der bedeutendste Zug, von allen Sagen festgehalten
und hervorgehoben wird. Am meisten
Gewicht erhielt wohl die Erzählung durch die
schon von Thukydides angeführten Verse in
dem Hymnus auf den delischen Apoll 0, wo
der Dichter sagt:
Jungfrau5n, welcher erscheint als der süiseste unter den Sängern
Eueren! Sinn allhier... und-~welcher am meisten erfreut euch? '
Preisend rufet ihr insgesammt mit vereinter Erwied’rung:
Blind ist der Mann, und er wohnt auf der felsumstarreten Chios.
A uch glaubte man, Homer habe sich selbst
schildern wollen in dem blinden Sänger Demo-
dokos, der in der Odyssee vor Alkinoos singt,
und von welchem er sagt ßl-
Herzlich liebt5 ihn die Mus5 und gab ihm Gutes und Böses,
_---- - Denn die /Lugen^entaalmi sie, und gab ihm süfsen Gesang ein.
S e l b s t der Name^Houiei1^ 1 'ward V ö i r - d e r
Blindheit hergeleitet, denn so, sagte man, hätten
die Kymäer und Jonier die Blinden genannt,
weil sie der Führer 9) bedürfen. Andere
erklärten das Wort nach anderen Bedeutungen.
ALInter den neueren Meynungen hat
die von Friedrich Schlegel IO) viel Anziehendes:
Homeros bedeute einen Bürgen oder Zeugen,
und so sey der Dichter genannt worden
wegen seiner Wahrhaftigkeit, wie er denn
auch uns ein Bürge und Zeuge der alten Heldensage
und Heldenzeit nach ihrer wahren
und wirklichen Beschaffenheit sey. Noch einfacher
aber ist die Erklärung Ilgens, der Name
bezeichne einen, der schön zur Cither singt Üf
S chon Cicero beruft sich zum Beweis gegen
die Blindheit Homers auf die Anschaulichkeit
seiner Schilderungen so auch Lessing
l3) und Schlegel '% Von der Blindheit
Miltons, sagt der letztere, liefsen sich in seinem
Gedichte wohl Spuren finden; die ossia-
nischen Gesänge seyen in eine gleich Schwerin
üthfge Dämmerung und wie in einen ewigen
Nebel verhüllt, wie der Barde selbst; aber die
Ilias und Odyssee, diese klarsten und hellse-
hendsten aller Gedichte, könne niemand einem
des Augenlichts Beraubten zuschreiben. -=7' Es ist
wahr, in Homers Beschreibungen, Schilderungen,
Vergleichungen ist eine Treue, eine Klarheit
und Lebendigkeit, dafs man glauben
möchte, der Dichter habe .eben vor Augen gesehen,
was er so täuschend vor Augen malt.
Aber unter allen Dichtern der alten und neuen
W e lt findet sich auch keiner, welcher so viel Empfänglichkeit
und Gefühl für sinnliche Schönheit,
für die Formen, Bewegungen und Scenen der
Natur offenbarte, wie Homer. Denken wir
nun einen Sänger, welcher bey diesem zarten
Naturgefühl, mit diesem feinen Tastsinn des
inneren Auges, nach vielem Sehen und Forschen
das äufsere Auge verliert, aber in stets
heiterem Gemüthe die empfangenen Eindrücke
bewahrt: wird nicht die Sehnsucht nach dem
Sinnlich-Schönen, in der Gegenwart unbefriedigt,
und nur auf die frühere Erfahrung hingewiesen,
steigernd auf seine Phantasie wir