in beyden verkörpert. Statt viele Worte zu
machen, wollen wir den Dichter hören. Goe-
the’s F ische r spricht aus was ich meine:
„Sie sp rach zu ihm, sie sang zu ihm,
Da war’s um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin,
Und ward nicht mehr gesehn.“
J e t z t entsteht die Hauptfrage: W i e kam
Homer zu dieser Dichtung? Auf zwey
Wegen kann man zur Beantwortung gelangen:
entweder dafs man ihn ein orientalisches
Bildwerk, eine persische oder ägyptische Hieroglyphe
in ein episch - griechisches Gebilde
umsetzen läfst. Die obigen Bemerkungen und
Belege haben erwiesen, dafs das Morgenland,
Persien namentlich und Ägypten, wer weifs
wie lange schon, seine typischen und mythischen
Sirenen hatte. Oder man läfst ihn als
selbstständigen E r f i n d e r die ganze Dichtung
aus der Natur selbst auffassen und lebendig
ausbilden. Meines Bedünkens ist es zum unmittelbaren
Verständnifs der Homerischen Dichtung
ziemlich gleichgültig, welche Entstehungsart
man annehmen mag. In jedem Falle mufste
Homer als Volkssänger sich doch im Gebiete
der natürlichen Anschauung halten. Nun
lieferte ihm das Seeleben der weitschiffenden
Ionier Züge und Situationen genug, die in
seiner Einbildungskraft zu einem wunderbaren
Mythus sich gestalten konnten. Längs Libyens
(Ägyptens und des nachherigen Cyrenaika’s)
Küsten hin, längs den Gestaden von Cypern
bis in die Sicilischen Gewässer, mufste der
Ionische Seemann sich häufig in Lagen befinden,
und Dinge erfahren, woraus das Sirenen-
mährchen wie von selber erwachsen konnte:
die duftenden Orangenwälder und Hesperiden-
gärten in jenem Meergebiet, die heifsere Sonne
unter jenem wolkenloseren südlichen Himmel
mit ihren erschlaffenden Wirkungen auf den
Körper, das eintönige und einschläfernde Geflüster
der Wellen bey stiller Luft, die blaue
Tiefe der Fluthen, und die von den Libyschen
Gestaden herüberschallenden Töne der Gazellenpfeifen,
die ihn anwandelnde Lust dort anzulanden
und immer zu verweilen, verbunden
mit den Gefahren, die die klippenvolle Küste in
ihrem Schoofse verbarg, und die seiner auf
dem Lande warteten — waren dies denn nicht
wirklich lauter sinnliche Lockungen und Reizungen
einer schönen wunderbaren M e e r -
fr a u ^Ä j einer schmeichelnden und tückischen
L i b y a ? Wenn da die Lockungen des reizenden
Küstenlandes über die Betrachtungen
der Gefahr den Sieg gewannen — dann war der
Schiffer in magischem Kreise gefangen, und an
die Rückkehr in die Heimath war nicht mehr
zu denken.
So ist die Sirene sinnlich geboren, und in
diesem Kreise sinnlicher Anschauung hält Homer
seine Dichtung durch und durch. In ihr
liegen schon alle wesentlichen Bestandtheile
des Grundbegriffs entwickelt vor uns: die