liehe Geschlecht. Mögen nun weitere ausgedehntere Untersuchungen meine Beobachtung bestätigen
oder widerlegen, dennoch bin ich fest überzeugt, dass auch in den Windungen selbst sich die Eigen-
thümiiehkeit der Geschlechter noch specieller abspiegelt.
Mit dieser Beobachtung am Gehirn selbst harmonirt übrigens auch der Schädelbau. Das zwischen
beiden Tubera frontalia liegende Stück des Stirnbeins bezeichnet nämlich die Breite der dritten Ur-
windungen. Vergleicht man nun die Entfernung der Stirnhöcker bei beiden Geschlechtern mit dem
Querdurchmesser des ganzen Stirnbeins 0>n der Verbindungsstelle von grossem Flügel, Scheitelbein
und Stirnbein), ^so verhalten sich meistens diese beiden Querlinien zueinander in männlichen Schädeln
wie 33—34:67—66?, im weiblichen dagegen wie 35—37:65—631. Im weiblichen Kopfe also hat
diejenige Gegend ein Uebergewicht, hinter welcher die dritte Urwindung liegt, im männlichen umgekehrt
die äussere Gegend dieses Knochens, woran die erste und zweite Urwindung liegt. Wie nun
überhaupt das weibliche Gehirn noch eine sehr starke Färbung des kindlichen hat, so findet sich obige
Proportion auch am Stirnbein des. Kindes, nur noch in weit höherem Grade und weit regelmässiger;
denn die Entfernung der Tubera frontalia sind hier sogar bis zu 40—439 gestiegen l).
Nicht weniger scheint auch im Scheitelhirn bei beiden Geschlechtern nicht ganz dasselbe Ver-
hältniss zu bestehen. Wenigstens ist die mittlere Schädelgrube eines weiblichen Schädels bei weitem
weniger tief ausgegraben, als in einem männlichen, woraus folgt, dass der in diese Grube herabragende
Schläfenlappen im Manne gegen die oberen Züge und das Zwischenscheitelhirn im Vortheil ist 2).
Wenn wir aber alle diese Erfahrungen zusammenstellen mit den früher durch Messung und Wägung
gewonnenen, dass nämlich
1) der Sehhügel und Sehnerv3) sammt dem Auge im Verhällniss zur Grösse des Gesichts,
2) die weiche Commissur,
3) die Zirbel,
4) der Himanhang,
5) das Zwischenscheitelhirn und der Scheitellappen
beim weiblichen Geschlecht bevorzugt sind und dagegen im männlichen umgekehrt
1) der Streifenhügel mit seinem grösseren Linsenkerne,
2) der vordere Hirnlappen und das VordemBalken,
3) die Nase
proportioneil begünstigt sind, So ist es nun auf dieser empirischen Basis möglich, da jene beim Weibe
entwickelteren Theile sämmtlich zum Scheitelhirn gehören und umgekehrt die des Mannes zum Stirnhirn,
den allgemeinen Ausspruch als begründet darzustellen, dass
im w eib lich en Geschlecht mehr oder weniger das gesum m te S c h e ite lh irn ,
im m ännlichen um gekehrt das gesam m te S tirn h irn vorherrsche und die
charakteristische E igenthüm lichkeit ihres geschlechtlichen H irntypus ausmachen.
Das Weib ist ein homo parielalis und inlerparielalis, der Mann ein homo fronlalis, und das
Weib hat deshalb auch ein runderes Gehirn, als der Mann.
1) B u rd a c h , a. a. 0 . III. 497. Beim Kinde ist die untere Stirngegend stark gewölbt und diese Dacht sich allmählig etwas
ab, während zu gleicher Zeit die Stirnhöhlen sich entwickeln. Dies Zurücklreten'des Stirnbeins und namentlich seiner inneren
Tafel muss darauf beruhen, dass der untere Theil des Vorderlappens selbst zurückweicht.
2) A c k e r m a n n , l. c. p. 28. §. X I X : Crunüim mulieine hoc tibi proprium habet, quod, quaecunque etiam cranii form a adsit,
in anteriore p arte contrahatur, maxim e in ea regione, tibi pone os frontis os m ultiforme interceptum in externa cranii parte
f o s s a s te m p o r a l e s constilidt.
3) Da oben (S. 102 Note) nur des Verhältnisses der kindlichen und männlichen Sehnerven zum Apfel gedacht worden ist, so
füge ich hier nachträglich hinzu, dass bei einer 30jährigen gesunden Frau der Apfel sich zum Sehnerven (30 Millim.) verhielt
wie 6,56 : 0,463 Grmm. = 99,934 : 0,066 g , bei einem 40jährigen Manne dagegen wie 9,18 : 0,398 Grmm. =
99,9584 : 0,0416 g. Das Weib bleibt also bei der Proportion des Kindes.
Mit diesem allgemeinen Ergebniss scheinen dann wieder die Resultate zu harmoniren, welche
durch die Wägungen des kleinen Gehirns hinsichtlich des Wurms und der Hemisphären gewonnen
worden sind. Der Wurm hängt auf das Innigste mit den Bin de armen und durch sie mit der
Haube und also theils mit den Olivensträngen oder Yordersträngen des Rückenmarkes, theils mit denjenigen
Strahlungen des Stabkranzes zusammen, welche, nachdem sie den Sehhügel durchzogen haben,
in dem hinteren Hirnlappen und dessen Windungen sich verbreiten. Beide Theile aber, Wurm und
Hinterlappen, die sich in ihrer Thätigkeit genau auf einander beziehen müssen, sind im W eibe vollkommener.
Umgekehrt waren die Halbkugeln des Cerebellum beim Manne besser bedacht. Sie
stehen aber durch die aus ihnen hervorwachsenden Brückenarme und die Brücke, die sie bilden,
mit den Pyramiden oder den Seitensträngen, und folglich weiter mit der Basis der Hirnschenkel und
durch deren Verbreitung mit den Streifenhügeln und denjenigen Strahlungen des Stabkranzes in innigerem
Zusammenhänge, welche sich im Slirnhirn verbreiten (vielleicht bis zur Centralfurche rückwärts?).
So stehen also auch am männlichen Gehirn diejenigen Theile des grossen Hirns und des Hin-
lerhauptshirns in genauem anatomischen Connex, welche beide in diesem Geschlechte hier und dort
bevorzugt sind. Das ist das Eigenthümliche der Brücke, dass sie nicht bloss, wie es fast nur der
analoge Balken thut, Commissur der Hemisphären des kleinen Gehirns ist, sondern auch diese Theile
zur lebhaften Wechselwirkung mit dem Hirnschenkelsysteme geschickt macht, mag dieses durch unmittelbaren
Uebergang der Fasern geschehen oder durch blosses Aufliegen der Längenfasern der Pyramiden
und durch Einschliessen zwischen ihre oberflächliche und tiefe Lage von Querfasern und durch
die aus der grauen Substanz der Brücke neu entstehenden Fasern für die Hirnschenkel und also vielleicht
auch durch eine mittelst blossen Contacts herbeigeführte Polarisirung. Das Stirnhirn wird elck-
trisirt durch die Hemisphaeria cerebelli, das Scheitelhirn durch den Wurm und seine Bindearme.
S ie b en te s K ap itel.
Ra^enverschiedenheiten des grossen Gehirns.
Nachdem ich oben, soweit es bei der jetzigen spärlichen empirischen Grundlage möglich war, einiger
nationaler Verschiedenheiten des Hinterhauptshirns gedacht habe, will ich hier Hand anlegen auch an
das Windungssystem des grossen Gehirns. Jedoch beschränkt sich die empirische Basis hier ebenfalls
nur auf wenige Beobachtungen Anderer, so namentlich auf die mit gewohnter Treue gelieferten Abbildungen
des Hirns des Negers und einer Buschmännin von Tiedemann und auf die eben so
vortrefflichen Abbildungen des Gehirns des Orang-Utang, des Chimpansé von Schröder
van der Kolk, V rolik und Tiedemann. Ausserdem habe ich in Ermangelung von Nalionalhir-
nen mir dadurch zu helfen gesucht, dass ich Wachsabdrücke der Schädelhöhle eines Caraïben, Kosaken
u.s. w. machte, welche wenigstens manche Windungen hervortreten und beurtheilen lassen.
Ausser der geringeren Asymmetrie der Windungen und dem an seiner Wurzel dickeren
und aufgetriebeneren S tiele des H ibnanhanges am Negerhirn zeigt die Abbildung
von Tiedemann noch Folgendes:
1) Gehen wir voji der Fossa Sylvii aus, so steigt sie bei dem Affen, selbst beim Chimpansé,
noch sehr schief herab, weniger beim Neger, und fast horizontal steht sie längs dem oberen Rande
der Schuppe beim Europäer. Die Folge davon ist, dass die unterste oder erste hintere Längenwindung,
welche zum oberen Rande des Schläfenlappens herabläuft und damit die Sylvische Grube von
unten her begrenzt, dort ebenfalls eine hängende Stellung hat, beim Europäer eine mehr wagerechle.
2) Die C entralfurche steht beim Chimpansé senkrechter, ja unterwärts sogar etwas vorwärts
geneigt. Am Negerhirn steht sie wenigstens unten auch noch senkrecht, um sich dann beim Auf- 6 6 = gg*