Tod, oder mindestens um eine gefährliche Amputation, ohne mich weiter eines Blicks
zu würdigen, seine Tusche anzureiben.
Die beste Sorte letzterer kommt aus Nara, wo dieselbe aus dem in den grossen
steinernen Lampen sich ansammelnden Russe der von frommen Pilgern gestifteten
Sesamöllampen bereitet wird. Der Docht letzterer besteht aus kegelförmig zugedrehtem
Pflanzenmark, dessen Spitze in das Qel taucht, während der von dem angezündeten
dickeren Ende aufsteigende Qualm durch eine dicht darüber hängende kleine Thonschale
aufgefangen wird. Den so gewonnenen Russ mischt man mit einer aus Rindshäuten
erzeugten Sorte Leim und mit chinesischem Wohlgeruch. Letzterer heisst
„riu-no“ , d. h. raffinirter Campfer, scheint aber ein Gemisch aus mehreren Harzen zu
sein; je besser der Duft, desto theurer (io Pf. bis 6 Mk.) das Stück Tusche.
a
c
Japanische Tätowir-Instrumente (natürliche Grösse der unteren Enden).
Nachdem ein Theil des werthvollen Stoffs verrieben, legte ich mich aufs Bett
und in ungefähr */„ Stunde zeichnete mir der Künstler die Umrisse des Bildes auf den
Arm, wobei angefeuchtetes Papier die Stelle unseres Radirgummi vertrat. Dann holte
er mehrere unten mit Papier (um ein Ausgleiten der Hand zu verhindern) umwickelte
Holzstäbchen hervor, an deren spitzen Ende 2 bis 20 europäische Nähnadeln, in ein
oder zwei Reihen eng aneinander befestigt und so weit mit Papier umwickelt, dass sie
nicht tiefer wie einige Millimeter in die Haut eindringen konnten, angebracht waren.
Die zweispitzige Punctirnadel a nimmt nun der Künstler in die rechte Hand, so wie
wir ein Fleurett anfassen, aber den ausgestreckten Zeigefinger von oben darauf drückend;
zwischen den dritten und vierten Finger der linken Hand steckt er einen reichlich in
Tusche getauchten Pinsel (mit der Spitze nach oben), der ihm als Palette dient, spannt
mit Daumen und Zeigefinger derselben Linken ein Stück Haut, taucht die Spitze des
Instruments in den Pinsel und sticht dann, das Stäbchen leicht gegen den Daumen der
Linken anlehnend und der Zeichnung folgend, mit unglaublicher Schnelligkeit und Sicherheit
— denn e i n falscher Stich kann das ganze Bild verderben — 15 bis 20 Stiche hinter
einander in die Haut. Das herausfliessende, mit Tusche vermischte Blut wird in jeder
Pause durch ein in der Rechten gehaltenes Knäuel Papier abg'fewischt. Dies Punctiren
der Umrisse, also das Skizziren je eines Bildes mit den Stäbchen a und b dauerte
3 Stunden, während deren ich rauchte, Thee trank, Zeitungen las u. dgl. Der
Künstler hatte inzwischen kein Wort geredet, auch keine Frage beantwortet.
Schmerzhaft war die Procedur bis dahin gar nicht, nicht schmerzhafter wie etwa
der Impfprocess in Europa. Nach einer Frühstückspause begann die Detailmalerei und
das Schattiren. Der Künstler harpunirte mich hierbei mit einem der mit 2 Reihen zu
je 10 Nadeln versehenen Stäbchen (c) und je tiefer und dichter die Stiche fielen, desto
dunkler wurde später der Schatten. Wird die Haut vollkommen wund geschunden, so
sieht die Tätowirung nachher fast schwarz aus. Zur Herstellung der rothen Zeichnung
wird der in Japan allgemein zum Stempeln der Unterschrift gebrauchte Zinnober
verwandt, während Zinnober mit Tusche gemischt in der Haut nachher violett
erscheint. Die ganze Operation, die ohne gerade Schmerzen zu verursachen, auf die
Dauer doch aufregt, dauerte für jeden Arm 6 Stunden (vgl. Tafel VIII und IX). Das
Honorar des Künstlers betrug je 20 Mark. Der Arm war etwas angeschwollen, die Haut
geröthet und die tätowirte Stelle fühlte sich heiss an; nachdem dieselbe aber mit kaltem
Wasser und etwas Glycerin abgewaschen war, stellten sich keine weiteren Beschwerden
ein, wie etwa am dritten Tage leichte Schmerzen im Knochen, die an Rheumatismus
erinnerten, wahrscheinlich — so sagten wenigstens die Japaner — in Folge des eingeführten
Zinnobers. Dann schuppte sich die Oberhaut ab und die Zeichnung, die bis
dahin trübe und verschwommen ausgesehen hatte, erschien in voller Klarheit und
Schärfe, die sich inzwischen, seit 6 Jahren, in keinerlei Weise verändert hat.
Ehe der Verf. zum Schluss sich einer kurzen Betrachtung der Tätowirung in
Europa zuwendet, bittet er an dieser Stelle eine Abhandlung von J. S. Kubary über dieselbe
Sitte in Mikronesien, speciell auf den Carolinen-Inseln, einfugen zu dürfen, die nicht
nur als aus der Feder des besten Kenners jener fernen Eilande, auf denen derselbe jetzt
seit beinahe zwei Decennien lebt, stammend, sondern zumal wegen der zahlreichen beigegebenen,
mit photographischer Treue ausgeführten Zeichnungen besonderes Interesse
beanspruchen dürfte.
Der Stil des Originals ist möglichst wenig geändert worden.