VI. Der Berg Delpln auf Eulboea und die
Apollo-Tanne.
Als ein passendes Pendant der vorstellenden Betrachtung
kann der ansehnlichste Bergkegel von Mittel-Euboea und der
ihn umgebende Nadelwald gelten. "Wie der Monte nero ist auch
der De lp h i (Aiprpvg^ nur 'während der Sommermonate von
Schnee frei, und wenn auch sein Haupt ganz und gar vom
Baumwuchse entblösst ist, so erhebt sich dasselbe dennoch aus
einer Fülle von Waldesgrün, womit der ganze Gebirgsstock,
der es umgibt, bekleidet ist.
Fuboea ist eine sich an das östliche Griechenland so enge
anschmiegende Insel, dass der Canal, der sie vom Festlande
trennt, fast nur wie ein Landsee erscheint, der mehr vermittelt
als scheidet. Euboea, bei einer Länge von ungefähr 24 deutschen
Meilen und einer stellenweisen Breite von 7 Meilen, ist so ansehnlich,
dass es in Bezug auf Flächeninhalt sämmtliche nachbarliche
Inseln, die nördlichen und einen Theil der südlichen
Kykladen ubertrifft. Im Norden durch den Canal von Ticheri
und den Golf von Yolo dem ehemaligen, pagasäischen Meerbusen
von Thessalien getrennt, sind an der Südspitze die Inseln
Andro, Tino und Mykono nur gleichsam als Fortsetzungen dieses
langgezogenen von Nordwest in Südost streichenden, vom Festlande
abgerissenen Stückes zu betrachten. Das ganze östliche
Küstenland von Attica, Bseotien, Phtiotis und Locris sieht auf
das Bergland dieser Insel und ist mit tausend über den
schmalen Canal gesponnenen industriellen Fäden mit ihm verbunden,
— allerdings jetzt viel weniger als es im Alterthume
der Fall war.
Diese Insel,,nicht arm an fruchtbarem Boden, erhebt sich
besonders im mittleren Theile zwischen Chalkis und Kumi,
wo sie zugleich ihre grösste Breite erreicht, zu ansehnlichen
Gebirgen, und es ist daher begreiflicher Weise auch nur dieser
Theil der Insel, welcher von der uralten mehrere tausendjährigen
Cultur weniger als andere Theile derselben berührt worden
sind und daher dem Naturforscher ein willkommenes Feld wissenschaftlicher
Ernte darbietet. Ich habe von Chalkis aus nach
Kumi und von dort nach jener Stadt zurück dieses Gebirgs-
land auf verschiedenen Wegen durchzogen und es daher einiger-
massen kennen gelernt. Leider hat mir die Erhaltung meiner
durch anstrengende Reisen schon ziemlich erschöpften Kraft es
geboten, die Ersteigung der Spitze des Delphi nicht zu versuchen.
Dagegen war mein jüngerer und rüstiger Reisegefährte,
Herr J. Schmidt , Director der Sternwarte von Athen, in der
Lage, diese Besteigung am 20. Mai (1860) von Steni aus vorzunehmen,
und ich danke es seiner Gefälligkeit, dass er auch auf
die Vegetation- dieser Bergspitze Rücksicht nahm und von daher
jene Seltenheiten mitbrachte, die ich weiter unten näher angeben
werde.
Um das Bild dieses Gebirgsstockes möglichst naturgetreu
zu geben, will ich zuerst meine Reiseroute hin und zurück in
einigen flüchtigen Zügen schildern. —
Wir hatten die Bucht von Aulis, wo das interessante Drama
des Alterthums zu spielen anflng, und die elende Kneipe von
Drame s i , in deren Nähe einst die edelste Jungfrau dem grausen
Opfertode (offenbar wegen Mangel physikalischer Bildung des
Oberpriesters) entgegensah, verlassen, um unseren Weg nach
Chalkis fortzusetzen. Der Sonntag hatte Alles mit schmucken
Kleidern*), der erste Mai mit den Reizen des Frühlings ange-
*) Die albanesischen Weiber in ihrem Sonntagsschmucke tragen h ie r e in leinenes roth-
bordirtes und gesticktes-Hemd, darüber ein geschlissenes aus rveisser Schafwolle verfertigtes
Oberkleid, das über die Knie re ich t und durch einen Gürtel in Form einer Bauchbinde