nicht so ruhig einen Widder erstochen, wie
die behelmte Figur auf unserm Bilde. Und
was sollte der nackte vor ihm sitzende Diener;
was der andere, der so behaglich vor Ulysses
kniet und aus dem Schlauche die Schaale mit
Wein zu füllen scheint?
H e r r Tischbein sieht hier vielmehr die üppigen
Frey er der Penelope in ihren täglichen
Vorbereitungen zum Gastmahl:
Sie nun opferten grofs Schaafvieh und gefeistete Ziegen,
Opferten auch Masteber zum Schmaus* und ein Rind von der Heerde,
Aemsig bereitend das Mahl 3>.
Odysseus sitzt ihnen gegenüber und beobachtet
sie; Minerva steht neben ihm, den Blick
auf ihn gerichtet, um zu bemerken, mit welchem
Gefühl er seine Habe so schaamlos verprassen
sieht. Die Göttin ist es ja, die beym
Gastmahle zu ihm tritt und ihn ermuntert, die
Gesinnung der Frey er zu erforschen, sie aber
dennoch alle zu verderben —
Aber Athene,
Welche sich wieder genaht dem Laertiaden Odysseus,
Trieb ihn, umher Brosam von jeglichem Freyer zu sammeln,
Dais er, wer billig dächt’, erkennte, und wer gesetzlos:
Dennoch nicht sollt* einer verschont ihr seyn vom Verderben O.
D i e aufmerksame Stellung des Ulysses
pafst sehr gut zu dieser Erklärung, weniger
die vor ihm knieende Figur, welche gerade
für ihn Wein in die Schaale zu füllen scheint,
was bey seinem Aufenthalt unter den Freyern
wenigstens in der Art nicht Vorkommen konnte,
dafs einer vor ihm gekniet hätte.
E h’ ich noch eine andere Vermuthung über
die Bedeutung des Bildes wage, mufs ich bemerken,
dafs eben der Ausdruck forschender
Aufmerksamkeit, den man in der Figur des
Ulyfs finden könnte, hier vielleicht nicht so
genau zu nehmen ist, da diese Stellung für un-
sern Helden in der alten Kunst typisch gewesen
zu seyn scheint, und vielleicht von
einem berühmten Werke der Sculptur oder
Malerey entlehnt war. Denn im zweyten
Heft dieses Werks wurde bereits eine Abbildung
nach einem geschnittenen Stein im
Besitz des Königs von Neapel geliefert, wo
Ulyfs als einzelne Figur fast ganz wie hier
dargestellt ist, nur dafs ihm dort der Stab, hier
die Schuhe fehlen. Auf den besonnenen, scharf
beobachtenden, immer auf Rath und zweck-
mäfsiges Handeln bedachten Mann kpnnte diese
äusserst charakteristische Stellung in mancher-
ley Fällen angewendet werden; auch kennen
wir aus der oftmaligen Wiederholung anderer
Motive in Statuen und Basreliefs die Bescheidenheit
der alten Künstler, etwas das sie einmal
für gut hielten, lieber unverändert beyzu-
behalten, als durch Neuerungen vielleicht den
Beschauer zu verwirren.
W e n n man nun davon ausgeht, dafs dem
sitzenden Ulysses hier eine Schaale Weins dargereicht
werden soll, so liefs sich wohl an die
Scene erinnern, wo er mit seinem Vater Laer-
tes, nachdem er sich ihm in der Obstpflanzung
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