Macht des sinnlichen Re iz e s durch W o h l gestal
t und liebliche Wo r t e und Töne; die
Wirkung en davon auf Aug, Ohr und Herz,
das sich Hingeben und sich Verlieren an diese
Reize, das verderbliche Selbstvergessen, und
damit Zei t - und Ziel -Verl ieren, mit einem
Worte das Versinken der Mannes-Seele in dem
Meere sinnlicher Einbildungen — das sind die
wesentlichen Elemente dieses Begriffes.
V o n da aus ist nur ein Schritt zur höheren
Allegorie. Die bildende Kunst leitet uns hinüber:
Millin hat in der Galerie mythologique
1 pi. xiii. m. Hfl zuerst einen geschnittenen
Stein geliefert, der uns eine geflügelte und gefiederte
Sirene zeigt. In der einen Hand hält
sie einen Spiegel, in der ändern eine im Kreis
gebundene Perlenschnur. Mit einer Perlenschnur
ist auch die Haube einer bronzenen Sirene
in meiner Sammlung umwunden. Perlen
bedeuten Thränen, sagt Lessing. W ir sagen:
Perlen sind die edelsten Güter der grauenvollen
Tiefe — sie locken den Menschen durch ihren
blendenden Glanz und Werth, und die verschlungene
Perlenschnur, sie ist ein Zaubernetz,
worin der unbewachte Hang zum Sinnlichschönen
sich selber fängt. Der Spiegel zieht
gleichmäfsig die sinnliche, eigenliebige Seele an.
In dem Wiederschein ihrer eigenen Schöne geht
sie endlich unter. Alle Herrlichkeiten und
lockenden Schauspiele der Sinnenwelt sind in
diesem metallenen Zauberkreise vorgestellt.
D e m Hörner genügte für sein Schiffermähr-
chen der natürliche Spiegel des Meers und
er nahm mit Recht von allegorischen Nebenzügen
keine entschiedene Notiz. — Aber von
demselben natürlichen Grund und Boden aus
konnte sich eine allegorische Lehre erheben,
und hatte sich früher als Homer seine Mähr-
chen gesungen, in bedeutsamen Bildern und Gedankenreihen
ausgeprägt. Wenn nämlich das
Meer, des furchtbaren Erschütterers Poseidon
unstetes Gebiet, wenn das unsichere Meer, ein
natürliches Bild des sinnlich üppigen, aber auch
wechselfälligen unruhigen Leb ens war und
ist, so konnte die priesterliche Philosophie frühzeitig
veranlafst werden, die Idee von der Gewalt,
womit die üppige Fülle der Natur unsere
Sinne bestrickt, den Gedanken an die Zaubermacht,
welche die irdische Sinnenwelt über
den Menschen übt, und ihn, gebunden an das
Vergängliche, von seinem Ziele ablenkt, nach
morgenländischer Weise in einer Sirene zu
personificiren. So entstanden die priesterlichen
Gebilde der Persischen und Ägyptischen Sirenen.:—
Philosophen nun, die aus morgenländischen
Quellen schöpften, und die Lebenskunst im
Geiste der Vorwelt auffafsten, Platon namentlich
und diejenigen Platoniker, die sich an die
Pädagogik der Priesterlehre anschlossen — diese
bildeten die Hieroglyphe der Sirene im allge^
meineren höheren Sinne aus. Ich will nur
einige Stellen berühren, die mit der Dichtung