oder, mit anderen Worten, in die Sphäre der E rkenntniss und des Gemüth es. Jene hängt
mit der Welt der Sinne genau zusammen und steigert sich auf deren Grundlage durch Vorstellung,
Begriff und Idee und deren Combinationen herauf bis zur höchsten Stufe der Intelligenz. Sie sind
Sinne auf rein geistiger Stufe. Das Gemüth hingegen ist insofern wesentlich von ihnen verschieden,
als es die Harmonie und Zweckmässigkeit mit unserem geistigen Ich unter der Form von W ohlgefallen
und M issfallen, Lust und Unlust wahrnimmt und dadurch sich als eine höhere geistige
Wiederholung des körperlichen Gemeingefühls beurkundet. Das Reich geistiger Gefühle, das
Gefühl der L iebe, des Schönen und Guten gehört hierher. Dorthin hingegen fallt das Reich der
Wahrheit»
Es gibt also eine Reihe körperlicher und eine zweite Reihe geistiger Wahrnehmungen, und jede
dieser zwei Kategorieen zerfällt selbst wieder in zwei Unterabtheilungen, wovon die Eine sich auf die
Aussenwelt, die' Andere auf unser Ich bezieht. Dort waren diese Abtheilungen: Sinne und Gemeingefühl,
hier sind es Intelligenz und Gemüth, welche jenen parallel gehen auf höherer
Stufe.
Diesen centripetalen, empfindenden Kräften steht gegenüber eine Reihe centrifugaler, strebender
Thätigkeiten, ebenfalls von verschiedener Dignität und Abstufung. Auch sie beginnen auf körperlicher
Stufe» Wir pflegen sie hier motorische Nervenkraft zu nennen. Wenn sich aber diese körperlich
wirkende Expansivkraft zum Geiste erhebt, so erscheint sie einerseits als B egebrungsvermögen
und Instin k t auf niederer geistiger Stufe, andererseits als W ille ([im höheren Sinne) auf
höherer. Dort sind die Gegenstände ihres Begehrens mehr körperlicher Natur, ihr Streben steht mit
dem Gemeingefühl in inniger Verbindung und so werden sie zu Gemüthsbewegung und Leidenschaft.
Hier hängen sie hingegen mit der Intelligenz zusammen und werden dadurch zu jener höchsten Art
von Thalkraft, welche wir W ille im engeren Sinne nennen. Folgendes Schema mag die Uebersicht
erleichtern:
S e e le .
Körper. Geist.
Streben.
G e g e n w irk u n g .
M o to r is c h e N e rv e n k r a f t..
B e g e n ru n g .
W ille .
W a h rn e hm u n g .
R e iz b a rk e it»
E m p fin d u n g .
S in n e . G e m e in g e fü h i.
E rk e n n tn is s» G em ü th .
Stellen wir nun diese Skizze psychologischer Grundformen mit dem Bau des Nervensystems und
insbesondere mit den Grundformen des Gehirns zusammen, so wird sich die Uebereinstimmung beider
leicht zeigen lassen.
Schon am Bau des Rückenmarkes spiegelt sich jener psychologische Gegensatz ab, Und zwar
noch im einfachsten und rohesten, deshalb aber auch deutlichsten Entwurf. Es ist der Gegensatz von
sensibeln und motorischen Primilivfasern, von hinteren und vorderen Nervenwurzeln, ja selbst auch
von hinteren und vorderen Rückenmarkssträngen. Jene entsprechen der centripetalen Richtung des
geistigen Lebens, mag sie sich als Reizkarkeit oder als Gemeingefühl oder Sinnesempfindung aussprechen,
diese hingegen sind die physiologischen Träger der centrifugalen, expansiven Geisteskraft,
mag sie sich als Reactionsvermögen oder als motorische Kraft äussern. Was aber hier noch einfach
ist und mehr körperlich, erhebt sich im Gehirn auf eine höhere geistige Stufe und bringt gemischte
Gebilde und vollkommenere Geisteskräfte hervor. Auf der einen Seite entstehen gemischte Nerven
und Centralgebilde, in denen motorische Elemente mit sensibeln zu zusammengesetzten Apparaten zusammentreten
, auf der anderen aber entsprechende Complexe jener zwei psychologischen Grundkräfte.
Das Rückenmark bringt es nur zu Reizbarkeit und Reactionskraft, eine eigentliche Empfindung geht
ihm noch ab und ist ihm bloss gestattet durch seine Verbindung mit dem Gehirn, mit deren Lösung es
m
sie sogleich einbüsst, um nur noch die niedere Grundlage derselben, die R eizbarkeit, zu behalten»
Im Gehirn verwandelt sich diese in die mannichfaltigen Arten der Empfindung und die motorische Kraft
erhebt sich zu den verschiedenen Gliedern der strebenden G eisteskraft. Beide Grundformen
der psychischen Thätigkeit liegen auch den grossen, wenn auch zusammengesetzten Massen zum
Grunde und erscheinen hier als grosses und kleines Gehirn. Darum gibt es nur zwei Gehirne,
weil es nur zwei geistige Grundkräfte unserer Seele, weil es nur zwei entsprechende Hauptabtheilungen
auch am Rückenmarke gibt, die hier jedoch lediglich im Entwurf und einfachen Zustande vorhanden
sind. Das grosse Gehirn ist das vorzugsweise sensible Hirn, das kleine das vorherrschend
motorische.
Die Beweise für diesen Satz geben die Nerven, die aus den beiden Hirnen entspringen, der Verlauf
der sensibeln und motorischen Stränge des Rückenmarkes durch das Gehirn und besonders die
Vivisectionen.
Aus dem grossen Gehirn entspringen lediglich Sinnesnerven ([Riechnerv und Sehnerv), aus
dem Hinlerhauptshirn umgekehrt nicht nur überhaupt niedere Nerven, sondern auch sämmtliche motorische
Hirnnerven; der Hörnerv aber, der edelste unter ihnen, welcher sogar das Hinterhauptshirn
ebenso charakterisirt, wie der Sehnerv und Riechnerv das grosse Gehirn, hat, obwohl Sinnesnerv,
doch insofern eine grosse Verwandtschaft mit den motorischen Nerven, als sein Sinn, das Gehör,
auf einer m echanischen Potenz, auf dem Schalle, beruht, die mit der Hauptkraft unserer
Bewegung, mit der. Cohäsion und Elasticität in nothwendiger Verbindung ist. Aus ihren Früchten
aber sollt Ihr sie erkennen! Sind die Ausläufer des Gehirns, die wir Nerven nennen, vorzugsweise
und im Verhältniss zu den Nerven des grossen Gehirns hier motorische, so wird auch das Nerven-
centrum selbst sich durch denselben Charakter höchstwahrscheinlich auszeichnen.
Noch entschiedener aber weiset darauf hin der Verlauf der Stränge des Rückenmarkes bei ihrer
Fortsetzung in das Gehirn. Es sind zwar die Untersuchungen hierüber noch nicht geschlossen und
die Ansichten noch gelheilt, weil das kleine Gehirn in der That, wie das grosse, ein aus beiderlei
Elementen des Nervensystems combinirtes Centralorgan ist, jedoch mit einem Uebergewicht der motorischen
Nervenelemente.
Nach Bur dach läuft der zarte Strang und auch der innere Theil des Keilslranges an den Seilen
des runden Stranges zum grossen Gehirn, dagegen die äussere Hälfte des Keilstranges und der Ue-
berrest des Seitenslranges in das Crus cerebelli ad Medullam oblongatam und somit zu dem kleinen
Gehirn. Die kleinere Hälfte der sensibeln Abtheilung des Rückenmarkes tritt also geradezu in das
grosse Gehirn ein, ausserdem aber gelangen noch ohne Zweifel viele derartige Stränge aus dem kleinen
Gehirn in das grosse durch die Bindearme, so dass sich vielleicht fast alle sensitiven Fasern zuletzt
daselbt, und zwar hauptsächlich im Scheitelhirn, sammeln. Wie viele ausserdem hier entspringen,
um im Gehirn selbst zu bleiben, reine C entral fasern, konnte weder für das grosse, noch für
das kleine Gehirn bisher ergründet werden.
Am Entschiedensten zeigen aber die motorische Bedeutung des kleinen Gehirns die bekannten
Experimente an Thieren von Flourens, Ilertw ig und vielen Anderen. Nimmt man Säugethieren
oder Vögeln das kleine Gehirn.,weg, so vermögen sie wohl alle einzelnen Muskeln noch in Bewegung
zu setzen, aber sie haben die Fähigkeit eingebüsst, ganze Züge zweckmässiger Bewegungen harmonisch
zu ordnen. Dabei haben sie volles Bewusstseyn und weder Sinne, noch inlellectuelle Geisteskräfte
sind gestört. Man erkennt hieraus, dass mit der Aufhebung des Kleinhirnlebens von den zwei
Grundkräften der Nerventhätigkeit die m otorische Kraft, die C en tralität ihrer Wirkung auf das
Muskelsystem verloren hat. Mit Recht müssen wir daher im kleinen Gehirn den Mittelpunkt der
m otorischen K raft suchen.
Mit der Wegnahme des grossen Gehirns hingegen ist die Regelmässigkeit und Harmonie, die Fähigkeit
zu richtiger Gruppirung der Gliederbewegungen nicht gestört, wohl aber hört alles Sinnenleben
und Bewusstseyn, alle höheren geistigen Kräfte auf. Das Thier sitzt oder steht unbeweglich in
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