Auch bei diesem merkwürdigen Gebrauch tritt die Frage an uns heran: wie
kommen die Menschen dazu, ihre Haut zu zerschneiden, zu zerfetzen oder zu verbrennen?
warum richten die Leute sich in der Weise zu? Und auch hier lautet die Antwort ganz
einfach: a u s E i t e lk e i t .
In den meisten Fällen nämlich, wenn die Operation nicht gar zu wüst ausgefuhrt
ist, heben sich diese Narben durchaus nicht ungefällig von der schwarzen Haut ab und
eignen sich recht gut zu einem unvergänglichen, allerdings mit vielen Schmerzen erkauften
Schmuckmittel. Aber nur für eine dunkle Haut kommt dies in Betracht und
daher finden wir diese Sitte nur bei d u n k le n Völkern, nie bei gelben oder hellbraunen.
Bei letzteren würde nämlich eine Narbe (wenn nicht gerade wie in unserm
Vaterlande in die Nase oder die Wangen angebracht) durchaus nicht zur Geltung kommen,
während von der glänzenden Haut des Schwarzen zumal das herausgewucherte helle
wilde Fleisch sich ebenso abhebt wie etwa eine Zeichnung mit einem angebrannten
Pfropfen oder wie eine Tätowirung von der Haut des Europäers. Farbige Tätowirung
kommt dagegen auf der Haut des Negers u. s. w. nicht in demselben Maasse zur Geltung,
daher theilen sich Narbenzeichnung und Tätowirung in die Gunst der dunkelfarbigen
Völker. Während diese-die weniger barbarische Sitte wohl zuweilen von helleren
Nachbarn annehmen, b e f r e u n d e n l e t z t e r e si.ch n iem a l s m it d en Z i e r j i a r b e n .
Zu diesem Doppelschmuck gesellt sich dann noch bisweilen Bemalung des K ö r pers,
die sich ja mit den Narben sehr gut verträgt, während sie durch Tätowirung
verdrängt wird und so kann man denn dunkle Schönen bewundern, wie Verf. s. Z. Basuto-
mädchen mit glatt rasirten, dafür aber mit Butter eingeschmierten Schädeln, die sich die
Nase, und oft nur die Nase allein, oder auch: das ganze Gesicht und den Oberkörper
mit Fett und Ocker blutroth gefärbt hatten, während sie rund um béide Augen dicke,
blau tätowirte Striche sich beigebracht und ihren sonst tadellos schönen Busen durch einige
Dutzend horizontale und verticale vernarbte Schnittwunden verunziert hatten.'
„Zur Zierde des Körpers werden diese Narben in die Haut eingeschnitten“ ,a aber
es ist doch nicht der Wunsch, sich zu verschönern, a l l e in , der die Menschen veranlasst,
sich den oft sehr bedeutenden Schmerzen dieser Operation zu unterziehen, 'es
ist auch die Eitelkeit, nach Ertragen dieser Marter als ein „forscher Kerl“ angesehen
zu werden. Die Ziernarben entsprechen in dieser Beziehung vollkommen den Renommir-
schmissen unserer studirenden Jugend.
„Ehrenvolle Narben“ , die man ja auch auf der Jagd oder im Kampf mit dem
Feinde und im Zweikampf davongetragen haben kann, sind bis heute in der ganzen
Welt beliebt, sowohl weil sie dem Betreffenden unter seinen Genossen mehr Ansehen
verleihen, als auch zumal weil das schöne Geschlecht mit seinen Reizen dem narben-
1 Um Africa, p. 130. 2 Paulitscke. 1. c. p. 24.
bedeckten Held gegenüber viel weniger zurückhaltend ist, wie dem furchtsamen Jünglinge.
Hierdurch erklärt sich denn auch, dass die Zerfetzung und Zerschneidung der
Haut, besonders bei den Pubertäts-Erklärungen und Feierlichkeiten beider Geschlechter,
eine grosse Rolle spielt: Das Individuum muss eine Probe seiner Standhaftigkeit ablegen,
bei welcher dasselbe durch den Gedanken aufrecht gehalten und getröstet wird, dass ihn
nach überstandener Qual süsse — bisher verbotene — Freuden erwarten, denn erst
n a ch der Pubertätsfeier steht beiden Geschlechtern, z. B. in Australien, der unbeschränkte
Verkehr frei. „The girls are axious to be marked, as the scars are supposed to increase
their personal attractions. . . partly bribed by the offer of licentious indulgence after-
wards“ .1
Bei manchen Völkern »fand im Laufe der Jahre die qualvollen Gebräuche weniger
grausam, bei einigen sogar ganz harmlos geworden, so dass die Jünglinge mit einer
Tracht Prügel davonkommen oder dass der frühere Hergang nur noch etwa durch Beschmieren
des Rückens mit frischem Blut angedeutet wird u. dgl.
Dass die Narben als S i c h e zu Stammeszeiehen wurden bezw. werden konnten,
und dass sie,, in ängstlich gewährter Abgeschlossenheit, unter allerhand erschreckenden
Ceremonien in dunkler Nacht beigebracht, sich zumal zu Abzeichen gewisser Geheimbunde
eigneten, braucht wohl nicht hervorgehoben zu werden- —
Verwandt mit der eben besprochenen Sitte ist die der künstlichen Warzenbildung
z. B. bei den „Knobneuzen“ der Buren mit ihren „dicken Warzen von der Stirn bis
auf die Nasenspitze“ ,* dann der Gebrauch als Stammeszeichen H nicht aus anderen
Gründenj: die Wangen und Lippen zu durchbohren,3 einzelne Zähne auszuschlagen« oder
gewisse Fingerglieder abzuhacken, wie z. B. bei den Tembukis in Africa oder bei den
Buschmännern der Kalahari-Wüste, die „alle, bis zu dem kleinen Säugling herunter,
ein besonderes Stammeszeichen haben: das erste Glied des kleinen Fingers beider
Hände f e h l ® 3
Wenn bei den Kariben in Guyana das geschlechtsreife Mädchen mit den Nagezähnen
der Dasyprocto quer über den Rücken zwei tiefe Kinschnitte erhält, in welche
Pfeffer eingerieben wird,6fdp geschieht dies wohl nur in der Absicht Schmerz zu ver-
ursachen#;|icht. aber um Narbenzeichnung herzustellen, wohl aber muss hier jenes ebenfalls
nicht wenig verbreiteten Brauchs Erwähnung geschehen, in Augenblicken grosser
Aufregung, sei die Veranlassung derselben nun eine schmerzliche oder eine freudige,
» Nat. Tribes of S. Australia p. 18; XXVIII.
2 Verh. d. berl. Anthr. Ges. 7. p. 43; vgl. auch
d. Verf. „Um Africa", p. 188.
3 vgl. Dall W. H. Masks, labrets etc. Washington
1885. p. 80.
- 4 vgl. d. Verf. Beitrag zur Kenntniss der Eingeborenen
von Formosa in Verh: der B. A. G. vom
21. x. 1882; ebenso Cook-Forster. 1. c. II. p. 327
(Hawaii).
5 Farini. Globus 50. p. 202.
6 Ploss. Das Weib u. s. w. p. 161.
J obst, Tätowiren.