vom Odysseus in unmittelbarer Verbindung
stehen: Ist Dionysus König der irdischen schönen
Natur in aller ihrer Herrlichkeit, so ist
Silen die ungeordnete chaotische Natur mit
ihren Unformen und gähnenden Grundkräften.
Diese ist unbegreiflich, und giebt uns Räthsel
auf. Sie spricht uns an, wo wir sie fassen
können, aber sie neckt und täuscht uns. G e l
ingt es den Silenos zu fesseln, so spricht
er Wo r t e hoher We i she i t — aber auch
W o r t e d er Ironie, jener Ironie, die es
sich zum Geschäf te macht, die Er s che i nungswe
l t mit ihren Einzelnhei ten in
ihrer Nicht igke i t zu zeigen. Ich will
nicht fragen, ob Si len (tssifaivog') 111 W ort und
Begriff mit der Sirene verwandt ist.
Gewifs: jener formlose Naturgott Silenos ist
aller tiefernsten Ironie Urheber und Vater. In
Gestalt und Wesen ist Sokrates sein Sohn und
Geisteserbe. Diesem Silenus-Sokrates stellt nun
Plato im Gastmahl seinen Alkibiades gegenüber,
der uns (p. 216. p. 464. Bekker.) die Macht seiner ironischen
Reden durch die Vergleichung mit dem
Gesang der Sirenen erklärt: „Mit Gewalt
daher die Ohren verstopfend fliehe ich vor
ihm, wie vor Sirenen, um nicht bey ihm sitzen
zu bleiben, und darüber zum Greise zu werden.“
Diese sokratischen Sirenen waren dem flatternden
Alkibiades zu ernst. Sie waren von jenen
besseren Sirenen, dergleichen im Reiche des
Hades versammelt sind, in jener Erziehungs-
Schule des ernsten und weisen Königs der
Unterwelt, wo aller Zauber der sichtbaren
Dinge sich in wesenlose Schatten verwandelt,
und die Seele nur auf sich selbst zurückgewiesen
ist. Statt dafs die irdischen Sirenen
am Lebensmeere den thörigten Schiffer zum
Bleiben nöthigen, ihn mit ihren Perlenschnüren
bannen, und ihm den Spiegel des Narcissus
Vorhalten — verbleiben diese selber und
wollen den weisen und linden Pädagogen nicht
verlassen. „Deshalb also, das wollen wir
sagen, hat keiner Lust von dort hierher zurückzukehren,
selbst die Sirenen nicht, sondern
sie sind eben so gut bezaubert, wie
alle Anderen; so vortref f l iche Reden, scheint
es, weifs Hades ihnen zu halten“ (Platon im Kratylos
p. 4 o3 . p. 4 5 . Bekker.). Das sind die Sirenen des
Ägyptischen Amenthes, deren Reliefs wir in
den Thebaischen Hypogäen erblicken, und
wovon uns diese Grabgewölbe jene Sycomo-
renidole liefern (s. oben.). Zu dieser Stelle des Platon
unterscheidet nun Proklos (in Cratylum §. 167. p. 94.
Boissonnade) drey Arten von Sirenen, wovon die
himmlische dem Zeus bey gesellt ist, die irdische
dem Poseidon, die unterirdische dem Hades.
„Jene irdischen, sagt er, fördern das zeitliche,
sinnliche Thun und Treiben, das unter
der Herrschaft des Poseidon steht. Darum
müssen die Seelen, die in diesem Leben wallen,
ja an ihnen vorüberschiffen, gleich dem
Homerischen Odysseus, um nicht von der Sinn-
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