sich Hautverletzungen beizubringen, die äusserlich den eben besprochenen vollkommen
entsprechen, die aber mit kosmetischen Zwecken durchaus nichts zu thun haben.
Schon in der Bibel lesen wir von dem Brauch der alten Juden, beim Tode eines
Verwandten u. s. w. der Grösse ihres Seelenschmerzes dadurch Ausdruck zu verleihen,
dass sie sich körperliche Schmerzen zumal durch Schnitte in die Hände bereiteten. Bei
Jeremias wird viermal (16, 6 ; 4 1, 5 ; 47, 5 ; 48, 37) des Einschneidens ins Fleisch als
Zeichen der Trauer gedacht, im 3. Buch Mose zweimal (19, 28; 21, 5), im 5. Buch (14, 1)
einmal. Nach den neueren Forschungen ist Jeremias älter als das 3. und 5. Buch Mose1
und da Jeremias in den oben bezeichneten Stellen die betreffenden Einschnitte ins Fleisch
als einen üblichen Gebrauch erwähnt, ohne ihn bestimmt zu verwerfen oder zu verbieten,
so ergiebt sich, dass derselbe bei den Hebräern und den umliegenden Völkerschaften
längere Zeiten unbeanstandet stattfand. In dem jüngeren 3. und 5. Buch Mose dagegen
begegnet uns ein bestimmtes Verbot der bezüglichea Sitte: „Ihr sollt kein Maal um
eines Todten willen an eurem Leibe reissen.“
Dieselbe Sitte finden wir bei den Neuseeländern „who were crying most piteously
and cutting their flesh as a cook would score pork for roasting . . . each is armed with
a sharp shell or . . . a piece of a broken glass bottle«; all were streaming with tears
and blood.® 7
Auf Tonga misshandelten die Leidtragenden sich, indem sie sich mit voller Kraft
ins Gesicht schlugen ; „die frische Wunde von den wiederholten Schlägen mit der
geballten Faust ins Gesicht über den Backenknochen hatte völlig den Anschein, als
ob eine kreisförmige Vertiefung eingebrannt worden wäre.“ 1 * 3
Aus den Gesellschaftsinseln schrieb Bligh: „Numerous were the marks of
mourning with which these people disfigure themselves, such as bloody temples,
their heads deprived o f most o f the hair and what was worse, almost all of them with
the loss o f some of their fingers. Several fine boys had lost both their little fingers,
and some o f the men, besides these, had parted with the middle finger o f the right hand.“ 4
Solche Selbstverstümmelung zum Zeichen der Trauer (nicht zu verwechseln mit
einem O p f e r bei Krankheiten, wie es z. B. auf Tonga üblich war5)','kommt vielfach'
vor, so auf Fidschi, wo auch häufig der kleine Zeh abgehackt wurde6, auf Hawaii, wo
1 Nach einer gütigen Mittheilung von Dr. Fabri
in Godesberg.
3 E arle Aug. A narrative of a nine months
residence in New Zealand in 1827. London 1832 p. 70.
Vgl. auch Forster-Cook I. p. 108: „sowohl Männer als
Weiber klagen um den Tod ihrer Angehörigen mit
lautem Geschrei und machen sich zugleich . . . tiefe
Wunden in die Wangen und die Stirn, bis das Blut
in Strömen herunterfliesst;“ ausführliche Beschreibung
der hierbei benutzten Instrumente bei E llis. W. Polynesian
Researches p. 527.
3 Forster-Cook. 1. c. p. 210.
< 1. c. p. 1 5 1.
5 Forster-Cook. p. 292; Banks in Cook Voyage etc.
p. 218; Waitz VI. p. 397.
6 Wilkes. c. III. p. 106.
man sich die Ohren abschnitt, die Zähne ausschlug, die Zunge tätowirte u. s. w.1 Auch
bei den Nordamericanern“ finden wir diese Sitte: Die Bewohner der Rocky mountains
„shave their head and cut their flesh with flints . . . upon the death of a near relative“ .®
Wie gesagt, braucht aber Schmerz durchaus nicht immer das Motiv der Aufregung
zu sein: die Maori zerfleischten und verwundeten sich vor Freude über die
Zurückkunft eines Freundes nach kurzer Abwesenheit desselben3; die Tahitier ritzten
sich bei einem freudigen Wiedersehen den Kopf mit Haifischzähnen und vergossen dabei
eine ziemliche Menge Blut und Thränen4; Eingeborene von Anamuca, die einige Zeit
an Bord eines Schiffs gefangen waren, schlugen sich vor Ungeduld Augen und Gesicht
blutig5 u. s. f. Hier darf auch an die Bibelstelle 1. Könige 18. 28 erinnert werden, wo
von den Baalspriestern berichtet wird, dass sie, ergrimmt über ihr Unvermögen Elias
gegenüber und zur Steigerung .ihrer Extase sich mit Messern und Pfriemen ritzten;
sowie an die deutsche Redensart: „das ist zum Haare ausreissen“ , womit wir ja auch
sagen wollen, dass wir nicht etwa einer Persönlichkeit, die uns langweilt oder dgl., sondern
aus Äerger hierüber uns selbst diesen Dienst erweisen möchten.
Das, Awas noch weiter über die ethische Seite der Narbenzeichnung zu sagen wäre,
bezieht sich auch auf die bedeutend sympathischere Sitte der farbigen Tätowirung,
welcher wir uns demnächst zuwenden werden.
Vorher möge eine Abhandlung von Dr. F in s c h , welche derselbe für vorliegende
Studie zu verfassen die Güte hatte, an dieser Stelle eingefügt werden.
« Waitz. V I. 402; vgl. auch Andree R . 1. c. p. 147. 3 Forster-Cook. I. p. 109.
3 Bancroft. 1. c. p. 127; Schoolcraft. Infor- ♦ ebenda p. 359.
mation etc. III. p. 59. 5 Bligh. 1. e. p. 152.