Bevor die farbige Tätowirung weiter behandelt wird, muss hier ein anderer, bei
dunkelfarbigen Völkern häufig neben der Bemalung in ausgedehntestem Maasse herrschender
Brauch besprochen werden, der Brauch, sich in die Haut des Gesichts sowohl
wie aller übrigen Körpertheile Einschnitte bezw. Narben, auch Brandmale beizubringen.
Diese Narben werden meist durch wiederholtes Aufreissen der Wunden odeir durch Ein-
reiben von Erde u. s. w. künstlich vergrössert.
Vor Allem herrscht diese Sitte ganz allgemein bei beiden Geschlechtern s äm m t -
1 ic h e r Eingeborenen Australiens (Manka). E y r e beschreibt die Operation in anschaulicher
Weise;: „The woman whose back is to be tattooed is taken out early in the
morning and squatted on the ground, with her back towards the operator (always a
male), Her head is then bent down between the knees-of a strong old woman who
is sitting on the ground for the purpose. The operator then takes hold ■ o f a fold
o f the flesh on the right side with his left hand, and with the right cuts (mit einem
Stein- oder Muschelsplitter) gashes about an inch long, half an inch apart and >/„ th.
of an inch deep. The blood äs it flows is .wiped away with tufts of grass.“ 1 Die
Schmerzen sind zuweilen so heftig, dass die Opfer Widerstand leisten oder entfliehen,
in den meisten Fällen sind sie aber eifrig bestrebt, so behandelt zu werden, weil die
Narben ihre körperlichen Reize erhöhen sollen.“
Dieselbe Sitte herrschte früher bei den Tasmaniern, „who scarified their skin
about their shoulders and breast“ ,3 gerade so wie sie sich heute noch bei den Melanesiern
(vgl. die weiter hinten folgende Abhandlung von O. F in s c h ) oder bei den
schwarzen Bewohnern der Andamanen4 und Philippinen5 findet.
Selbstverständlich treffen wir denselben Gebrauch in Africa wieder, wo er sich
ebenfalls ungemeiner Beliebtheit erfreut:6 giebt es doch wohl kaum einen einzigen
africanischen Schwarzen, der nicht solche Narben, und seien es auch nur die kleinen
Stammesschmisse auf Wangen oder Schläfe, an sich trüge. Als Beispiele mögen im
Norden die Nubier, im Osten die Galla dienen, die einzelne Theile des Körpers mit
Schnittnarben versehen,7 oder die Wakamba mit ihrem „faustdick hervorstehenden Narbenwulst
zwischen den Brüsten“ ;8 im Süden die Sulu;9 im Westen die Neger an der Loango-
Küste“ u. s. w. Aus dem Innern des Continents brachte kürzlich Dr. W o l f die Kunde
von der ausserordentlichen Sorgfalt, mit der- sich die Baluba und Bakuba mit Ziernarben
versehen," und S c h w e in fu r th erwähnt häufig1* den „en relief durch Erzeugung von wildem
Fleisch nach vollendeter Operation“ ausgeführten Körperschmuck, oder Schwarze,
deren „Bauch mit einem, aus Quadraten gebildeten Muster en relief versehen war,
das . . . durch glühendes Eisen erzeugt worden war“ . Dieselbe Sitte findet sich nicht
nur bei den dunklen Bewohnern Madagascars, z. B. den Betsileo, bei denen „it is the
custom to make marks . . . by slight incisions in the skin; while an other kind of
Ornament called ,tombok afo‘ consists of scars burnt in the skin“ , 13 sondern auch in
Südamerica bei den Buschnegern -^ Nachkommen entlaufener Sklaven 3 in Surinam, die
derselben zur Erinnerung an die africanische Heimath treu geblieben sind.14
1 Journals o f Expeditions into Central Australia.
London 1845; auch Cook, Relation etc. IV. p. 12 1;
Native tribes of S. Australia X X X II; 18; 163; 189;
232 u. Wood. 1. e. p. 295. 302.
* Nat. tribes XXV III.
3 Blich W. Voyage to the South Sea etc. London
1792. p. 5 1; vgl. auch: Forster-Cook. I. p. 66; 76:
„Noonga“ , „erhabene Narben am Leibe“ .
« Jagor. Verh. Berl. Anthr. Ges. 1877. p. 47: Manche
Individuen waren fast über den ganzen Körper mit
Narben bedeckt.
3 Nach Photographien d. Verf.
6 vgl. Ritter. Erdkunde I. p. 265; Pickering.
Races of man. p. 201; Richardson. Trav. I. p. 303
Waitz. II. p. 25; Wuttke. p. 80.
7 Paulitschke. Beiträge zur Ethnographie und
Anthropologie der Somäl, Galla und Harart. Leipzig
1886. p. 24.
8 Hildebrandt. Verh. Berl. Anthr. Ges. 10. 1878.
p. 3 5 1; vgl. auch des Verf.: Um Africa. p. 297.
9 Nach Photographien d. Verf.
- 10 Verh. Berl. Anthr. Ges. 9. p. 185.
11 ebenda 1886. p. 731.
ia 1. c. p. 40. 1x7. 215. 227 (mit Abbildung eines
Niam-niam).
?3 SlBREE. 1. C. p. 209.
m Kappler A. Surinam. Stuttgart 1887. p. 257.