So muss denn auch, sobald die Getreideernte vorüber ist, die
o-anze Landschaft ein trauriges Bild annehmen, wobei der Rasen
verdorret, die Bäche versiegen und nur der Weinstock und der
Ölbaum sich in ihrem spärlichen Grün zu behaupten suchen.
Mit der Mitte Septembers treten einige Regenschauer ein, die sich
wiederholen und nach der Olivenernte, welche im October fällt,
in den anhaltenden Winterregen übergehen.
Aber schon mit der ersten Feuchtigkeit schwellen die fast vertrockneten,
schlummernden Knospen vieler Gewächse wieder auf,
und das ganze Land zieht das zarte Kleid des Nachsommers an,
das es über den nur drei kurze Monate dauernden Winter anbe-
liält, um es mit Eintritt des Thaumonats mit dem Schmucke des
Lenzes zu vertauschen. Im März bricht der Frühling mit aller
Macht hervor. Die mit einer spärlichen Vegetation überzogenen
Anger werden zu einem Blumenteppich, die Wiesen und Grasplätze
ein Heer von Stern-Anemonen (Anemone stellata Lam.);
aus allen Hecken gucken und lugen die Äuglein lieblicher Veilchen,
Rosen und Lilien hervor, überall heben sie farbige Kelche
und süssduftende Blumenbecher empor, als wollte sie sagen,
„nimm’, und freue dich des L e b e n sWa s aber dem Frühling in
Corfu noch einen besonderen Reiz verleiht, ist, dass er mit den
Gaben der Chloris zugleich jene der Pomona verbindet und den
Fremdling mit der süssesten und angenehmsten aller Früchte
beschenkt. Als ich vom Frost und Schneegestöber der heimatlichen
Alpen begleitet meine Reise nach Corfu antrat, war ich
nach 3mal 24 Stunden nicht wenig verblüfft, in einem Blumengarten
zu stehen, und was die üppigste Phantasie kaum vermochte,
in Wirklichkeit vor mir ausgebreitet zu sehen. Eben waren die
hesperischen Äpfel zur Reife gekommen, und man wusste nicht,
sollte man eher nach dem dunkeln Laube langen, das jene Süssig-
keiten verbarg oder nach den duftenden Sträussen, die sich überall
zum Pflücken anboten. Corfu ist im Frühling wahrhaftig eine
holde geschmückte Braut!
Wer auch nur einige WVchen während der schönen Frühlingszeit
in Corfu sein Standquartier aufschlägt, was, nebenbei
ffesafft, mit allem Comfort geschehen kann, der wird sich nicht
blos da, sondern auf der ganzen Insel bald heimisch fühlen.
Kleinere Spaziergänge in der Umgebung der Stadt unternimmt
er zu Fuss, auf weiteren bedient er sich einer Carrosse, die ihn
auf den prachtvoll angelegten und bestens erhaltenen Strassen,
mit der Schnelligkeit des Windes zu einem und dem ändern Ende
der Insel hinträgt. Die milde Morgensonne ladet ihn dazu ein
und die funkelnden Sterne zaudern noch am späten Abend ihn
in das verschlossene Gemach zu entlassen. —
An den krummen, engen, bergansteigenden Strassen der
I^estungs s t adt wird jeder Fremde nicht viel Geschmack finden,
desto mehr wird er überrascht, sobald er auf das Plateau, worauf
der übrige Theil der Stadt liegt, tritt, wo ein hübscher, breiter
von Häusern freier Platz sich befindet. Es ist die Espl anade , ein
Rasenplatz, von Alleen schattiger Bäume umgürtet und durchkreuzt.
Der Palast des Lord-Obercommissärs, mehrere Monumente
und die schönsten und ansehnlichsten mit Arcaden versehenen
Häuser der Stadt befinden sich in dessen Nähe. Hier
versammelt sich die Bevölkerung der Stadt, hier werden öffentliche
Spiele getrieben und die Besatzung der Festung im Kriegsspiele
eingeübt.
Da eben vor der Esplanade der mächtige Fels mit seinen
Festungswerken emporsteigt (Fortezza vecchia), so erlangt die
reizende Fernsicht auf das Meer und die nahen Gebirge Albaniens
den imposantesten Vordergrund. Stunden lang wird das
Auge von den wechselvollen Bildern nicht satt, die sich hier in
einer nahezu vollkommenen Rundschau entfalten.
Doch gehen wir weiter — nur ein kleines Stündchen — auf
die Hügelkette, welche sich im Süden der Stadt zu einer Art
Landzunge gestaltet, so haben wir hier eine Folge der anziehendsten
Scenerien. Wo jetzt die Vorstadt Ca s t r a d e s seine weissen
Häuschen über die fruchtbare Ebene ausbreitet, mögen einst die
„goldschimmernden Thore“ Alkinoos gestanden und daran sich
die Gärten dieses vielgepriesenen Königs „der gottentstammten
Phaeaken“ geschlossen haben, in denen schon vor 3000 Jahren
Äpfel, Birnen, Feigen, Granatfrüchte, Oliven und Trauben
gediehen, wenn anders Kopy.vpa oder Kepx.vpa die Homerische