Müdigkeit noch Hunger fühlte und lieber zur Bleifeder als zum
Teller griff.
"Wolken hatten sich die ganze Zeit her gesammelt und
wieder getrennt und in ihrem mannigfaltigen Spiele uns zuweilen
ernstlich bedroht. Hier ein Regenguss und Donnerwetter wäre
noch bei weitem unleidlicher gewesen, als der vor einigen Tagen
erlittene Unfall, da wir noch sehr ferne von unserem Ziele
waren, ja noch nicht einmal das Hauptjoch des Gebirges überschritten
hatten.
Nach kurzer Rast verliessen wir unsere Hippokrene und
setzten unseren Marsch fort. Dichte Wälder wechselten mit entwaldeten
Blossen, welche letzteren es zuweilen gestatteten, in
grösserem Umfange umzublicken und zu erkennen, dass wir
uns nun in Mitten von Bergwipfeln befanden, aus denen der
beschneite Kegel des Delphi rechts hervorragte. Wir mochten
etwa die Höhe von 8000 Fuss erreicht haben. Um das Bild der
Waldeinsamkeit und der schauerlichen Ode voll zu machen,
führte uns der Pfad nahe vor einem Gebirgsschlunde (Kara-
ß63-pov) vorüber. Grossartig von gigantischen Felsen überragt,
öffnete sich hier der Schlund, der ein kleines Wässerchen in
seine Tiefen aufnahm, kühl, feucht, dunkel, ein wahrer Eingang
in den Tartarus. Bäume mit glänzenden lederartigen Blättern und
rothen Beeren, wie ich sie so schön früher nie gesehen hatte —
Stechpalmen (Ilex aquifolium L .) beschatteten den Eingang,
Farne und Eplieu wucherten an den dunklen Kalkfelsen und die
niedliche zartlaubige Saxifraga chrysosplenifolia Boiss. verbarg
sich scheu vor dem Sonnenlichte, dem nur spärlicher Zugang
verstattet war. — Nicht weit von dieser Stelle, so gelangten wir
zu einem zweiten Felsschlund. Die Scene war eine ganz andere.
Statt der Tannen bedeckte wildes Farnkraut fPteris aquilina L.)
den entblössten Boden, das von dem ehemaligen, wahrscheinlich
durch Brand zerstörten Waldboden in wahrhaft unermesslicher
W eise Besitz ergriff. Das Gebirgsplateau senkte sich, um eine
kleine Mulde zu bilden, die von Schlamm und Wasser erfüllt
war. Letzteres, zu dieser Jahreszeit in kleiner Menge vorhanden,
hatten sich durch den angehäuften Schlamm schlängelnde
Rinnsale gebildet und eilte durch diese einer entgegenstehenden
Felswand zu, in dessen Spalten es versank. Man erkannte,
dass die Felswand ursprünglich ein weiterer Schlund gewesen
sein mag, der aber durch angehäuften und vertrockneten, vom
Wasser herbeigeführten Schlamm und Sand theilweise ausgefüllt
und nun fast gänzlich verstopft geworden ist. Grössere
Ansammlungen von ^Vasser und ein stärkerer Diuck könnte
diese dereinst wieder hinwegräumen und den Abzugscanal frei
machen. Wie hier die kleine Gebirgsmulde, deren es wahrscheinlich
viele in Griechenland geben mag, verhält sich in
o-rossem Massstabe auch der Copais-See O in Boeotien, den der
Kephissos durchströmt.
Noch einmal führte unser Pfad durch einen schönen jungfräulichen
Tannenwald, nachdem wir die Scharte zwischen den
Felsen des Skutini und dem Kegel des Delphi, so wie das furchtbare
Rheuma des ersteren überschritten hatten. Hier auf der
Höhe des Passes war die Aussicht wirklich entzückend schön.
Rechts das ägäische Meer mit den nördlichen Sporaden, wieweisse
Fleckchen auf einem himmelblauen glänzenden Tuche, links der
Euripos in seiner ganzen Ausdehnung als Canal von Talandi
und darüber die Berge Bceotiens, Phokis und Phthiotis, reich an
Erinnerungen. Ich kann mir die Empfindungen eines Griechen,
der der Väter Blut in seinen Adern fühlt, denken, wenn er im
Anblicke dieser eben so malerischen als herrlichen Ländereien
versunken das Schicksal anklagt, das in dem Zeiträume von ein
paar tausend Jahren dieselben fast aller seiner edlen Elemente
beraubt und dafür eine Wüstenei zurückgelassen hat, in welcher
sich nur die stumpfste Barbarei heimisch fühlen kann. -
Der Weg, der bisher viele Stunden lang sich im Plateau
des Hochlandes fortwand, ohne bedeutend zu fallen, war nun
aus dem Walde herausgetreten, um sich ununterbrochen über
kahle oder gestrüppbewachsene Lehnen in die westliche Niederung
der Insel niederzusenken. Die in der Tiefe liegende Ortschaft
Kamb iä links gelassen, verfolgten wir die Richtung nach
St e n i , einem weitläufigen Dorfe, das sich an der linken
Seite eines aus den Schluchten des Delphi hervortretenden