrischen
Apparates darzustellen, in welchem nicht bloss die verschiedene Schnelligkeit des Stromes den
Differenzen unseres Seelenlebens parallel geht, wie bekanntlich die Schwingungszahlen des Lichtäthers
der Bildung der verschiedenen Farben correspondiren, sondern wo auch nach Richtung, Stärke und
vFoorr mu nsdeerre mel eIkcthr isvcohreünb eSrztireöhmene . und deren zahllosen Combinationen begleitende psychische Phänomene
Ein galvanischer Apparat ist, um einen elektrischen Strom zu erzeugen, aus folgenden nothwen-
aigen Bestandteilen und Bedingungen zusammengesetzt:
1) aus dem Indifferenzpunkt (Mittelpunkt),
2) aus den Polen (Zink- und Kupferpol),
3) aus den Schliessungsdrähten,
4) aus dem feuchten L eiter und endlich
5} aus einem chemischen P rocesse, der die elektromotorische Kraft erzeugt.
EntwWickier luwnogl liehnr esre hHeanu, potabp pdaiersaete f üvnofr hBaenddienng usningde.n in den beiden Gehirnen nach der Anlagerung und
I. Das grosse Gehirn.
1) Viele Tausende von kleineren und grösseren Elementen existiren im Gehirn. Im Kleinen sind
es die zahllosen Ganglienkugeln, im grössten Maassstabe aber sind es die beiden Hemisphären
des grossen Gehirns, zwei colossale Plattenpaare der cerebroelektrischen Ströme.
Sowie überhaupt ein Organ vollkommener sich entwickelt, geht es in eine Zweiheit aus einander
oder es polarisirt sich. Diese Zweiheit ist aber zunächst nur eine Theilung in zwei gleiche Hälften
oder, mit anderen Worten, die Duplicität ist eine symmetrische. So haben wir zwei Arme und
Beine, zwei Augen, Ohren, Nasenhöhlen u. s. w. Die functionelle Folge davon ist aber eine Z unahme,
eine grössere In ten sität ihrer Thätigkeiten. So auch am Hirn. Die Hirnthäligkeit wird
verdoppelt durch die zwei Halbkugeln, ohne dass die E inheit der Wirkung dadurch verloren
geht, bei aller Verdoppelung auch seiner Thätigkeit. Wir dürfen nicht glauben, dass es einen einzigen
Punkt giebt, Einen Mittelpunkt des grossen Gehirns, wo unser Ich seinen besonderen Sitz aufgeschlagen
hätte. Wie wir mit zwei Augen einfach sehen, mit zwei Ohren zwar doppelt hören, aber
dennoch nur eine einfache Empfindung haben, so denken wir auch doppelt, so paradox dies auch klingt,
in der rechten wie linken Halbkugel unseres grossen Gehirns. Beide sind aber durch die Balkenfaserung
so vollkommen und innig verbunden, dass die doppelten Gedanken in Ein einziges psychisches
Gemälde zusammenfliessen, das an Schärfe und Farbenschmelz durch die Verdoppelung seiner selbst
nur gewinnen muss, gleichwie wir schärfer und ausgedehnter sehen mit zwei Augen und besser hören,
wenn beide Ohren thätig sind. Das schärfste, klarste, angestrengteste Denken erfordert das Zusammenwirken
beider Hemisphären. Zerstreutheit unserer Gedanken ist begleitet von einer unwillkürlichen
Abwechselung verschiedener Hirnorgane ohne die nöthige Einheit, und ein krankhafter Mangel an dieser
Einheit kann sich in der Sphäre der Intelligenz bis zur Verwirrung und in der Sphäre des Gemüthes
bis zur Verzweiflung steigern. Es ist nicht in Abrede zu stellen, dass wir bald rechts, bald links Gedanken
oder Gefühle haben können, wie wir bald das rechte, bald das linke Auge gebrauchen. Wenigstens
lehrt die Erfahrung, dass bei grossen Zerstörungen und Atrophieen in Einer Halbkugel das
Denkvermögen dennoch, wenn auch geschwächt, fortbestehen kann, es ist aber gänzlich aufgehoben,
sowie beide Halbkugeln grosse Verluste erleiden.
Man kann aber fragen, warum giebt es nicht mehr als zwei Elemente an dieser grossen Hirnbatterie,
da sich ja mit ihrer grösseren Zahl auch eine intensivere Wirkung derselben verbinden müsste?
Die Antwort hierauf ist immer wieder das Gesetz der Polarität. Bei aller möglichen Gleichheit beider
Hemisphären liegt in ihrer Zweiheit doch immer wieder der Ausdruck eines qualitativen Gegensatzes,
wie es jede Wechselwirkung zu erfordern scheint, eines + und eines — Pols. Die eine
Hemisphäre ist wahrscheinlich positiv, die andere negativ neuroelektrisch. Damit wird aber auch die
blosse Zw eiheit dieser Elemente erklärlich und sogar nothwendig und eine grössere Vielheit ausgeschlossen.
Auch muss man bedenken, dass die grosse Hirnbatterie, gleich allen unseren organischen
Apparaten, vollkommener eingerichtet ist, als die physikalischen Säulen. Hier haben wir immer
gleiche Elemente, auch bei den grössten Batterieen. Dort hingegen steigert sich die Grösse und
Mannichfaltigkeit der Elemente von den Haufen verschiedener moleculären Plattenpaaren der Ganglienkugeln
herauf bis zu den grossen Hirnganglien und den Hemisphären selbst. Es wäre die Aufgabe
der Physik, diese schöne Einrichtung unseres Organismus nachzuahmen und dadurch viel vollkommener
zusammengesetzte Säulen aufzubauen. Wie das Auge das nicht erreichte Vorbild für alle dioptri-
schen Instrumente ist, unser Stimmorgan von keinem Saiten- oder Blasinstrumente erreicht wird, so
sollte man für die weitere Entwickelung der Elektricitätslehre seinen Blick richten auf den wundervollen
galvanischen Apparat des Gehirns und daraus neue mechanische Ideen schöpfen. Freilich müsste
man mit solchen organisirten Säulen nicht Felsen sprengen oder in alchymistischem Bestreben Metalle
schmelzen und zersetzen wollen, ‘aber die Feinheit und Mannichfaltigkeit ihrer Wirkung würde auf
Kosten der rohen quantitativen Krafläusserung voraussichtlich gewinnen.